Mit welcher Strategie kann ein Autokonzern die Welt erobern? VW und Ford haben ganz unterschiedliche Vorstellungen. Doch die Konkurrenz ist groß.

Stuttgart - Der Kampf um die Spitze im Weltautomobilgeschäft bleibt spannend. Toyota und General Motors wollen es wieder schaffen. Volkswagen will es bis spätestens 2018 geschafft haben. Ford strebt auch nach Spitzenpositionen, und Hyundai-Kia gilt in der Branche als Geheimfavorit. Doch welche Strategie verspricht Erfolg? Ein Auto für die ganze Welt - ein Weltauto - zu bauen oder Autos, die weltweit gefragt sind, weil sie unterschiedliche Kundenwünsche befriedigen und zu wettbewerbsstarken Preisen angeboten werden. Ein Weltauto muss weltweit attraktiv sein - beim Preis-Leistungs-Verhältnis und auch beim Design.

 

General Motors nutzt deutsche Ingenieurkunst, um Opel-Technik mit amerikanischem Design für die Welt in Asien, den USA und Europa zu produzieren. Die globale Kompaktklassen-Architektur von General Motors wurde im Opel-Entwicklungszentrum Rüsselsheim konzipiert, und darauf bauen der Opel Astra und Zafira, der Chevrolet Cruze und der Buick Excelle auf. Die globale Mittelklasse-Architektur basiert auf dem Opel Insignia und wird für den Chevrolet Malibu und den Buick Regal eingesetzt. Ziel ist, möglichst viele gleiche Komponenten einzusetzen und so Kosten bei Entwicklung und Produktion zu senken. GM braucht die Opel-Ingenieure. In den deutschen Fabriken könnten auch GM-Modelle produziert werden.

VW baut unterschiedlich

Volkswagen baut für China und die USA spezielle Autos, die sich an den dortigen Kundenwünschen orientieren. Toyota wählte bisher unter den rund 100 Modellen, die in Japan gebaut werden, die passenden für die internationalen Märkte aus, ohne allzu viele technische Änderungen. Bei einer Belegschaftsversammlung hat Konzernchef Akio Toyoda jetzt eine Neuorientierung angekündigt. Zukünftig will Toyota sein Autoangebot stärker auf unterschiedliche Kundenbedürfnisse in aller Welt ausrichten. Für das Toyota-Topmanagement ist das eine Absage an das bisher praktizierte Weltauto-Konzept und eine Antwort auf die Herausforderungen von VW; Toyota kontert, indem es auf die VW-Strategie einschwenkt.

Für Ford-Konzernchef Alan Mulally ist die Zielrichtung klar: "Unter dem Schlagwort One Ford wird Ford Autos weitgehend baugleich für die ganze Welt entwickeln." Beim neuen Ford Fiesta, der 2010 auf den Markt kam, sind 60 Prozent der Teile in der amerikanischen und der europäischen Version identisch. Das ist deutlich mehr als die früher bei Ford für vergleichbaren Modelle üblichen 30 bis 40 Prozent. Der neue Focus, der Anfang 2011 auf den Markt kam, hebt die Messlatte jetzt auf 80 Prozent. Die restlichen zehn Prozent der Teile variieren wegen gesetzlicher Bestimmungen, zehn weitere wegen lokaler Geschmäcker - etwa in China. Große Unterschiede gibt es aber im Preis. In den USA kostet der im Werk Michigan produzierte Focus umgerechnet rund 11400 Euro plus etwa zehn Prozent Steuern, also gut 12500 Euro. In Deutschland bietet Ford das in Saarlouis produzierte Focus-Einstiegsmodell für 16850 Euro an.

Ford setzt auf Weltautos

Versuche von Volkswagen, General Motors und Ford, mit europäischer Technik zu punkten, gingen schief. Für Ford ist aber jetzt die Zeit reif für Weltautos, gerade mit Blick auf kleinere Modelle, die aus Europa kommen und in den USA zunehmend salonfähiger werden, weil Kraftstoffverbrauch und Umweltfreundlichkeit auch in USA an Bedeutung gewinnen. Seit Anfang 2011 ist die dritte Generation des Ford Focus als Weltauto auf den Markt, zeitgleich in Europa und in den USA. Mindestens zehn verschiedene Modellreihen sollen auf der neuen, für den Weltmarkt konzeptionierten C-Segment-Architektur basieren, die bereits 2012 die Grundlage für bis zu zwei Millionen Fahrzeuge pro Jahr liefert. Mit dieser Weltauto-Strategie wird der neue Focus in unterschiedlichen Werken auf der ganzen Welt mit einheitlichen Prozessen, Werkzeugen und Technologien vom Band laufen.

Statt auf jedem Kontinent mit unterschiedlichen Zulieferern zu arbeiten, stellte Ford eine Gruppe von Schlüsselpartnern zusammen, die bereits in einem frühen Stadium des Entwicklungsprozesses indie weltweiten Planungsüberlegungen einbezogen wurden. Ford-Vizepräsident Tony Brown freut sich: "Wenn wir Lieferbeziehungen abschließen, können wir beträchtliche Stückzahlen garantieren, das bedeutet, dass sowohl Ford als auch unsere Partner von erheblichen Skaleneffekten profitieren." Damit werden Autozulieferer immer mehr zu globalen Unternehmen.

VW verwendet ein Baukastensystem

1970 verkaufte VW in den USA 570.000 Autos, ein Rekord und ein Marktanteil von sieben Prozent. Heute sind es gerade knapp drei Prozent. Mit dem in Deutschland entwickelten Golf wollte VW einst auch in den Vereinigten Staaten punkten. In Westmoreland - nahe Pittsburgh - wurde eine Fabrik installiert, die ab 1978 den Golf als "Rabbit" produzierte. 1988 war Schluss. Das Werk wurde zugemacht, weil damals zwar Premiumautos aus Europa in den USA gut verkauft wurden, aber die Massenware Rabbit bei den US-Kunden nicht ankam. Der VW-Konzern hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt und will den US-Absatz von zurzeit 360000 Autos pro Jahr bis 2018 auf eine Million Fahrzeuge steigern - 800.000 VW und 200.000 Audi - mit einer aggressiven Preisstrategie.

Der Jetta wird im Dollarraum in Mexiko produziert und in den USA für 16000 US-Dollar verkauft; einschließlich zehn Prozent Steuern sind das umgerechnet knapp über 11000 Euro. Der Europa-Jetta - ebenfalls aus Puebla/Mexiko startet auf dem deutschen Markt mit 20900 Euro. Hinter der Preisdifferenz von knapp 10000 Euro versteckt sich eine Fülle technischer Unterschiede. Eine einfacherer Motor, eine weniger aufwendige Hinterachse, eine einfachere Klimaanlage, reduzierte Elektronik bei Komfort- und Assistenzsystemen und, wie VW-Chef Martin Winterkorn anmerkt, "werden weniger werthaltige Materialien verbaut". Der US-Jetta fährt mit der einfachen Verbundlenkerhinterachse des Golf VI, während der deutsche Jetta die wesentliche teurere Mehrlenkerhinterachse hat. Die US-Variante verzögert hinten mit Trommelbremsen, die EU-Variante aber mit Scheibenbremsen und lenkt elektromechanisch.

Kostengünstig verknüpfen

Das VW-Baukastensystem erlaubt, europäische Hightech- mit Highway-gerechten Einfachkonstruktionen kostengünstig zu verknüpfen und so auf den tempolimitierten Märkten in China und USA mit wettbewerbsfähigen Preisen zu punkten. Was für den Jetta aus dem mexikanischen Puebla gilt, stimmt auch für den US-Passat aus dem neuen VW-Montagewerk in Chattanooga im US-Staat Tennessee. Technik und Design dieses "New Midsize Sedan" entstanden in Deutschland. Der US-Passat ist länger und breiter als das Modell aus Emden und technisch abgespeckt mit weniger Ausstattungsvarianten, und das führt zu einer drastischen Preisbewegung. Der US-Passat made in USA ist für 20000 US-Dollar zu haben, umgerechnet also für knapp 14000 Euro. So viel kostet in Europa ein gut ausgestatteter VW-Polo. Doch in Chattanooga zahlt VW für die Arbeitsstunde umgerechnet rund 28 Euro, in Deutschland aber rund das Doppelte. Hinzu kommen weitere Standortvorteile wie staatliche Subventionen, Steuervorteile, bessere Abschreibungsmöglichkeiten.

VW-Chef Martin Winterkorn auf die Frage, ob der US-Passat auch in Deutschland angeboten werden würde: "Nein, das Auto ist konzipiert und durchgerechnet für den amerikanischen Markt. Wenn wir ihn nach Deutschland brächten, müssten wir keine Passat mehr in Emden bauen." Der in Emden gebaute Passat wird auf dem deutschen Markt ab knapp 24500 Euro angeboten - rund 10000 Euro mehr als der größere Bruder aus Chattanooga. Um die Kostenvorteile in den USA ausschöpfen und die Währungsschwankungen optimal ausgleichen zu können, liegt der Anteil der lokalen Fertigung des US-Passats bei 85 Prozent und damit deutlich besser als bei den US-Montagewerken von Daimler und BMW, die Motoren und Getriebe aus Old Germany beziehen.

USA einer der wichtigster Märkte

Die USA gehören zu den wichtigsten und größten Automobilmärkten der Welt. Das Feld wird bestimmt von den drei US-Herstellern GM, Ford und Chrysler sowie den japanischen Herstellern Toyota, Honda und Nissan. Es folgen Hyundai und Kia aus Südkorea und erst an neunter Stelle Volkswagen. Das soll sich schnellstens ändern. Einmal mit einem Technikangebot, das US-Kundenwünschen entspricht. Der Amerikaner - wie auch der Chinese - mag es bequem, deshalb verlängerte VW beim US-Passat, der auch in China angeboten werden soll, den Radstand, reicherte die Ausstattung an und veränderte den Fahrkomfort von sportlich-straff zu bequem-komfortabel. Statt der in Europa geschätzten Hightechextras wie Bi-Xenon-Kurvenlicht oder verstellbare Dämpfer mag der US-Kunde lieber extrastarke Klimaanlagen. Die US-Kunden sind Preis-Leistungs-Fanatiker, die Asiaten legen viel Wert auf Chrom, Holz, Leder und statusbewusstes Design. Klar ist: reduzierte Technik drückt die Preise. Mit seinem neuen Werk in den USA schafft Volkswagen die Basis für das Ziel, bis 2018 den Konzernabsatz in den USA auf eine Million Fahrzeuge jährlich zu steigern und für den Konzern einen Marktanteil von rund sechs Prozent zu erreichen.

Der speziell auf die Bedürfnisse der amerikanischen Kunden zugeschnittene US-Passat aus Chattanooga und der in Mexiko gefertigte Jetta sind Kernelemente der Volkswagen-Offensive in Nordamerika. Bleibt die Frage, ob der deutsche Kunde auch zukünftig den beträchtlichen Aufpreis für Hightech zahlen will oder preisgünstigere Technik vorzieht, die auf den weltweit größten Automobilmärkten Chi-na und den USA - beispielsweise von VW - erfolgreich angeboten wird. Dann könnte das Weltautokonzept als preisgünstige Lowtechlösung aus Übersee auch in Europa realisiert werden.