Der bisherige Porsche-Chef Matthias Müller wird neuer Chef bei VW. Gratulieren kann man ihm dazu eigentlich nicht, meint der Ressortleiter Wirtschaft der StZ, Michael Heller. Müller muss in Wolfsburg an mehreren Fronten kämpfen.

Stuttgart - Der Aufsichtsrat in Wolfsburg hat sich Zeit gelassen mit seiner Entscheidung, und das ist wohl auch als Signal zu verstehen: Seht her, soll das heißen, wir gehen jetzt bei VW mit allergrößter Sorgfalt vor. Herausgekommen ist zunächst einmal das, was eigentlich einhellig alle Beobachter erwartet hatten. Matthias Müller, der Mann von Porsche, wird Vorstandschef von VW. Vor dem 62-Jährigen liegt nun ein Job, zu dem ihn – anders als bei Beförderungen üblich – eigentlich niemand beglückwünschen kann. VW ist binnen weniger Tage in eine historische Krise gerutscht. Gemessen an den möglichen finanziellen Folgen übertrifft der Skandal um manipulierte Abgaswerte in den USA sogar die vor zehn Jahren bekannt gewordene Korruptionsaffäre.

 

Müller muss nun die Vorfälle mit allem Nachdruck und ohne Rücksicht auf Personen aufzuklären versuchen. Mit den beiden Managern Ulrich Hackenberg und Wolfgang Hatz werden wahrscheinlich zwei Männer den Job verlieren, die dem zurückgetretenen Martin Winterkorn ebenso wie Matthias Müller nahe stehen. Sie werden gewiss nicht die einzigen bleiben. Es ist zu hoffen, dass der neue Chef hier mit der gebotenen Freiheit agieren kann. Die ersten personellen Entscheidungen, die der Aufsichtsrat getroffen hat, signalisieren auf jeden Fall, dass wenig für eine kriminelle Verschwörung einzelner Manager in den Vereinigten Staaten spricht. Die Spur führt auch nach Wolfsburg, was wieder die Frage nach der Rolle Winterkorns aufwirft. Gleiches gilt für die Vorgeschichte des Skandals, die bereits vor Monaten begonnen hat. Eine intakte Organisation hätte sich nicht in der geschehenen Weise von den amerikanischen Behörden überraschen lassen.

VW braucht einen Kulturwandel

So steht Müller vor einer doppelten Aufgabe. Einerseits muss er aufklären, wer wo manipuliert hat und für Abhilfe sorgen. Dabei ist er auf Unterstützung angewiesen, die zum Beispiel der Betriebsratschef Bernd Osterloh in Aussicht stellt. Parallel dazu geht es aber auch darum, im Management für einen Kulturwandel zu sorgen. Ein Kenner der Verhältnisse in Wolfsburg hat die Zustände dort einst auf die griffige Formel gebracht, die Führungskräfte seien Ausführungskräfte – des Willens damals von Winterkorn und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch. Keine Offenheit, keine Transparenz, kein Mut zur Übernahme von Verantwortung. Das zu ändern, ist natürlich eine Herkulesaufgabe, aber daran führt kein Weg vorbei. Ein Konzern lässt sich nicht wie eine Armee nach dem Muster Befehl und Gehorsam führen. Der unprätentiöse Matthias Müller, der jahrzehntelange Übung darin hat, in Teams zu arbeiten, bringt die Voraussetzungen dafür mit, diesen Wandel herbeizuführen. Aufgrund seines Alters hat er dafür freilich nicht allzu lange Zeit. Und ganz nebenbei muss er auch noch auf dem Automarkt im Wettbewerb mit den Konkurrenten Punkte sammeln.

Krokodilstränen in den USA

Die Flut an Vorwürfen, die in den vergangenen Tagen über Volkswagen hereingebrochen ist, zeigt freilich, dass hier nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Politik in der Verantwortung steht. Kriminelle Handlungen sind natürlich zu bestrafen. Aber durch die wohl bewusst zugelassene Diskrepanz zwischen Laborprüfwerten und den realen Emissionen im Straßenverkehr tut sich eine Grauzone auf, die erstens zu Manipulationen geradezu einlädt, zweitens aber der überwiegenden Zahl der Autokäufer ziemlich gleichgültig zu sein scheint. Trotzdem müssen diese Werte eng zur Deckung gebracht werden. Denn angesichts der Abhängigkeit Deutschlands von der Automobilindustrie steht die Politik auch in der Verpflichtung, Schaden von den Herstellern abzuwenden. Die Vermutung liegt nicht allzu fern, dass es Krokodilstränen sind, die in den USA über die „bösen“ Deutschen und ihren noch „böseren“ Treibstoff Diesel vergossen werden. Es geht auch um Industriepolitik.