Der frühere Daimler-Vorstand Andreas Renschler soll aus VW, MAN und Scania einen Lkw-Riesen schmieden. Doch Manager aus dem Wolfsburger VW-Konzern sehen Risiken für den Quereinsteiger ohne Netzwerk.

Hannover - Es sieht fast aus wie eine Szene aus einem James-Bond-Film: In der Abenddämmerung rollt ein silberner Lastwagen über die Landebahn des Flughafens Hannover. Am Steuer: Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard. Voraus fährt einer der blinkenden gelb-schwarz lackierten Wagen, die normalerweise Fliegern den Weg weisen. Plötzlich lässt Bernhard das Steuer los, dreht seinen Sitz nach halb rechts, verschränkt die Arme.

 

Andreas Renschlers Erfahrungen bei Daimler sind wertvoll für den VW-Konzern. Foto: dpa
Nun übernimmt der elektronische Highway Pilot. Schnurgerade zieht der Truck seine Spur bis Bernhard wieder übernimmt und den Laster in einen zur Premierenbühne umfunktionierten Hangar steuert. Dort empfangen ihn rund 500 Journalisten aus mehr als 30 Ländern, die das Spektakel auf einer Riesenleinwand verfolgen konnten. Viele jubeln und klatschen, als der Daimler-Vorstand aus dem Fahrerhaus heruntersteigt und sagt: „Ich habe schon viele Wagen bei Premieren auf die Bühne gefahren. Aber heute bin ich zum ersten Mal gefahren worden.“ Die Weltpremiere des autonom fahrenden Lastwagens von Mercedes-Benz zum Auftakt der Nutzfahrzeugschau IAA ist ganz großes Kino. Mit dem „Future Truck“ beginne eine neue Ära des Fernverkehrs, die Fahrzeugstudie sei mit ihrem Design ein großartiges Kunstwerk, biete ein großartiges Paket von Innovationen. „Daimler war immer und wird immer Technologieführer bei den Trucks bleiben“, sagt Bernhard.

Ferdinand Piëch: „Die Besten ködern die Besten“

Auch VW will auftrumpfen im Wettkampf um Aufmerksamkeit vor den Pressetagen der Internationalen Automobil-Ausstellung. Der niedersächsische Platzhirsch hat die Tui-Arena am Messegelände gemietet, in der bei Großveranstaltungen mehr als 10 000 Besucher Platz finden. Die 500 Journalisten verlieren sich fast auf den Rängen an einer Stirnseite der Halle, wo mit einem schwarzen Vorhang eine Showbühne abgetrennt ist. Automobiles Highlight des Abends ist der Pritschenwagen „Tristar“ - eine robust aussehende Studie eines VW-Transporters mit einer ausfahrbaren Schublade für schmutzige Gummistiefel. Der Wagen hat auch eine eingebaute Espressomaschine. VW-Markenchef Eckhard Scholz schwärmt von einem „wunderschönen Auto“. In Serie produziert wird dieses Showcar indes wohl nie.

Anders als in der Pkw-Sparte, wo die Neuheiten der Konzernmarken von Bugatti bis VW in einer gemeinsamen Abendveranstaltung präsentiert werden, marschieren die Nutzfahrzeugmarken auf Messen getrennt. Der IAA-Abend in Hannover gehört der Marke VW, die Spitzenmanager von MAN und Scania sind lediglich Zuschauer.

Und auch sonst gibt es bisher nur wenig Gemeinsamkeiten zwischen den Marken. Doch der VW-Patriarch Ferdinand Piëch verfolgt mit zäher Energie seine Vision, aus der Nutzfahrzeugmarke VW gemeinsam mit MAN und Scania einen Riesen zu schmieden, der Daimler Paroli bieten kann. Bisher hat ihm jedoch der richtige Schmied gefehlt. Vor vier Jahren übernahm Jochem Heizmann den neu geschaffenen Vorstandsposten des Konzern-Nutzfahrzeugchefs. Die Welt der großen Laster war und blieb für den Produktionsexperten Heizmann jedoch ein fremdes Terrain. Vor zwei Jahren wurde er bereits wieder abgelöst. Nun sollte Scania-Chef Leif Östling dafür sorgen, dass MAN und Scania an einem Strang ziehen. Doch der Schwede, ein Urgestein der Ertragsperle Scania, war Partei und schaffte es nicht, die Eifersüchteleien der beiden stolzen Marken zu beseitigen. Im dritten Anlauf soll es nun der frühere Daimler-Nutzfahrzeugchef Andreas Renschler richten, den Piëch von den Stuttgartern weglockte. „Die Besten ködern die Besten“ triumphierte Piëch im Januar, als ihm sein großer Coup gelungen war.

Auf dem Papier eine Idealbesetzung

VW kann trefflich von Renschlers Erfahrungsschatz als Lkw-Chef von Daimler lernen, der nun im Wettbewerb gegen seinen Ex-Kollegen Wolfgang Bernhard antreten muss. Die Stuttgarter liegen als größter Lastwagenhersteller weltweit vor dem Wolfsburger Konzern, der unter anderem auf dem wichtigen US-Markt eine große Lücke hat. Schritt für Schritt wurde bei Daimler in den vergangenen Jahren damit begonnen, diese Größenvorteile in Gewinn umzumünzen, indem Baukästen für bestimmte Komponenten geschaffen wurden, die mehrere Marken teilen. Die Wolfsburger können davon nur träumen, wenngleich MAN-Nutzfahrzeugchef Anders Nielsen am Dienstag auf der IAA bekannt gab, dass man nun mit Scania gemeinsame Sache bei Getrieben machen will.

Wolfgang Bernhard wird zum Konkurrenten seines ehemaligen Kollegen. Foto: Achim Zweygarth
Auf dem Papier erscheint Andreas Renschler fast so etwas wie eine Idealbesetzung zu sein. Doch zwischen Theorie und Praxis klafft bisweilen eine Lücke. Dies musste auch der heutige Daimler-Lkw-Chef Wolfgang Bernhard leidvoll erfahren, der nach einem Intermezzo in Wolfsburg wieder nach Stuttgart zurückkehrte. Die Nutzfahrzeugmanager des VW-Konzerns warten gespannt auf den Antritt Renschlers im nächsten Februar. Der künftige Lkw-Chef sei eine „black box“, beschreibt ein Manager die Ungewissheit über den künftigen Kurs und gibt zu bedenken, dass Quereinsteiger ohne Netzwerk sich schwertun mit der ganz eigenen Unternehmenskultur des Wolfsburger Konzerns. Renschler hat seine gesamte bisherige Karriere bei Daimler gemacht. Wie Renschler denn so sei, will ein anderer Manager von dem Gast aus Stuttgart wissen. Er habe gehört, so fügt der VW-Mann hinzu, dass der 56-jährige Schwabe recht aufbrausend sein könne.

Im Wettkampf sehen sich MAN und Scania gut positioniert

Im technischen Wettlauf mit Daimler sehen sich die Lkw-Töchter des Wolfsburger Konzerns ganz gut positioniert, wie Scania-Chef Martin Lundstedt und MAN-Chef Georg Pachta-Reyhofen am Rande der VW-Premiere versichern. Die große Show von Wolfgang Bernhard mit dem autonom fahrenden Lastwagen „lässt mich persönlich kalt“, meint Pachta-Reyhofen. Denn „das alles ist ja noch in einem ganz frühen Stadium“.

Der MAN-Chef plädiert eher dafür, Neuheiten erst dann vorzustellen, wenn der Kunde sie auch kaufen kann, immer ausgefeiltere Assistenzsysteme auf den Markt zu bringen und sich so schrittweise dem autonomen Fahren zu nähern. Wer ein Feld sehr früh beackere, so Pachta-Reyhofen, riskiere, bei Verzögerungen in ein paar Jahren mit unangenehmen Fragen konfrontiert zu werden. Dann könne es heißen, so der MAN-Chef: „Wo bleibt denn jetzt die Serienfertigung?“