Karl Vettel konstruierte sein ganzes Berufsleben lang Autos. Porsche und Volkswagen waren dabei. Angefangen hatte er aber mit einer der Stilikonen der Mobilität schlechthin: dem VW-Bus T1. Wie blickt einer wie er auf sein Erbe?

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Sindelfingen - Karl Vettel hat einen Popstar erschaffen. Eine Ikone der Automobilwelt, die immer noch bei Treffen geehrt wird. Ein Fahrzeug, das für viele Deutsche mit dem Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist: Handwerker luden Holz und Werkzeug in den Wagen, deutsche Familien machten damit ihre ersten Urlaube. Es war auch ein Auto, das für viele ein Freiheitsversprechen war: Unzählige Joints wurden in diesem Wagen geraucht, Hippies fuhren in Scharen damit gen Osten, um irgendwann in Goa in Indien zu landen. „Ah ja, der Bus“, sagt Vettel dann über den VW-Bus. Als würde ihn der Kult um sein Auto nicht berühren.

 

Heute sitzt Vettel – 92 Jahre, aschgraue Haare, wache Augen – in einem Altersheim in Sindelfingen. In seinem Zimmer hängt ein Kalender mit Bullis, so werden die Busse von ihren Fans genannt. An der Zimmertür klebt eine Bleistiftskizze des Wagens, die hat Vettel gezeichnet. Wie er das früher oft getan hat. Vettel war Konstrukteur bei VW. Er war einer von zwölf Ingenieuren, die den T 1 erschaffen haben, so wird die erste Generation des Transporters genannt. Das ist seine Lebensleistung.

„Ich war der erste im Stift“

Mit einem Kollegen war er für die Karosserie zuständig. Die lieb dreinblickenden Scheinwerfer, die runden Formen – wahrscheinlich sähe der Wagen ohne Vettel anders aus. Die zu einer Spitze zulaufenden Linien an der Front, das charakteristischste Merkmal des Bulli, sie stammen aus seiner Feder. Groß raushängen lässt Vettel das nie. „Die Ära war dann abgeschlossen“, sagt Vettel, wenn man ihn auf das Erbe des Bulli anspricht. Seine prägenden Jahre als junger Erwachsener verbrachte er bei VW in Wolfsburg, dann zog es ihn nach Stuttgart zu Porsche. Aber ganz so abgeschlossen ist die Ära nicht, das merkt man, wenn man mit Vettel in die Geschichte des Bulli eintaucht. Eine Geschichte, die auch seine ist.

Als Vettel ein junger Bursche war, bekam der Vater einen Job im VW-Werk, die Familie zog nach Wolfsburg – von Heppenheim, wo auch der gleichnamige Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel herkommt. Wenig später fing auch Karl Vettel bei VW an. „Ich war der erste Stift im Werk“, sagt er. Stift, das ist ein Lehrling. Das VW-Werk, das ganze Drumherum, „war meine Heimat“, sagt er.

Diese Heimat musste Vettel im Krieg verlassen, er war als Funker in Berlin stationiert. Als er wieder zu VW kam, stieg er zum Konstrukteur auf. Und er machte das gern. Wegen der Entwicklungsmöglichkeiten, sagt er nüchtern, wie das Menschen oft tun, die den Krieg erlebt haben. Er hat das Thema Auto gelebt, sagen Leute, die ihn gut kennen.

Lebenlang ein Brett vorm Kopf

Während viele Kollegen in die Versuchsabteilung wechselten, hatte er weiterhin Spaß daran, Linien auf ein Blatt Papier am Reißbrett zu zeichnen. „Ich habe mein Leben lang ein Brett vor dem Kopf gehabt“, sagt Vettel immer wieder, ein Konstrukteurswitz. Dann grinst er, man spürt ein bisschen Stolz bei Vettel, der manchmal vergisst, was am Tag zuvor geschehen ist, sich aber gut an früher erinnert. Irgendwann war Vettel gemeinsam mit einem Kollegen für die Karosserie des T1 verantwortlich. An die Mannschaft kann er sich gut erinnern. Der Co-Zeichner an der Karosserie, ein Ostpreuße, mit dem war gut arbeiten. Der Leiter der Konstruktionsabteilung? Recht ausgeglichen, der ließ keinen Chef raushängen.

Über manches legt sich aber ein grauer Schleier, der die Erinnerung verblassen lässt. Wie die an der Front spitz zulaufenden Linien entstanden sind? Warum die Chromleisten darauf dazugekommen sind? Er schaut einen dann mit seinem gutmütigen Blick an, als hätte man selbst gerade Blödsinn erzählt und er würde das überspielen, so wie Großväter das manchmal mit flunkernden Kindern tun. Und dann erzählt er einfach anderswo weiter.

15 Jahre lang blieb Vettel bei VW, viele Jahre davon begleitete er den Bulli. „Das war eine schöne Zeit“, sagt Vettel, und das klingt nüchtern. Mehr sagen seine Augen, die zu leuchten beginnen. Warum er wegging? „Ich wollte mal von zu Hause weg“, sagt er. Bei Porsche in Stuttgart lernte er seine Frau kennen, sie bekamen Kinder, die Familie zog in ein Haus auf dem Land. Er arbeitete am Porsche Targa mit und kaufte für seine Familie einen Audi, wegen des Platzes, später fuhr er Porsche. Einen Bulli besaß Vettel nie, und lange sprach er auch nicht darüber.

Er habe erst in den letzten Jahren begonnen, so richtig darüber zu reden, sagt sein Sohn Guido Vettel. „Immer wenn er einen Bus sieht, sagt er, ‚das ist mein Baby‘.“ Aber der Sohn glaubt, dass seinem Vater gar nicht klar ist, welcher Kult um den Wagen entstanden ist, den er erschaffen hat. Vielleicht ist Karl Vettel aber nur zu bescheiden, um es zuzugeben.