Ein Austausch von VW-Vorstandschef Matthias Müller wäre richtig – aber nicht weitgehend genug, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Wenn nichts Ungewöhnliches mehr passiert, dann wird VW, der größte Autobauer der Welt, in sehr kurzer Zeit einen neuen Chef haben. Eine offizielle Mitteilung über eine mögliche „Veränderung im Amt des Vorstandsvorsitzenden“ hat wohl noch kein Unternehmenschef im Amt überlebt. Matthias Müller wird da keine Ausnahme machen, zumal der Name seines potenziellen Nachfolgers – VW-Markenchef Herbert Diess – längst kolportiert wird.

 

Ein solcher Schritt, angetrieben offenbar von den Eigentümerfamilien Piëch und Porsche, wäre einerseits richtig – und andererseits nicht weitgehend genug. Richtig wäre er, obwohl es Müller gelungen ist, die Milliardenlasten aus dem Dieselbetrug abzufedern und die Wolfsburger nach dem vergifteten Erbe von Vorgänger Martin Winterkorn vor dem Schlimmsten zu bewahren. Und doch: Für einen glaubwürdigen Neuanfang nach den kriminellen Machenschaften im Zuge der Dieselaffäre stand Müller nicht. Dabei wäre das gerade in dem Unternehmen, dessen Kultur solche Verbrechen offenbar möglich machten, erforderlich gewesen.

Der von VW ausgelöste Dieselskandal ist in seiner Wirkung auf die Öffentlichkeit für die Autobranche, was die Lehman-Pleite für die Banken war: Ein brutaler Vertrauensverlust ist die Folge. Wer das nicht sah und wahrhaben wollte, war Matthias Müller. Das hat er in diversen Interviews und öffentlichen Stellungnahmen deutlich gemacht: Demut ist sein Ding nicht. Wenn also sein Nachfolger für einen Kulturwandel an der Spitze Volkswagens stehen sollte, kann das nur gut sein.

Volkswagen ist ein Biotop für Skandale

Andererseits haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so viele Beteiligte den Konzern zur Beute gemacht, dass eine simple Personalrochade selbst auf dem wichtigsten Posten kaum eine durchgreifende Besserung auslösen kann. Seit vielen Jahren ist Wolfsburg ein Biotop für Skandale – ob Umweltvergehen, Industriespionage oder Bordellbesuche für käufliche Betriebsräte –, weil das am Unternehmen beteiligte Land Niedersachsen, die Betriebsräte und die Manager jeder auf eigene Rechnung agieren können. In Wolfsburg herrschen nicht die in anderen Unternehmen üblichen Checks and Balances zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, Gewerkschaften und Eigentümern, beobachtet und kontrolliert von einer interessierten Öffentlichkeit. In Wolfsburg wäscht eine Hand die andere. Das ist das Kernproblem von VW, das die Eigentümerfamilien Piëch und Porsche lösen müssten. Der Wechsel des Vorstandschefs ist dafür nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung.