Die Verbraucherzentralen wollen ein Frühwarnsystem aufbauen, mit dem Fehlentwicklungen auf Finanzmärkten und bei digitalen Geschäften schneller erkannt werden.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Klaus Müller, der oberste deutsche Verbraucherschützer, will mit neuen Finanz- und Digitalmarktwächtern ein Frühwarnsystem aufbauen. Fehlentwicklungen sollen dadurch künftig rascher erkannt werden.

 
Herr Müller, die Finanz- und Digitalmärkte sollen künftig auch von Verbraucherschützern besser überwacht werden. Warum?
Bisher findet eine solche Marktbeobachtung aus der Perspektive der Verbraucher nicht statt. Ob Versicherungen, Geldanlagen, Telefonverträge oder Suchmaschinen – es gibt zwar bei unseren 16 Verbraucherzentralen bundesweit jede Menge Beschwerden. Aber es fehlt an der systematischen Auswertung, damit die Politik, Aufsichtsbehörden, Branchenverbände und Unternehmen Fehlentwicklungen schnell erkennen und im besten Fall zügig abstellen können. Dazu sollen künftig der Finanzmarktwächter und der Marktwächter Digitale Welt ihren Beitrag leisten. Diese beiden Aufgaben sollen jeweils fünf unserer Verbraucherzentralen in Kooperation mit dem Dachverband VZBV übernehmen.
Wie viele Beschwerden gibt es?
Voriges Jahr zählten unsere rund 200 Beratungsstellen fast 1,2 Millionen Fälle. Davon betrafen knapp 300 000 Beschwerden den Finanzmarkt, bei weiteren 190 000 ging es um digitale Angebote, zum Beispiel das Einkaufen im Internet. Diese beiden Bereiche machen uns am meisten zu schaffen.
Wie soll das Frühwarnsystem konkret funktionieren?
Die Beschwerden werden erfasst und ausgewertet, um zu sehen, wo Verbrauchern der Schuh drückt. So lässt sich zum Beispiel ein neues Schneeballsystem auf dem grauen Finanzmarkt hoffentlich besser erkennen. Auch der Skandalfall Prokon hätte vielleicht nicht solche Ausmaße bekommen. Je nach Lage werden wir Daten und Erkenntnisse an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht oder an die Bundesnetzagentur, das Bundeskartellamt und die Datenschutzbehörden weiterleiten. Und natürlich werden wir je nach Problemlage die Öffentlichkeit informieren, um die Verbraucher zu warnen.
Passiert das alles nicht schon längst?
Im Einzelfall schon, aber nicht so systematisch, wie es nötig ist. Natürlich kann sich jeder Verbraucher auch künftig bei den zuständigen Aufsichtsbehörden beschweren. Aber wer zu uns kommt, kann sicher sein, dass er beraten, sein Fall rundum erfasst und bei Bedarf weitergeleitet wird. Das macht es den Verbrauchern einfacher, ihre Beschwerden zielsicher vorzubringen.
Warum kommen dann die Marktwächter erst jetzt?
Das Verfahren ist sehr aufwändig. Unsere Verbraucherzentralen bieten den Hilfesuchenden zunächst einmal eine gute Beratung. Der Aufbau eines einheitlichen Erfassungssystems ist nicht billig. Hier fehlte lange auch der politische Wille, uns dabei zu unterstützen.
Die frühere CDU/FDP-Bundesregierung hatte die Marktwächter noch abgelehnt. Da gab es ein Umdenken?
Zum Glück. Die große Koalition hat offenere Ohren, die Union und die SPD unterstützen unser Anliegen. Verbraucherinteressen haben einen höheren Stellenwert bekommen. Entscheidend war sicher, dass Bundesverbraucherminister Heiko Maas von der SPD das Thema Marktwächter zur Chefsache gemacht hat.
Für das Projekt sollen rund 50 neue Stellen entstehen. Wie wird das finanziert?
Die Bundesregierung unterstützt das Vorhaben zunächst von 2015 bis 2017 mit 5,6 Millionen Euro pro Jahr. Aber Fortsetzung und Ausbau sind geplant. Wir werden natürlich dafür werben, dass diese Förderung erhalten bleibt. Denn aus eigener Kraft können wir das nicht leisten. Wir hoffen, dass die hohe Qualität unserer Arbeit und der Daten für sich spricht.
Wird der Verbraucherschutz in Deutschland ausreichend von der Politik unterstützt?
Da gibt es zweifellos Nachholbedarf. Je nach Bundesland sind die Unterschiede groß. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen und Niedersachsen sind sicher als positive Beispiele zu nennen. In anderen Ländern wäre deutlich mehr Unterstützung nötig, damit die Verbraucherzentralen den Bürgern helfen können, sich in der immer komplizierter werdenden Konsumwelt zurechtzufinden.
Wo sehen Sie in Zukunft die größten Herausforderungen für den Finanzmarktwächter?
Die extrem niedrigen Zinsen sind zwar ein Segen für Verbraucher, die Kredite benötigen. Aber gleichzeitig wächst die Gefahr, dass Anleger auf riskante und unseriöse Angebote hereinfallen, besonders auf dem grauen Kapitalmarkt. Denn zum einen ist die Versuchung für Verbraucher groß, höhere Zinsen zu erzielen, wenn man mit Sparkonten kaum noch Rendite erzielt. Und zum anderen wächst erfahrungsgemäß in Zeiten billigen Geldes die Kreativität der Anbieter, immer neue riskante Finanzprodukte auf den Markt zu werfen.
Auch auf den Onlinemärkten scheint der Wildwuchs eher noch zuzunehmen.
Die Tricks mancher Anbieter werden immer ausgefeilter. Nehmen wir die beliebten Suchmaschinen, denen viele Verbraucher fast blind vertrauen. Wer weiß schon, dass die Preisangebote, die man auf eine Suchanfrage erhält, nicht selten davon abhängen, ob man auf einem teuren iPad surft oder auf einem alten PC. Zudem kann der Preis der Angebote steigen, wenn man mehrfach nach demselben Produkt fragt. Das sind Entwicklungen, die unser Marktwächter Digitale Welt künftig genau beobachten wird.
Man hat nicht den Eindruck, dass auf den Finanz- und Digitalmärkten die Anbieter und Verbraucher auch nur annähernd auf Augenhöhe agieren. Wie sehen Sie das?
Diese Augenhöhe hat es in diesen Märkten nie gegeben. Wer ein Hemd oder ein Paar Socken kauft, weiß nach ein paar Wäschen, ob es ein gutes Produkt ist. Wer eine Finanzanlage, zum Beispiel eine Riester-Rente, abschließt, weiß oft erst nach Jahrzehnten, ob das eine gute Idee war. Darum ist gerade hier ein starker Verbraucherschutz nötig, sonst wird der Vertrauensvorschuss der Kunden missbraucht.
Mit welchen Widerständen rechnen Sie? Wenn der Finanzmarktwächter vielleicht die Geschäftsmethoden einer großen Bank kritisiert, wird das kaum auf Begeisterung stoßen. Bleibt es dann bei bloßen Appellen?
Der Finanzmarktwächter kann natürlich nicht die Aufsichtsbehörden ersetzen. Aufgabe. Auch für strengere Gesetze ist er nicht zuständig, dafür sind die Parlamente und die Regierung verantwortlich. Aber wir werden die belastbaren Informationen über Fehlentwicklungen liefern, vor allem an die staatliche Finanzaufsicht, deren Kompetenzen gestärkt wurden, und selber rechtliche Schritte ergreifen.
Als Sie vor einem Jahr als VZBV-Vorsitzender antraten, forderten Sie die Abschaffung des provisionsgesteuerten Verkaufs von Finanzprodukten. Gibt es hier Fortschritte?
Da sind noch dicke Bretter zu bohren. Die Lobby, die daran festhalten will, ist sehr stark. Klar aber ist: Den Verbrauchern ist nicht damit gedient, wenn ihnen die Versicherungen oder Geldanlagen verkauft werden, an denen vor allem Berater und Vertreter gut verdienen. Hier ist zumindest mehr Transparenz nötig. Daran fehlt es. Das Thema bleibt auf der Agenda.