Wadi Rum in Jordanien Mars auf Erden
In der surrealen Landschaft des jordanischen Wadis Rum fühlt man sich wie im Weltall und sieht das Firmament zum Greifen nah. Die einheimischen Beduinen wissen das Science-Fiction-Gefühl zu inszenieren.
In der surrealen Landschaft des jordanischen Wadis Rum fühlt man sich wie im Weltall und sieht das Firmament zum Greifen nah. Die einheimischen Beduinen wissen das Science-Fiction-Gefühl zu inszenieren.
Der Wind hat Streifenmuster in den zimtfarbenen Sand gegraben. Hier und da recken sich bizarr verwitterte Granitfelsen aus dem Boden, teils Hunderte Meter hoch. Mit etwas Fantasie lassen sich im Gestein die wildesten Formen erkennen. Riesige Zähne wurzeln neben Atom-Pilzen, ein von der Erosion angenagter Kuchen steht neben Quallen und fliegenden Untertassen.
Diese surreale Landschaft formte sich vor rund 30 Millionen Jahren, 2011 hat sie die Unesco als Kultur- und Naturerbe geadelt. „Unsere kleine Karawane wurde nachdenklich und keiner sprach mehr ein Wort. Man fühlte sich beängstigt und beschämt, sich mit seiner Geringfügigkeit breitzumachen inmitten dieser riesenhaft ragenden Berge“, schreibt der britische Offizier Thomas Edward Lawrence in „Die sieben Säulen der Weisheit“ über das Wadi Rum.
Der Waliser kämpfte hier Anfang des 20. Jahrhunderts an der Seite der Haschemiten gegen die Osmanen und verhalf der jordanischen Königsfamilie zur Macht. Als „Lawrence von Arabien“ wird er bis heute nicht nur im Land jenseits des Jordans verehrt. Mit den besagten Säulen, die seinen Memoiren den Titel gaben, ist eine besondere Felsformation gemeint – zu bewundern gleich hinter dem Besucherzentrum am Eingang des Naturreservats.
Klar, dass die Verfilmung dieses aufregenden Lebens mit Peter O’Toole in der Hauptrolle 1962 mitten in der wundersamen Kraterlandschaft stattfinden musste. Das Wadi Rum diente seither oft als Drehort. Die karge, steinige Mondlandschaft ist prädestiniert als Science-Fiction-Kulisse. Wenn nicht gerade Hollywood zu Gast ist, begegnet man in der jordanischen Wüste keinem extraterrestrischen Leben, sondern freundlichen Beduinen. „Das Umherwandern hat schon mein Großvater aufgegeben“, erzählt Muhammad Salem (47).
Sein vielköpfiger Clan wurde vor Jahrzehnten im kleinen Ort Disi sesshaft. In diesem Teil der Wüste gibt es ein bisschen Grundwasser, daher wachsen sogar Pflanzen wie Akazien, Wüstenfenchel oder Pistazienbäume. Statt von der mobilen Viehzucht leben die Familien vom Tourismus und der Landwirtschaft. Die Regierung des Königreichs unterstützt Beduinen, die sich einen festen Wohnsitz suchen. Denn das ist ein Beitrag zur Bildung, die Kinder können so zur Schule gehen.
Die Bewohner machen sich das Mond-Image geschickt zunutze: Inspiriert von Ridley Scotts Oscar-nominiertem Film „Der Marsianer“ aus dem Jahr 2015 sind Dutzende futuristischer Hotelanlagen aus dem Wüstenboden gewachsen. Wie Boulekugeln für Riesen kullern halbrunde Häuschen im Sand. In den Übernachtungskugeln können sich Touristen der Natur ganz nah fühlen. Innen warm, außen Wildnis, wohnen in der Blase, aber mit eigenem Badezimmer und Blick bis zum Horizont.
Muhammad Salem wohnt mit Frau und fünf Kindern in einem klassisch gemauerten Haus, gelb getüncht. Gattin Mona Abdallah (37) hat für die Gäste Reis mit Hühnchen gekocht. Dazu gibt es die in Jordanien obligatorischen Vorspeisen – Mezze genannt: frisches Fladenbrot, cremigen Hummus und rauchige Auberginenpaste. Die Söhne Ali (11) und Odeye (8) schenken Tee aus.
Nach dem Mahl präsentiert die Familie eine Überraschung: Die Kamelstute Shahaga hat ein Fohlen bekommen. Noch ganz klebrig kniet das Kleine im Staub und müht sich, die dürren Beinchen zu sortieren. Doch der neue Erdenbürger plumpst immer wieder um, begleitet von entzückten Jauchzern der Menschen. Die Mama wackelt besorgt mit dem Kopf und stupst das Kleine immer wieder an. „Es muss stehen können, sonst kann es nicht trinken“, erklärt Salem und fragt, ob jemand einen Namen vorschlagen möchte. Die große Schwester heißt Stern. Also vielleicht Sonne? Oder Mond?
Einen Steinwurf von Salems Heim entfernt befindet sich die „Disi Women’s Cooperative“. Die Bürgermeistergattin Qutanah Huwaitat rief den Verein 2010 ins Leben, um sich für die Stärkung von Beduininnen einzusetzen. Die Kooperative gibt bedürftigen Frauen Arbeit. Sie stellen Töpferwaren her, flechten Armbänder oder nähen Tischdecken. Die Produkte sind tolle Mitbringsel für diejenigen, die keine Lust auf den überall auf der Welt zu findenden Tand aus chinesischer Massenproduktion haben. 310 Frauen sind im Moment hier beschäftigt.
„Ich musste meinen Mann erst überzeugen, dass ich mitmachen darf“, sagt Bakeeth Suleem Al-Zawidah. Sie hat den Gatten schließlich mit einem teuren Parfum bestochen. „Die Beduinengesellschaft ist noch konservativer als wir anderen Araber“, sagt Reiseleiter Ayman Tadros, der als Übersetzer dabei ist, denn die Frauen sprechen kein Englisch.
In Gewächshäusern der Kooperative gedeihen Oregano, Thymian und Minze. Nebenan steht die Baumschule, wo Weißer Saxaul gezüchtet wird. „Diese Pflanze speichert nicht nur Wasser, sie fixiert auch erodierte Böden, was die Gefahr von Sandstürmen verringert und die weitere Versteppung aufhalten soll“, sagt Jad Zawaidah von der Nichtregierungsorganisation Wadi Jordan.
Mit seinem Pick-up brettert Muhammad Salem rasant über die Dünen, auf der umgebauten Ladefläche krallen sich die Touristen fest, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Die meisten Besucher haben sich die landestypischen weiß-roten Tücher um den Kopf geschlungen. Das hat mehr als modische Gründe, es schützt auch Nase, Mund und Ohren vor umherfliegenden Sandkörnern und der unbarmherzig brennenden Sonne.
Westliche Stadtmenschen hoffen, in den grandiosen arabischen Weiten ein seltenes Gefühl von Verlassensein zu erfahren. An den besonders fotogenen Stellen ist man aber alles andere als allein. Muhammad Salem kurvt um einen Felsen, der aussieht wie ein riesiger Dino-Schädel. Dahinter geht es zu wie auf einem amerikanischen Supermarktparkplatz kurz vor Thanksgiving.
Dutzende Pick-ups parken Seite an Seite vor einer Laune der Natur: eine natürliche Brücke. Horden italienischer Touristen steht brav Schlange für einen Instagram-Schnappschuss. Zum Glück verlassen sie den Platz schnell wieder, denn zum Wüstenerlebnis gehört unbedingt eine Runde Kamelreiten – eine höchst schwankende Angelegenheit, die später einen ausgewachsenen Muskelkater zur Folge haben wird.
Nachts wölbt sich über der Wüste ein fantastisch klarer und einmalig heller Sternenhimmel, denn es gibt hier kaum Lichtverschmutzung. Fakhri Alalami von Wadi Rum Sky erklärt die Konstellationen am Firmament und wie sich die Beduinen daran orientieren. „Mit Abstand am hellsten leuchtet nicht etwa der Nordstern, sondern Sirius“, sagt er und lädt ein, durch eines seiner hochmodernen Teleskope zu blicken. Tatsächlich: scharf wie ein Laserstrahl im Science-Fiction-Film.
Anreise
Flüge in die jordanische Hauptstadt Amman zum Beispiel mit Royal Jordanian, www.rj.com.
Unterkunft
Mitten in der Wüste befinden sich einige futuristische Bubblehotels, in denen man sich so fühlt wie auf einem fremden Planeten. Zum Beispiel das Sun City Camp, www.suncitycamp.com, Hasan Zawaideh Camp, www.hasanzawaidehcamp.com, Wadi Rum Bubble, www.wadirumbubble.com, oder Sharah Luxury Camp, www.sharahluxurycamp.com. Die Preise für eine Nacht inkl. Vollpension liegen zwischen 50 und 250 Euro. Zu jeder Anlage gehört auch ein eigenes Restaurant, in dem Essen vom Büfett serviert wird.
Aktivitäten
Jordanien-Reisen inklusive Wüstenaufenthalt im Wadi Rum kann man zum Beispiel bei Marco Polo buchen, www.marco-polo-reisen.com. Eine geführte Tour zur Sternebeobachtung bei Rum Sky kostet pro Person 22 Dinar, umgerechnet 28,75 Euro. Infos und Buchung unter www.rum-sky.com.
Allgemeine Informationen
Jordanisches Fremdenverkehrsamt, www.visitjordan.com