Es ist eine neue Variante der Politik des Gehörtwerdens: die Regierung lässt Wähler in der Provinz diskutieren – und hört im Nebenzimmer mit. Was im Odenwald Wirbel auslöste, nennt sich „qualitative Meinungsforschung“.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Fernab von Freiburg muss Silke Krebs nicht unbedingt damit rechnen, erkannt zu werden. Die Ministerin im Staatsministerium wirkt lieber als effiziente Strippenzieherin hinter den Kulissen, auf landesweite Popularität legt sie keinen Wert. Doch ausgerechnet fast 300 Kilometer nördlich ihrer Heimatstadt, in Hardheim im Neckar-Odenwald-Kreis, wurde die Grüne kürzlich gewissermaßen enttarnt. Der Wirt des Ochsen identifizierte sie als Gast, machte daraus keinen Hehl – und brockte der Regierungszentrale so eine kurzzeitig schwierige Debatte ein.

 

Eigentlich war Krebs ganz diskret in das stattliche Dorfgasthaus gekommen. Ihr Interesse galt einer Veranstaltung, zu der im Auftrag des Staatsministeriums eingeladen worden war. Thema: „Das Leben in Hardheim heute und morgen – Erwartungen an die Politik“. Gastgeber waren vordergründig zwei Marktforschungsinstitute: MWO aus Würzburg (Slogan: „Mit Wissen optimieren“) und das Heidelberger Institut für Zielgruppenkommunikation, kurz IfZ. In der Diskussionsrunde mit den bunt zusammengewürfelten Teilnehmern versuchte der IfZ-Chef Thomas Wind zu ergründen, was die Hardheimer so alles beschäftigt – von der Einkaufssituation über den Nahverkehr bis zur bevorstehenden Schließung von Bundeswehreinrichtungen. Angesprochen wurden auch die Zufriedenheit mit der Landespolitik und die Wünsche an die Regierung in Stuttgart. Ganz oben auf der Liste: eine Umgehungsstraße.

Wirbel um „Politik des Belauschtwerdens“

Offiziell wusste die Runde im Ochsen zunächst nur, dass sie an einer Untersuchung teilnahm und das Gespräch per Videoübertragung von einem Vertreter des Auftraggebers verfolgt wurde. Dass die Landesregierung dahintersteckte, dürfte den Teilnehmern schon gedämmert sein, ehe es am Ende verraten wurde. Vom Besuch der Staatsministerin indes, die inkognito in einem Nebenraum am Fernseher saß, erfuhren sie erst, als diese schon wieder abgereist war – dank des kundigen Wirtes. Prompt gab es in Hardheim erhebliche Aufwallungen. Was seien denn das für geheimniskrämerische Methoden, wurde gefragt. „Hinter’s Licht geführt“, betitelte die Lokalzeitung ihren Kommentar und monierte, man lebe schließlich nicht mehr in Zeiten, wo einen Kritik an der Obrigkeit an den Galgen bringe. Auch in Stuttgart gab es zunächst Kopfschütteln über die „Politik des Belauschtwerdens“. Die „schräge Nummer“ passe nur zu gut zu der Staatsministerin, der ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis nachgesagt wird; Krebs überwache sogar den Klopapierverbrauch ihrer Mitarbeiter, lästern grüne Spötter.

Die Vorteile der qualitativen Meinungsforschung

Erklärungsbedürftig ist die Aktion in der Tat, aber auch erklärbar. „Qualitative Meinungsforschung“ war es, woran die Hardheimer mitwirkten. Bekannter und gebräuchlicher ist in der Politik die quantitative Variante, also Erhebungen in einer repräsentativen Personengruppe, samt der klassischen „Sonntagsfrage“ nach der Wahlabsicht. „Wenn es darum geht, die politische Stimmung im Land, die Wahrnehmung von Politikern und Parteien, Verständnis und Akzeptanz politischer Programme und Maßnahmen und letztlich auch das Wahlverhalten differenziert und detailliert zu erfassen und zu erklären, greift der quantitative Ansatz zu kurz“, erläutert der IfZ-Chef Wind auf seiner Homepage. Tiefere Einsichten gewähre erst der offene Dialog mit den Bürgern. Gerade „Fokusgruppen“ – wie jene im Ochsen – seien „ein hochsensibles Diagnoseinstrument“, um emotionale und rationale Haltungen zu erfassen. Den oft mit einer gewissen „Betriebsblindheit“ geschlagenen Politikern gäben die Ergebnisse wertvolle Hinweise – „auf die richtige Sprache und Tonalität ebenso wie auf die adäquaten Botschaften und Argumentationsstränge“.

Der Fokus des Staatsministeriums bei der Untersuchung (Kosten: 30 000 Euro) lag auf dem ländlichen Raum, wie ein Sprecher erläuterte. Hardheim war eine von fünf kleineren Gemeinden, in denen die grün-rote Regierung dem Volk derart aufs Maul schaute; die Tour endete kürzlich in Endingen am Kaiserstuhl. Die Ergebnisse würden nun systematisch ausgewertet.

Auftraggeber hinter verspiegelter Glasscheibe

Silke Krebs hätte gerne an der Diskussion teilgenommen, hieß es, sei aber „aus wissenschaftlichen Gründen“ daran gehindert gewesen: Um authentische Antworten zu bekommen, könnten sich die Auftraggeber zunächst nicht zu erkennen geben. Gleichwohl habe sich die Ministerin einen „persönlichen Eindruck“ von der Befragung verschaffen wollen. Das ist bei der qualitativen Meinungs- oder Marktforschung durchaus üblich. In Institutsräumen gibt es dafür einseitig verspiegelte Glasscheiben, hinter denen Vertreter der Auftraggeber die Diskussion verfolgen, ohne selbst gesehen zu werden.

Dorfgasthäuser wie der Ochsen sind damit in der Regel nicht ausgestattet.