Die Politik muss andere Wege finden, bisherige Nichtwähler anzusprechen. So lassen sich Jungwähler zum Beispiel über soziale Medien ansprechen, sagt der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg, Michael Wehner, im Interview.

Stuttgart - Die Wahlbeteiligung ist der wichtigste Indikator für das Interesse und die Beteiligung von Bürgern an der Demokratie. Wer nicht wählen geht – wie jüngere und ärmere Menschen – verschenkt Einfluss.

 
Herr Wehner, wovon hängt es ab, ob Menschen zur Wahl gehen oder nicht?
Vom politischen Interesse, vom Lebensalter, aber auch vom Bildungsgrad, Einkommen und der sozialen Lage.
Wie lassen sich bisherige Nichtwähler erreichen?
Durch persönliche Ansprachen, soziale Vorbilder, aufsuchende Angebote der politischen Bildung, aber auch niedrigschwellige Internetangebote überparteilicher Einrichtungen wie den Wahl-O-Mat oder WhatsApp-Infokanäle.
Von der wachsenden Beteiligung hat zuletzt vor allem die rechtspopulistische AfD profitiert. Was können die anderen Parteien tun, um Wähler zurückzugewinnen?
Sie müssen sich mehr um die Sorgen, Nöte und Anliegen der Protestwähler kümmern und deutlich machen, dass sie das verlorene Vertrauen zurückgewinnen wollen, kurzum politische Lösungen präsentieren und Überzeugungsarbeit leisten. Die Wahlerfolge populistischer Parteien waren ja auch ein Warnsignal an die anderen Parteien, sich wieder vermehrt um verloren gegangene Zielgruppen zu kümmern.
Jüngere Wahlberechtigte nutzen ihr Wahlrecht seltener als Ältere. Müssten die Schulen mehr tun?
Der Anteil politischer Bildungsangebote in den Schulen sollte möglichst schnell ausgeweitet werden, zumal Gemeinschaftskunde Verfassungsrang hat. Leider sind da aber die Stunden nicht festgelegt. Die sich abzeichnende Senkung des Wahlalters auf 16, wie bei der Kommunalwahl, macht die Notwendigkeit noch deutlicher. Populismus lässt sich durch Wissen bekämpfen, und Beteiligung, die mehr als Selbstzweck sein will, braucht politische Bildung,
Welche Rolle spielen Social Media im Wahlkampf?
Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat und Jodel lassen sich als Plattformen nutzen, um potenzielle Wähler auf jugendgerechte Weise anzusprechen. Klassische Medien wie Zeitung und Fernsehen werden von den 18- bis 29-Jährigen nicht mehr so genutzt, wie es die Älteren tun. YouTube und Influenzer schlagen hier die ARD und Claus Kleber. Das Angebot etwa von MrWissen2go macht Mut und zeigt, dass es erfolgversprechende Zugänge gibt, Menschen auf den sozialen Medien zu erreichen.
Wie lässt sich verhindern, dass die sozialen Medien zur Manipulation missbraucht werden?
Nur schwer. Was einmal im Netz ist, kann schwer zurückgeholt werden. Andererseits erleben wir, dass die Angebote seriöser Einrichtungen wie der Landeszentrale mehr gefragt sind. Das Misstrauen gegenüber dem Internet und das Interesse an Faktenchecks ist gewachsen. Auch hier sind Schule und Erwachsenenbildung gefragt. Medienpädagogische Aufklärung schützt vor Netzgläubigkeit.
Wie aussagekräftig ist die Wahlbeteiligung?
Leider ist die Wahlbeteiligung sozial selektiv, und in manchen sozialen Milieus hat die Demokratie ein Akzeptanzproblem. Das muss uns allen bewusst sein. Insgesamt ist die Wahlbeteiligung aber der wichtigste Indikator für das Interesse und die Beteiligung von Bürgern an der Demokratie. Wer nicht wählen geht wie jüngere und ärmere Menschen verschenkt Einfluss, denn auf dem Wählermarkt orientieren sich die Parteien an den Personen, die ihre Angebote nachfragen. Wer auf den Markt nicht vorkommt, wird nicht gehört. Parteien machen Politik für ihre Wähler. Das müsste jedem die Notwendigkeit des Wählens vor Augen führen.

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