Der türkische Staatschef Erdogan wirft US-Präsident Trump Kraftmeierei vor. Die Notenbank versichert, dass es keine Engpässe bei der Geldversorgung gebe.

Istanbul - Kritik an der Wirtschaftspolitik von Präsident Recep Tayyip Erdogan? Zweifel an den Fähigkeiten seines Finanzministers und Schwiegersohns Berat Albayrak? Sorge angesichts des Verfalls der Türkischen Lira, die am Montag an den Devisenmärkten weiter abstürzte? Wer solche Gedanken hegt, sollte sie in der Türkei lieber für sich behalten und nicht teilen, denn das Innenministerium in Ankara geht jetzt gegen kritische Äußerungen zur türkischen Wirtschaft in den sozialen Netzwerken vor. Das Innenministerium teilte am Montag mit, es gebe bereits Ermittlungen gegen 346 Nutzer wegen „provozierender Kommentare“.

 

Die Jagd im Netz zeigt die Ohnmacht, mit der die türkische Regierung den Währungsturbulenzen begegnet. Auch Staatschef Erdogan hat der Krise außer starken Worten bis jetzt wenig entgegenzusetzen. Die USA hätten der Türkei „einen Dolch in den Rücken gestochen“, sagte Erdogan am Montag in Ankara. US-Präsident Donald Trump führe sich als „Kraftmeier des globalen Systems“ auf, so Erdogan. Der Staatschef ließ sogar durchblicken, die Türkei sei bereit zu einem Krieg mit den USA: „Wir sind bereit mit allem, was wir haben.“ Während die Lira am Montag zeitweilig bis zu 13 Prozent einbüßte, verbreitete Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin Durchhalteparolen: Die Strukturen der türkischen Wirtschaft seien stark, niemand solle gegenteiligen Spekulationen Glauben schenken. „Die Türkei wird gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen“, versicherte Kalin.

Viele Türken haben Lira gegen Euro und Dollar getauscht

Finanzminister Albayrak, der bereits am vergangenen Freitag mit vagen Ankündigungen zu seiner künftigen Finanz- und Wirtschaftspolitik eher Verwirrung stiftete als Klarheit schaffte, meldete sich ebenfalls zu Wort, diesmal immerhin konkreter: „Einlagen werden nicht beschlagnahmt, Devisen werden nicht konvertiert“, versicherte Albayrak auf Twitter. Alles andere seien „Lügen“. Aus Sorge um ihre Devisenguthaben waren am Freitag viele Türken zu den Banken geströmt. Sie kamen aber nicht, um Dollar und Euro in Lira einzutauschen, wie es Erdogan von seinen Landsleuten seit Wochen immer wieder fordert. Nur wenige folgen seinem Appell, jetzt harte Währung in Lira zu tauschen.

Der türkische Hockey-Verband gab zwar bekannt, man habe 25 000 Euro auf dem Vereinskonto in Lira getauscht. Und der gemeinnützige Verein AHID sammelte am vergangenen Wochenende unter seinen Mitgliedern 65 Goldketten, 195 Goldmünzen, 2500 Dollar und 3000 Euro zum Umtausch in Lira. Aber die meisten Bankkunden wollten Dollar und Euro abheben, um die Devisen als Bargeld daheim zu horten – aus Angst vor einer drohenden Bankenkrise. Einige Filialen mussten am Freitag bereits passen, weil ihnen die Devisen ausgingen. Die Notenbank versicherte, die Liquiditätsversorgung der Geschäftsbanken sei gesichert. Das von Erdogan gepflegte Feindbild Amerika lässt die Türken bis jetzt zusammenrücken.

Die Nahrungsmittel sind bereits teurer geworden

Allerdings: Die Menschen spüren den Währungsverfall jeden Tag stärker beim Einkauf. Die Inflation, die im Juli bereits fast 16 Prozent erreichte, dürfte infolge des jüngsten Lira-Absturzes weiter anziehen. Die meisten Grundnahrungsmittel haben sich drastisch verteuert. Erdogans Anhänger scheinen aber das Vertrauen in die Politik des Staatschefs noch nicht verloren zu haben. Die von der Erdogan-Partei AKP regierte Kommune Usak in der Westtürkei verzichtet auf die Nutzung sozialer Netzwerke, damit kein Geld mehr an US-Firmen wie Facebook, Google oder Instagram fließt. In der Stadt Düzce bietet ein Barbier jedem eine kostenlose Rasur an, der anhand eines Bankbelegs nachweisen kann, dass er Dollar in Lira getauscht hat.

Noch einen Schritt weiter ging ein Geschäftsmann in der Kurdenmetropole Diyarbakir: Hasan Izol fächerte vor laufenden Kameras ein Bündel von 100 Ein-Dollar-Noten auf und steckte die Banknoten mit einem Feuerzeug in Brand. „Wir müssen unseren Patriotismus der ganzen Welt zeigen, vor allem den USA“, sagte Izol.