Von ihrem Wahlrecht machten diesmal mehr Katholiken Gebrauch als vor fünf Jahren. Foto: Ingrid Sachsenmaier
Die Katholikinnen und Katholiken haben im Landkreis Esslingen und der ganzen Diözese Rottenburg-Stuttgart die neuen Kirchengemeinderäte gewählt. Ihnen stehen große Herausforderungen bevor.
Martin Mezger
03.04.2025 - 08:00 Uhr
Wäre es eine politische Wahl, würden alle Alarm schreien – bei 16 Prozent Wahlbeteiligung: dramatische Politikverdrossenheit! Untergang der Demokratie! In der katholischen Kirche, wo am vergangenen Wochenende die Kirchengemeinderäte gewählt wurden, ist es umgekehrt. Hier gelten 16 Prozent Wahlbeteiligung, wie sie im Dekanat Esslingen-Nürtingen erreicht wurden, als unverdrossener Erfolg und Aufgang der Demokratie – die traditionell ja nicht gerade zu den hervorstechenden Qualitäten der heiligen römischen Kirche zählt.
Außer in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, wo die Kirchengemeinderäte schon seit 50 Jahren das demokratische Entscheidungsgremium der Gemeinden bilden. Wenn’s drauf ankommt, muss sich auch der Pfarrer ihren Beschlüssen beugen.
Dekan Volker Weber freut sich über die höhere Wahlbeteiligung. Foto: Ines Rudel
Was Volker Weber, den Dekan des hiesigen Dekanats, besonders freut: Die Wahlbeteiligung in seinem Sprengel ist gestiegen, bei der vorletzten Wahl im Corona-Jahr 2020 betrug sie 13,6 Prozent. Der Anstieg liegt übrigens im Trend der ganzen Diözese Rottenburg-Stuttgart, ob nur pandemiebedingt, ist Interpretationsfrage.
An die durchschnittliche Wahlbeteiligung der Diözese – 22,7 Prozent (2020: 19,6 Prozent) – kommt das flächenmäßig dem Kreis Esslingen entsprechende Dekanat freilich so wenig heran wie an die Spitzenwerte im traditionell katholischen Oberschwaben, zum Beispiel die fast 35 Prozent im Dekanat Biberach. Im großstädtischen Ballungsgebiet indes ist es ein gutes Resultat, wenn 16 Prozent der 79 943 Gemeindemitglieder über 16 Jahren an der Wahl teilnehmen. Die sonntägliche Gottesdienstquote etwa liegt in unserem Raum auch bei den Katholiken nur noch bei vier bis fünf Prozent. Dass aber der Stadt-Land-Gegensatz nicht allein den Ausschlag für die Kirchenbindung gibt, zeigt das Dekanat Calw mit nur 12,6 Prozent Wahlbeteiligung – hinter Stuttgart mit 13,7 Prozent.
Die Kirche wird weiblicher
Gewählt wurden im Dekanat Esslingen-Nürtingen 131 Frauen (47 Prozent) und 145 Männer (53 Prozent) in 28 Kirchengemeinden. 118 von ihnen kommen neu ins Amt. Entgegen der Befürchtungen konnte in fast allen Gemeinden gewählt werden. Nur drei erreichten nicht die nötige Kandidatenzahl. Im Schnitt sind die gewählten Gemeindevertreterinnen und -vertreter 52 Jahre alt – nahezu gleich wie in der gesamten Diözese (51 Jahre). Auf Diözesanebene zeichnet sich jedoch mit genau umgekehrten Prozentzahlen deutlicher ab, dass die katholische Kirche zunehmend eine Kirche derer wird, denen sie die Priesterweihe immer noch verweigert: der Frauen. Die künftigen Kirchengemeinderäte sind im Diözesanschnitt zu 53 Prozent mit Frauen, zu 47 Prozent mit Männer besetzt (2020: 52 Prozent Frauen, 48 Prozent Männer). Auch in vermeintlich konservativen Regionen wird die Kirche weiblicher, etwa mit 56 Prozent Kirchengemeinderätinnen im Dekanat Biberach.
Den neu gewählten Gremien stehen in ihrer fünfjährigen Amtsperiode „große Herausforderungen bevor“, sagt Dekan Weber, denn es gelte, „die Kirche der Zukunft zu planen und mitzugestalten“. Den Kirchengemenderäten, die über die Verwendung von Kirchensteuermitteln entscheiden, dürfte diese Zukunft vor allem Jonglierkünste zwischen Sparen, Bewahren und Erklären abverlangen. Denn nicht nur wegen Austritten, sondern mehr noch wegen der demographischen Entwicklung schrumpft das Kirchensteueraufkommen. Während etliche Immobilien vor allem energetisch mit großem Aufwand saniert werden wollen; oder, da kaum mehr genützt, profaniert, veräußert oder umgewidmet. Was meist nicht ohne gemeindeinterne Konflikte abgeht. Gefragt ist dann Erklären, Vermitteln, kurz: Kommunizieren. Ohne Hostie.
Alle Ergebnisse in den Gemeinden und die Namen aller Gewählten sind zu finden unter www.drs.de/wahl.html