Die katholischen Gemeinden suchen Kandidaten für die Kirchengemeinderatswahlen im März. Im Dekanat Esslingen-Nürtingen wird wohl nicht überall die Mindestzahl erreicht. Dabei sind die Kirchengemeinderäte echte Entscheidungsgremien.
Nur ein Club zum Abnicken dessen, was der Pfarrer entschieden hat? Ein Quasseltreff für folgenlose Diskussionen? Nicht in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Hier fällen die Kirchengemeinderäte, die am 30. März kommenden Jahres neu gewählt werden, demokratische Entscheidungen, die umgesetzt werden – auch wenn es dem Gemeindepfarrer nicht passt. Lediglich in fundamentalen Glaubensfragen und solchen der Liturgie hat der Geistliche ein geistliches Machtwort.
Rottenburger Modell nennt sich, was bereits seit über 50 Jahren das Demokratiedefizit in der katholischen Kirche wenigstens auf Diözesanebene ein Stück weit ausgleicht. Und damit den Kirchengemeinderäten ihren Alibi-Charakter nimmt, ihnen Mitverantwortung für die Gemeinde gibt. Dasselbe gilt für die entsprechenden Gremien der größeren Organisationseinheiten, den Dekanats- und den Diözesanrat.
Partizipation der Laien
Außerhalb der hiesigen Diözese gebe es bisher keine vergleichbare Partizipation der Laien durch gewählte Organe, sagt Volker Weber, Dekan des Dekanats Esslingen-Nürtingen, das den Landkreis Esslingen umfasst. Im Zuge des Synodalen Wegs, eines Reformdialogs innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland, finde das Rottenburger Modell allerdings viel Interesse in anderen Diözesen, berichtet Weber.
Doch trotz der weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten ist es nicht so, dass die Kandidatinnen und Kandidaten Schlange stehen, wenn am 30. März in der ganzen Diözese und somit auch in den 39 Gemeinden des Dekanats Esslingen-Nürtingen die Kirchengemeinderäte für die nächsten fünf Jahre gewählt werden.
„Es ist teilweise schwierig, Leute zu finden, die bereit sind, sich ehrenamtlich in dieser Aufgabe zu engagieren“, sagt Weber. Noch bis zum 19. Januar kann man sich auf die Kandidatenliste setzen lassen – die in manchen Gemeinden voraussichtlich nicht die Mindestzahl erreichen wird. Dort kann dann nicht gewählt werden.
Räte wurden verkleinert
Die Wahlordnung selbst wurde schon in den vergangenen Jahren nach unten angepasst: weniger Sitze in den Gremien – im Dekanat zwischen vier und 14, je nach Größe der Gemeinde. Und Verzicht auf zwingende Wahlkonkurrenz: „Früher musste die Zahl der Kandidatinnen und Kandidaten mindestens 25 Prozent über der Zahl der Sitze liegen“, sagt der Esslinger Ortspfarrer und stellvertretende Dekan Stefan Möhler. „Jetzt müssen es nur noch so viele sein wie Sitze.“ Im übrigen hat die Zahlenkosmetik ihre Grenze am Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, und das, so Möhler, schreibe „für die Wahl eines Entscheidungsgremiums klare Regeln und Fristen“ vor. Immerhin, in ein paar Gemeinde gebe es eine „echte“ Wahl mit bereits jetzt mehr Kandidaten als Sitzen, berichtet der Dekanatsreferent Bernhard Wuchenauer.
Vielfältige Gründe für Kandidatenmangel
Was sind die Gründe für die Zurückhaltung? Vielfältige, lautet die Antwort. Die allgemeine Krise des Ehrenamts, die Unlust, sich nicht nur für ein Projekt, sondern für fünf Jahre zu binden. Und natürlich der Verlust an Ansehen und Glaubwürdigkeit der Kirche seit Aufdeckung der Missbrauchsserien. Ebenso dürfte die intensivierte gesellschaftliche Diskussion über die Diskriminierung der Frau in der katholischen Kirche eine Rolle spielen. Alles zusammen wirke sich auch auf Katholiken aus, die der Kirche kritisch verbunden bleiben, aber diese Verbundenheit nicht mehr durch Übernahme eines Ehrenamts zeigen wollten, lautet eine Einschätzung. Obwohl die Kirchengemeinderäte wenigstens auf Gemeindeebene Schritte in Richtung Reform gehen oder zumindest anmahnen können.
„Interessant für junge Leute“
Die Dekanatsreferentin Monika Scafuro erlebt, dass „die Selbstwirksamkeit und die Diskussionskultur für junge Leute im Kirchengemeinderat sehr interessant ist“. Gibt es die überhaupt, die jungen Leute? Allerdings, versichert sie. Wobei das Durchschnittsalter, so Wuchenauer, doch eher bei 50 plus liege. Gewählt werden kann man ab 18 Jahren, wählen ab 16. Frauen und Männer seien in den Räten – mit örtlichen Unterschieden –weitgehend paritätisch vertreten.
Die Wahlbeteiligung im Dekanat lag zuletzt – coronabedingt – bei durchschnittlich zehn Prozent. „Vorher“, so Dekan Weber, „wurden um die 20 Prozent erreicht.“ Zum Vergleich: Nur fünf Prozent der Katholiken gehen sonntags regelmäßig in die Kirche – für Weber nicht unbedingt ein Beleg für Distanz und Desinteresse, sondern für „eine individuellere Glaubenspraxis, für die es nicht mehr dazugehört, sich jeden Sonntag mit der ganzen Gemeinde im Gottesdienst zu versammeln“.
Bei den Aufgaben, die die neu gewählten Kirchengemeinderäte erwarten, stehen die Finanzen obenan, sagt Möhler. Das Gremium entscheide über die Verwendung der Kirchensteuermittel. Und die werden knapper. Also gelte es, Schwerpunkte zu setzen. Eine komplexe Rolle spielt in vielen Gemeinden der Immobilienbestand, der reduziert oder zu seiner Erhaltung finanziert werden muss. Theoretisch könnten die Kirchengemeinderäte auch Einrichtungen wie zum Beispiel Kitas schließen, doch das, versichert Möhler, stehe im Dekanat nicht zur Debatte. Denn über der Gemeindearbeit und der ihres Rats steht, wie Weber formuliert, die Leitfrage: „Wie können wir den Menschen anbieten, was sie von uns brauchen?“
Leitungsgremium der Kirche vor Ort
Wahl
Die Kirchengemeinderatswahl findet 2025 erstmals als allgemeine Briefwahl statt. Allen Katholikinnen und Katholiken über 16 werden die Wahlunterlagen zugestellt. Sie müssen ausgefüllt bis 30. März zurückgeschickt oder abgegeben werden. Am 30. März werden dafür in allen Gemeinden Wahlurnen aufgestellt.
Rat
In der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist der Kirchengemeinderat ein demokratisch entscheidendes Gremium. Erster Vorsitzender ist kraft Amtes der Gemeindepfarrer – ähnlich wie der Bürgermeister im Gemeinderat. Der Kirchengemeinderat stellt den Haushalt auf, setzt Schwerpunkte und plant Projekte.
Kandidatur
Kandidieren können alle Katholikinnen und Katholiken über 18. Wer Interesse hat, kann sich bei seiner Kirchengemeinde melden. Ausgeschlossen sind hauptamtliche Mitarbeiter der Kirche. Der Kirchengemeinderat tagt in der Regel zehn Mal im Jahr. Dazu kommt die Mitarbeit in Ausschüssen.