Jetzt beginnt das spannende Tauziehen um die Nachfolge von Gabriele Müller-Trimbusch. Wer wird Stuttgarts neuer Sozialbürgermeister?

Stuttgart - Der 15. Juli wird ein denkwürdiger Tag. Da tritt der Gemeinderat der Landeshauptstadt zusammen, um zu entscheiden, wer am 1. September als neue Bürgermeisterin oder neuer Bürgermeister für das Soziale, die Jugend und die Gesundheit auf der Chefetage des Stuttgarter Rathauses einzieht. Nie zuvor war die Wahl eines Beigeordneten in Stuttgart so spannend wie diesmal. Denn es geht um ein Politikum - die Qualifikation der Kandidaten tritt in den Hintergrund. Eine Betrachtung in fünfzehn Episoden.

Die Bewerbungsfrist:
am Freitag, 21. Mai, ist die Bewerbungsfrist abgelaufen, trotzdem können sich bis zum 15. Juli weitere Bewerber melden. Vier Bewerbungen sind bereit eingegangen, zwei sind öffentlich bekannt: Isabel Fezer (50), Referentin in der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin, FDP-Mitglied. Und Werner Wölfle (56), Sozialarbeiter, Landtagsabgeordneter und Chef der Grünen-Ratsfraktion. Die anderen zwei Bewerbungen sind unbekannt. Jeder Bewerber hat das Recht, sich am 15. Juli in öffentlicher Ratssitzung vorzustellen und um Vertrauen zu werben.

Die Regularien:
In der Gemeindeordnung ( Paragraf 50) steht: "Sieht die Hauptsatzung mehrere Beigeordnete vor, sollen die Wählervereinigungen gemäß ihren Vorschlägen nach dem Verhältnis ihrer Sitze im Gemeinderat berücksichtigt werden."

Die Ansprüche (1):
Grünen leiten daraus ein Recht ab: "Wir haben die Kommunalwahl 2009 gewonnen, sind jetzt mit 16 Sitzen stärkste Fraktion. Wir stellen mit Klaus-Peter Murawski den Verwaltungsbürgermeister und fordern jetzt einen zweiten Platz auf der Bürgermeisterbank."

Die Ansprüche (2):
Anders sieht das die FDP: "Wir haben uns bei der Kommunalwahl auf sieben Mandate fast verdoppelt. Wenn Gabriele Müller-Trimbusch in Pension geht und die Grünen ihr Amt bekämen, wären wir nicht mehr auf der Bürgermeisterbank vertreten", sagen die Liberalen. Schützenhilfe bekommen sie von den Freien Wählern: "Wir haben bei der Wahl unsere sechs Mandate gehalten, stellen aber keinen Bürgermeister. Wir unterstützen deshalb die FDP in ihrem Bemühen, Isabel Fezer als Nachfolgerin von Gabriele Müller-Trimbusch zu installieren."

Die Wahlberechtigten:
Weil der Stadtrat Werner Wölfle am 15. Juli wegen Befangenheit kein Stimmrecht besitzt, reduziert sich die Zahl der Wahlberechtigten auf 60, sofern alle Ratsmitglieder und Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) anwesend sind. Der Zufall will es, dass sich damit - Ausfluss der Kommunalwahl im vergangenen Jahr - in diesem Fall zwei genau gleich große Lager gegenüber stehen: 30 Sitze haben CDU, FDP, Freie Wähler, der im Stadtparlament stimmberechtigte OB Schuster und der "Republikaner" Rolf Schlierer. Über ebenfalls 30 Sitze verfügen Grüne, SPD und die Fraktion SÖS/Linke.

Die Regularien:
In der Gemeindeordnung ( Paragraf 37) heißt es: "Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der Stimmen der anwesenden Stimmberechtigten erhalten hat. Wird eine solche Mehrheit nicht erreicht, findet zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen eine Stichwahl statt, bei der die einfache Stimmenmehrheit entscheidet." Die notwendige absolute Mehrheit beträgt also 31 Stimmen - beide Lager verfügen aber, wie eben beschrieben, jeweils nur über 30 Mandate.

Die Spannung:
Aus dieser kuriosen Konstellation erwächst die Spannung. Wenn das konservative Lager Isabel Fezer unterstützt, das öko-soziale Lager Werner Wölfle - dann entsteht ein Patt. Keiner von beiden kann die notwendige Mehrheit erlangen, die Wahl ist geplatzt und muss neu angesetzt werden; womöglich muss die Stelle sogar neu ausgeschrieben werden.

Das Prozedere:
Der CDU-Fraktionschef Fred-Jürgen Stradinger sagt jetzt: "Konkurrenz belebt das Geschäft. Wir haben keine Eile, bis zum 15. Juli ist noch viel Zeit. Werner Wölfle hat dieser Tage um einen Termin gebeten, bei dem er sich unserer Fraktion vorstellen möchte." Wölfle werde diesen Termin in nächster Zeit bekommen.

Die Kandidatin:
Die von der FDP zur Kandidatur ermunterte Isabel Fezer sagt: "Es gibt für mich eine Chance, die Nachfolgerin von Gabriele Müller-Trimbusch zu werden - diese Chance ergreife ich." Auch sie hat ihre Vorstellungsrunde bei den Ratsfraktionen noch nicht abgeschlossen.

Der Kandidat:
Werner Wölfle, der Fraktionschef der Grünen, verweist in seiner Bewerbung, die er im Büro des Oberbürgermeisters abgegeben hat, auf seine langjährige Erfahrung als Sozialarbeiter und Kommunalpolitiker: "Ausgestattet mit diesem Rüstzeug an Erfahrungen und Kenntnissen wäre es mir ein Anliegen und eine Freude, die städtische Sozialpolitik mit Ihnen zu gestalten und weiterzuentwickeln."

Die Wahl:
Weil die Wahl am 15. Juli geheim stattfindet, ist der Ausgang völlig offen. Die Spekulationen schießen ins Kraut: Gäbe es Mitglieder im Rat, etwa bei der SPD, die mit Werner Wölfle noch eine "alte Rechnung offen haben", könnte es schwer für ihn werden. Möglicherweise könnten einige Mitglieder der CDU-Fraktion für Wölfle votieren, um des lieben Friedens Willen und weil sie nicht möchten, dass die seit der Kommunalwahl angespannte Atmosphäre im Stadtparlament eskaliert.

Der Oberbürgermeister:
Vom Oberbürgermeister wird gesagt, er werbe in der CDU-Fraktion dafür, Wölfle nicht zu wählen. Wolfgang Schuster trägt dem Grünen-Vormann persönliche Verletzungen nach und dessen vehementen Kampf gegen Stuttgart 21. Letzteres ist auch der Grund, warum Wölfle mit den Stimmen der Stuttgart-21-Befürworter aus CDU, FDP und Freien Wählern kaum rechnen kann.

Die Folgen:
Würde Werner Wölfle am 15. Juli unterliegen, wäre es für ihn die schwerste Niederlage seines politischen Lebens. Trotzdem würde er im Gemeinderat bleiben und sich bei den Grünen erneut um die Nominierung für ein Landtagsmandat bewerben. An anderer Stelle hätte Wölfles Scheitern allerdings unabsehbare Folgen: Im Herbst 2011 muss sich Michael Föll (CDU), der Kämmerer und Erste Bürgermeister, zur Wiederwahl stellen. Dann aber haben die Öko-Linken wieder ihre Mehrheit von 31 Stimmen zur Verfügung. Unter dem Motto "Rache ist süß" könnten sie der CDU eine späte politische Rechnung präsentieren. Der Nutznießer wäre Bürgermeister Klaus-Peter Murawski (Grüne), der zum "EBM" und damit zum Stellvertreter des OB avancieren könnte.

Weitere Bürgermeisterwahlen:
An der Rathausspitze stehen in den nächsten Jahren übrigens weitere Veränderungen an. Im Herbst 2011 für Dirk Thürnau (SPD), im Herbst 2012 scheidet Baubürgermeister Hahn aus. Und im Herbst 2012 müssen die Stuttgarter einen neuen Oberbürgermeister wählen. Die Zeiten bleiben turbulent.