Ähnlich wie Schöffen vor Strafgerichten tragen auch ehrenamtliche Richter am Verwaltungsgericht zur Urteilsfindung bei. Foto: dpa-tmn/Archiv
Mit Thomas Hartung steht ein politisch radikaler Vertreter des AfD-Kreisverbands Böblingen auch auf der Vorschlagsliste ehrenamtlicher Richter. Im Kreistag blieb das ohne Gegenwehr.
Der Kreisrat Thomas Hartung ist einer von sieben Kandidaten des AfD-Kreisverbands Böblingen, die sich für das Amt eines ehrenamtlichen Richters am VerwaltungsgerichtStuttgart bewerben. Und das, obwohl Hartung Zweifel an der Unabhängigkeit der deutschen Justiz sät und in Social Media immer wieder mit extremen politischen Äußerungen auffällt.
Zum 1. Dezember werden an dem Gericht Laienrichterstellen neu besetzt. Proportional zur Fraktionsstärke konnten die Parteien in den Kreisvertretungen des Regierungsbezirks Stuttgart eine Vorschlagsliste abgeben, ihr dürfen Mandatsträger genauso angehören wie „einfache“ Bürger. Alle 52 auf der Böblinger Liste wurden einstimmig gewählt – auch die sieben AfD-ler. Während in anderen Kreisvertretungen wie zunächst in Heilbronn, Mannheim oder Schwäbisch Hall die AfD-Kandidaten abgelehnt wurden, ging deren Liste im Böblinger Kreistag durch. Das Verwaltungsgericht Stuttgart beschloss am 16. September, dass die Vorschlagsliste des Landkreises Heilbronn nochmals neu zusammengestellt werden müsse. Grund waren zwei Eilänträge des dortigen AfD-Kreisverbands und eines auf der Liste stehenden Kandidaten der Partei.
Wie unsere Zeitung erfuhr, sollte durch die Wahl aller Richter-Anwärter eine größere Aufruhr verhindert werden. Zeigte sich hier das Gremium mit Landrat Roland Bernhard an der Spitze als konfliktscheu? „Die Vorschläge der Fraktionen wurden durch die Verwaltung auf die Wählbarkeitsvoraussetzungen geprüft“, lässt Bernhard mitteilen. Kreisverwaltung und Kreistag hätten das Verfahren „rechtlich einwandfrei“ geführt.
Thomas Hartung sitzt im Kreistag, im Leonberger Gemeinderat und ist Kreisverbandspressesprecher der AfD. Foto: picture alliance / dpa
Auf der nicht-öffentlichen Liste, die unserer Redaktion vorliegt, steht bei der AfD neben sechs politisch relativ unscheinbaren Kandidaten eben auch Thomas Hartung. Der Leonberger hatte bereits 2024 versucht, für eine ehrenamtliche Richterstelle gewählt zu werden – seinerzeit am Verfassungsgerichtshof Stuttgart. Doch die Landtagsfraktionen verweigerten ihm die Stimme wegen diskriminierender Aussagen in der Vergangenheit. Eine Klage der AfD wegen der Nichtwahl Hartungs wies der Verfassungsgerichtshof Ende Juli 2025 zurück.
Hartung sät Zweifel am deutschen Rechtssystem
Der promovierte Germanist Hartung jedenfalls zweifelt das wohl wichtigste Grundprinzip des Justizsystems an. Im März 2025 beantwortete der Leonberger die Frage, ob deutsche Gerichte unabhängig seien, gegenüber unserer Zeitung so: „Nein, diese Gerichte sind spätestens mit der Schaufensterpersonalie Harbarth (Anm. d. Red.: Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts) nicht mehr unabhängig.“
Hartung hat nach Kritik seinen Lehrauftrag an der TU Dresden verloren
Bereits 2014 hatte der AfD-Politiker für negative Schlagzeilen gesorgt, damals als stellvertretender Landeschef der AfD Sachsen. Sein Facebook-Beitrag über einen Lehrer mit Trisomie 21 war von vielen Seiten mit großer Empörung kritisiert worden. Nach dem öffentlichen Aufschrei gab Hartung seine Ämter bei der AfD Sachsen ab und verlor seinen Lehrauftrag an der TU Dresden.
Ein Beispiel: Unter diesem Post beschimpfen User den deutschen Leichtathleten Mohamed Abdilaahi rassistisch. Foto: Facebook-Screenshot/privat
Auch aktuell heizt der AfD-Politiker die Stimmung gegen politische Gegner und gesellschaftliche Gruppen an. Zuletzt giftete Hartung auf Facebook gegen schwarze deutsche Leichtathleten wie den Läufer Mohamed Abdilaahi. In Bezug auf die Heidelberger Weitspringerin Malaika Mihambo fragte Hartung, ob ihr Rekord „auch als tansanischer Weitsprungrekord anerkannt“ sei. Ein User kommentiert: „Jede Schwalbe, die im Kuhstall geschlüpft ist, bekommt einen Rindvieh-Ausweis.“ Dafür erhält er 21 „Daumen hoch“ – einer davon ist von Hartung selbst. Weshalb er der drastischen Aussage zugestimmt hat, beantwortet der AfD-Politiker nicht direkt.
Der umstrittene Politiker greift auch „Remigration“ auf
Was bedeutet es, wenn Personen mit extremen Positionen kandidieren? Raphael Deutscher vom Richterbund Baden-Württemberg betont zur Verfassungstreue: „Es ist wichtig, dass sich ehrenamtliche Richter, die bei der Urteilsfindung eine gewichtige Rolle spielen, an der Verfassung orientieren.“ Sollten ehrenamtliche Richter verfassungsfeindliche Äußerungen tätigen, würde das Gerichte den Einzelfall prüfen und den ehrenamtlichen Richter gegebenenfalls des Amtes entheben, so Deutscher weiter.
Die AfD will ihren Machtbereich auf die Justiz ausweiten
Die Ambitionen seiner Partei auf Justizposten fasst Hartung so zusammen: „Die AfD muss in der Öffentlichkeit wirken und in allen Institutionen auf allen Ebenen verankert sein.“ Um als Laienrichter am Verwaltungsgericht Einfluss auf beispielsweise den Bildungs- oder Asylbereich – für die Rechtsaußen-Partei wichtige Felder zur Umgestaltung von Staat und Gesellschaft – ausüben zu können, müsste der Richterwahlausschuss in Stuttgart für sie stimmen. Die Wahl wird im Spätherbst stattfinden, weil bis dahin alle Vorschlagsliste aus den Kreisen eingetroffen seien, erklärt das Stuttgarter Verwaltungsgericht.
Mit der korrekten Darstellung des Verfahrens nimmt es der Böblinger AfD-Kreisverband nicht genau. Ende Juli stellt dieser in einer Pressemitteilung die Behauptung auf: „Alle AfD-Kandidaten einstimmig zu ehrenamtlichen Verwaltungsrichtern gewählt.“ Auf Nachfrage wollte Thomas Hartung als Sprecher des Kreisverbands die Falschaussage nicht revidieren, sondern sagte: „Der Kreistag hat die Liste einstimmig beschlossen – war das für Sie keine Wahl?“ Wahr ist aber: Von dem Ziel, bald auch Urteile zu sprechen, sind die AfD-Vertreter aus dem Kreis noch weit entfernt. Nun liegt die Verantwortung beim Verwaltungsgericht, über das Personaltableau zu entscheiden.
Das Verwaltungsgerichtswesen
Aufgaben Das Verwaltungsgericht verhandelt Entscheidungen und Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung und bietet Rechtsschutz gegen rechtswidrige Handlungen von Behörden. Die nächste und auch höchste Instanz des Landes ist der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim.
Aufbau Derzeit sind 275 ehrenamtliche Richter am Verwaltungsgericht Stuttgart tätig (etwa 17 pro Kammer). Da voraussichtlich ehrenamtliche Richter für 17 Kammern benötigt werden, rechnet das Gericht mit 290 Laienrichtern. Sie werden für fünf Jahre gewählt. Ehrenamtliche und Berufsrichter haben dasselbe Stimmengewicht.
Wahlausschuss Der Richterwahlausschuss wird gebildet aus dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts, einem von der Landesregierung bestimmten Verwaltungsbeamten und sieben vom Landtag gewählten Vertrauensleuten.