Die Fußball-Weltmeisterschaft und die Präsidentenwahlen sollten Brasilien einen wirtschaftlichen und politischen Schub geben. Doch die Stimmung im Land ist inzwischen mehr als gedämpft.

Rio de Janeiro - Im Jahr 2014 wird die ganze Welt nach Brasilien blicken. Die Fußball-Weltmeisterschaft ist das Ereignis des Jahres, für Brasilien bedeutet sie eine Bewährungsprobe. Aber auch politisch steht das fünftgrößte Land der Erde vor Herausforderungen: Werden die massiven Proteste, die im Sommer Brasiliens Städte überzogen haben, wieder aufflackern? Und wie wird die Wahl im Oktober ausgehen, bei der Präsidentin Dilma Rousseff ein zweites Mandat anstrebt?

 

2007 erhielten die Brasilianer den Zuschlag, nach 64 Jahren zum zweiten Mal die WM in ihrem Land auszurichten. Zwei Jahre lang geschah so gut wie nichts, dann legten sie sich mächtig ins Zeug. Präsidentin Rousseff versprach eine Art WM der Superlative. Die Regierung verstand das Sportereignis stets als eine Art Investitionsprogramm für die Zukunft und verteidigte damit die Ausgaben von rund zehn Milliarden Euro. Zwar werden die zwölf Stadien in den Austragungsorten fertig, aber von den Modernisierungsprojekten, die in der Euphorie versprochen wurden, blieb manches auf der Strecke. „Für sie ist es der beste Augenblick, für mich der schlechteste“, sagte Fifa-Generalsekretärin Jerôme Valcke im Hinblick auf die Demonstranten, die womöglich während der WM auf die Straße gehen.

Die Missstände sind nicht beseitigt

Ob es, wie 2013 während der Confed-Cup-Generalprobe, wieder zu teils gewalttätigen Massenprotesten kommt, ist kaum vorherzusagen. Aber an den Missständen, gegen die die Demonstranten vor einem halben Jahr zu Felde zogen, hat sich kaum etwas geändert. Zwar hat die Regierung im Ausland Tausende von Ärzten angeworben, um die haarsträubenden Zustände im staatlichen Gesundheitssystem zu mildern, zwar soll mehr Geld ins Gesundheits- und auch ins Bildungssystem gesteckt werden, aber wie diese Systeme reformiert werden müssten, wird in Brasilien nicht diskutiert.

Auch die Debatte über den öffentlichen Nahverkehr, dessen dürftige Qualität im Juni der Auslöser der Protestwelle war, ist auf die Frage verengt, wie lange die nächste Fahrpreiserhöhung noch hinausgeschoben werden kann. Die politische Reform war damals schon gescheitert, kaum dass sie Rousseff angekündigt hatte. Die „Krise der Repräsentation“, von der die Rede war, schwelt weiter. Korruption, Parteienfilz und Misswirtschaft ärgern die brasilianischen Bürger, die eine der höchsten Steuerbelastungen weltweit haben, nach wie vor.

Die Popularitätskurve ist gesunken

Nach dem Sommer sank die Popularitätskurve der eigentlich respektierten Präsidentin erst mal kräftig, erholte sich dann aber wieder so weit, dass zurzeit kaum an ihrem Sieg im ersten Wahlgang zu zweifeln ist. Für die konservative Oppositionspartei PSDB dürfte Aécio Neves antreten, der frühere Ministerpräsident des wichtigen Bundesstaates Minas Gerais. Die Umfragen geben ihm zurzeit zwar nur 14 Prozent, aber der Wahlkampf hat noch lange nicht begonnen. Die ehemalige Umweltministerin Marina Silva, die 2010 überraschend 19 Prozent der Stimmen bekam und Rousseff dadurch in die Stichwahl zwang, hat als Vize bei dem sozialistischen Kandidaten Eduardo Campos, Ministerpräsident von Pernambuco, Unterschlupf gefunden.

Was der Wähler am 5. Oktober von dieser Allianz hält, ist zurzeit kaum abzuschätzen. Unklar ist auch, wie sich die Wirtschaft entwickeln wird und wie das die Wahl beeinflusst. Die Stimmung ist gedämpft; 2012 verzeichnete nur ein dürftiges Wachstum von einem Prozent, 2013 wird mit 2,3 Prozent, 2014 mit zwei  Prozent gerechnet. Seit 2002 hat es kein so schwaches Wachstum in einem Wahljahr gegeben wie 2014.

Während in Argentinien oder Chile die diktatorische Vergangenheit die Gesellschaft bis heute stark bewegt, spielt das Thema in Brasilien seit je eine untergeordnete Rolle. Immerhin hat unter Rousseff eine nationale Wahrheitskommission die Arbeit begonnen, freilich ohne dass die Gesellschaft allzu stark daran Anteil nähme. Das mag sich 2014 ändern: Am 1. April gedenkt die Nation des Militärputsches vor 50 Jahren, mit dem eine 21 Jahre währende Diktatur anbrach.