In den Niederlanden könnten die Rechtspopulisten von Geert Wilders stärkste Kraft werden. Die Bürger geben sich gelassen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Amsterdam/Utrecht/Rotterdam - Natürlich wird niemand Geert Wilders wählen. Zumindest gibt das wenige Tage vor der Wahl am kommenden Mittwoch kaum jemand zu. Nicht in Wilders beschaulicher Geburtsstadt Venlo im eher strukturschwachen Süden der Niederlande. Auch nicht im schmucken Utrecht in der Landesmitte, dessen Zentrum gerade eine einzige Baustelle ist. Und erst recht nicht im quirligen Amsterdam, dem Schmelztiegel der Kulturen.

 

Seine Wähler scheinen ähnlich phantomhaft zu sein wie Wilders selbst. Niemand weiß, wo der Politiker mit der platinblonden Haartolle als Nächstes auftaucht. Seine Auftritte werden, so absurd es klingt, geheim gehalten. Er gilt als hochgradig anschlagsgefährdet. Und dies nicht erst, seit er ein Verbot des Korans und die Schließung aller Moscheen in den Niederlanden forderte. Wenn Wilders sich überhaupt in die Öffentlichkeit wagt, fällt er plötzlich irgendwo ein – aus Sicherheitsgründen.

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Allerdings scheint der Wahlkampf für alle Parteien eine Art geheime Kommandosache zu sein. Die Zahl der Wahlplakate ist extrem überschaubar. Kaum etwas deutet darauf hin, dass am kommenden Mittwoch eine wichtige Abstimmung ansteht, die manche Beobachter als historisch einstufen. Zum ersten Mal könnte Wilders mit seiner Partei für die Freiheit (PVV), befeuert von einer hasserfüllten Polemik gegen den Islam und Europa, mit bis zu 20 Prozent stärkste Kraft im Land werden. Selten habe so viel auf dem Spiel gestanden und selten sei so wenig im Wahlkampf geschehen, beklagen politische Kommentatoren.

Die Wirtschaft im Land boomt

„Warum soll ich mir Sorgen machen?“, fragt Thijs. Der junge Mann arbeitet in einer Bank in Venlo. „Wilders wird sowieso nicht an die Macht kommen.“ Das ist ein Argument, das immer wieder zu hören ist. Tatsächlich ist es praktisch ausgeschlossen, dass der 53-Jährige ins „Torentje“ einziehen wird – das Türmchen in Den Haag, wie die Niederländer liebevoll den Amtssitz des Premiers nennen. Für eine stabile Koalition sind mindestens vier Parteien nötig, und fast jede Partei hat eine Zusammenarbeit mit Wilders PVV ausgeschlossen. Also kein Grund zur Sorge?

Ganz so einfach will es Thijs auch nicht sehen. Dass Wilders den Koran verbieten und alle Moscheen schließen will, hält er für blanken Unsinn. Er kann nicht verstehen, dass der Rechtspopulist vor allem gegen Marokkaner wettert und sie als „Abschaum“ bezeichnet. Aber es will ohnehin nicht in seinen Kopf, dass seine Landsleute für Wilders stimmen. „Uns geht es doch gut“, sagt Thijs, die Wirtschaft boomt und die Arbeitslosigkeit sinkt. Sogar das Verbrechen gerät aus der Mode, so dass der Staat seine Gefängnisse verkaufen kann.

Die Gesellschaft ist fragmentiert

Thijs selbst weiß noch nicht, wem er seine Stimme geben wird, die Bewerber seien sich in vielen Aussagen einfach zu ähnlich, sagt er. Als Unentschlossener ist er in bester Gesellschaft. Selbst wenige Tage vor der Wahl wissen drei Viertel aller Wähler noch immer nicht, bei welcher Partei sie ihr Kreuz machen sollen. Sie „schweben“, wie es so hübsch im Nachbarland heißt.

Es fehle das große Thema, betonen Experten. Zwar werde um Flüchtlinge, Einwanderung und den Islam gestritten, doch wichtige Themen wie das Rentenalter oder die Kosten für die Krankenkasse hätten einfach nicht gezogen. Ein großes Problem sei auch, so beklagen Kommentatoren in allen Lagern, dass die Niederlande politisch in kleine Fragmente zerfallen seien, die verbindenden Kräfte fehlten. 28 Parteien treten am 15. März an – für jeden ist etwas dabei: die Tierfreunde, die Rentner, rechte oder linke Christen, Migranten und Unternehmer. „Es ist das Symptom einer gespaltenen, auseinanderfallenden Gesellschaft“, mahnt der Kulturhistoriker René Cuperus. Viele Gruppen hätten es sich in ihrer kleinen Ecke bequem gemacht.

Türkin: Wilders ist mir egal

„Ich werde nicht zur Wahl gehen“, sagt Burcu. „Ich bin Türkin“, erklärt sie dazu. Dabei besitzt sie auch den niederländischen Pass und ist in Utrecht geboren. Die junge Frau arbeitet in einem Reisebüro an der Kanaalstraat, nur einen Steinwurf von der sehr schönen und beeindruckend großen Ulu-Moschee in Utrecht entfernt. Die Bankentürme der Innenstadt stehen in Sichtweite, doch die Kanaalstraat ist eine andere Welt. In dem Viertel wohnen Menschen aus aller Herren Länder. In den zahlreichen Gemüsegeschäften, die ihre Waren in den Auslagen auf der Straße anbieten, wird Arabisch und Türkisch gesprochen. Burcu bekennt sich ganz offen zur Parallelgesellschaft. Die ganze türkische Community in Utrecht denke wie sie, sagt Burcu, „wir leben sehr gut damit“.

Und dann gibt Burcu noch einen Rat mit auf den Weg: Es sei ein Fehler der Türken in Deutschland, sich unbedingt in die Gesellschaft integrieren zu wollen. „Ich bin stolz auf meine Heimat“ – und damit meint sie die Türkei. Ihre türkischstämmigen Mitarbeiter im Reisebüro stehen neben ihr und nicken. Und Geert Wilders? Hat sie keine Angst, dass er den Hass gegen alle Muslime in den Niederlanden sät? „Der Mann ist mir egal, ich beschäftige mich nicht mit ihm“, entgegnet die junge Frau, und damit ist das Gespräch beendet.

Solche Sätze sind Wasser auf die Mühlen der PVV-Wähler. Einer, der sehr wenigen, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält, ist Aad Stoutjesdijk, der auf dem Markt von Spijkenisse bei Rotterdam Computerzubehör verkauft. Früher hat der 64-Jährige die Partei der Arbeit gewählt. Die Arbeiterstadt Rotterdam war einst eine Bastion der Sozialdemokraten. Doch in den aktuellen Umfragen erzielen sie nur noch sieben bis zehn Prozent.

Geert Wilders PVV ist eine One-Man-Show

Die Randbezirke von Rotterdam sind eine Hochburg der Partei für die Freiheit, die nur aus einem einzigen Mitglied besteht: Geert Wilders selbst. Seine Unterstützer mögen Freiwillige, Sponsoren und auch Mitglieder der PVV-Parlamentsfraktion sein – Parteimitglieder sind sie nicht. Das sichert dem 53-Jährigen das alleinige Sagen und verhindert Flügelkämpfe wie etwa bei der AfD in Deutschland.

Wilders spreche aus, was die Leute wirklich dächten, sagt Stoutjesdijk. „Es ist doch so: Wir leben hier in den Niederlanden, wir haben eine niederländische Kultur, und die wollen wir behalten. Nicht wir müssen uns den Gäste anpassen, sondern umgekehrt.“ Die etablierten Parteien hätten leider kapituliert: „Wilders ist meine letzte Hoffnung“, sagt Stoutjesdijk.

Die Fahrt von Spijkenisse bei Rotterdam nach Amsterdam dauert eine knappe Stunde, doch es scheint wie eine Reise in eine andere Welt. Die Hauptstadt spiegelt jenes Bild der Niederlande, das jeder in seinem Kopf trägt: bunt, frei, liberal. „Es ist natürlich viel Folklore hier“, sagt Jan t’Hart, „aber Amsterdam ist schon sehr cool.“ Der Mann verkauft auf dem berühmten Bloemenmarkt in der Nähe des Koningsplein an die Touristen Schnittblumen, Tulpenzwiebeln und Starter-Sets für den Hanfanbau.

Blumenverkäufer gibt sich ganz entspannt

Jan überlegt lange und sagt dann: „Ich kenne niemanden, der Geert Wilders wählt.“ Er redet über das „Problem Wilders“ wie über ein Phänomen, das er nur vom Hörensagen kennt. Dann räumt er ein, dass der Rechtspopulist, der seit vielen Jahren in der niederländischen Politik mitmischt, fast unmerklich die Diskussionen in der Gesellschaft über viele Themen maßgeblich beeinflusst habe. „Das geht so weit, dass sogar die anderen Parteien plötzlich über ‚niederländische Werte‘ reden“, sagt Jan t’Hart. So erregte der konservative Premierminister und VVD-Spitzenkandidat Mark Rutte im ansonsten ereignisarmen Wahlkampf mit einer deutlichen Ansage an integrationsunwillige Einwanderer einiges Aufsehen. Immigranten müssten sich „normal verhalten oder das Land verlassen“, schrieb der Regierungschef in einem offenen Brief.

Jan t’Hart, der sich selbst am sehr linken Rand des politischen Spektrums verortet, kann für solch einen Satz sogar ein gewisses Verständnis aufbringen. „Wir haben Wahlkampf“, sagt er und zuckt mit den Schultern, muss aber zugeben, dass „die Stimmung im Land schon einmal deutlich weltoffener“ war. Wirklich Sorgen machen will er sich nicht. Auch der Blumenverkäufer setzt auf die befriedende Wirkung des niederländischen Konsenssystems. „Seit Jahrhunderten wohnen sehr viele verschiedene Menschen auf sehr engem Raum“, erklärt Jan t’Hart, da müsse eben ein Ausgleich zwischen allen Gruppen gefunden werden. „Selbst ein Mann wie Geert Wilders ist da machtlos, da bin ich ganz entspannt.“ Extreme Positionen würden mit der Zeit einfach glattgebügelt.