Wer Präsident wird, hängt maßgeblich von den Wählern von Marine Le Pens rechtspopulistischem Front National ab. Doch sie sind schwer zu greifen.

Stuttgart - Alle sind hinter ihnen her. Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy stellt ihnen nach wie auch sein sozialistischer Herausforderer, François Hollande. Die Gesellschaftswissenschaftler haben sie ins Visier genommen, die Meinungsforscher ebenfalls. Auf jene 17,9 Prozent der Wähler, die in der ersten Runde für die Rechtspopulistin Marine Le Pen stimmten, kommt es schließlich an. Von diesen 6,4 Millionen Franzosen wird abhängen, wer am Sonntag Präsident wird. Wenn es Sarkozy gelingt, die überwältigende Mehrheit der Le-Pen-Wähler auf seine Seite zu ziehen, wird er es. Wenn nicht, macht Hollande das Rennen. Die Umworbenen machen es ihren Verfolgern nicht leicht. Die nach der ersten Wahlrunde ausgeschwärmten Soziologen und Demoskopen sind mit wenigen im Wahlkampf brauchbaren Erkenntnissen zurückgekehrt.

 

Die Zielgruppe der Le-Pen-Wähler hat sich bei näherer Betrachtung als äußerst vielschichtig erwiesen. So hat sich etwa die Vorhersage, die auf dem Arbeitsmarkt schwer Fuß fassenden 18- bis 24-Jährigen würden in Scharen für die Rechtspopulistin stimmen, nicht bewahrheitet. Die gegen die EU, den Euro und die Globalisierung Front machende Politikerin kam in dieser Altersgruppe auf 19 Prozent, was gemessen am Durchschnittsergebnis nur ein Plus von 1,1 Punkten bedeutet.

Der Zulauf erfolgt aus allen politischen Lagern

Galt Le Pens Front National (FN) lange Zeit als eine vor allem für Männer attraktive Partei, verzeichnete er zuletzt wachsenden Zulauf von Frauen. So haben Verkäuferinnen, Kassiererinnen und andere schlecht bezahlte weibliche Angestellte in der ersten Wahlrunde zu 27 Prozent für Marine Le Pen gestimmt. Auch beim Blick auf die Hochburgen der Rechtspopulistin bietet sich kein einheitliches Bild. Im Nordosten sowie im Südosten erzielte Le Pen die besten Ergebnisse. Während in Lothringen die hohe Arbeitslosigkeit dem Rechtspopulismus den Boden bereitet hat, war es an der Côte d’Azur der hohe Ausländeranteil.

Aus Sicht der an der Pariser Hochschule Science-Po lehrenden Politikwissenschaftlerin Nonna Mayer kommt Fremdenfeindlichkeit noch am ehesten als gemeinsamer Nenner der FN-Wähler in Betracht. Das Votum für Marine Le Pen, sagt Mayer, „ist allemal ein Anti-Immigranten-Votum“. Jenseits davon beginnt die Vielfalt. Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos, das die politische Herkunft zu Le Pen übergelaufener Wähler erkundet hat, wartet mit dem Befund auf, dass der Zulauf zu gleichen Teilen aus allen politischen Lagern erfolgt ist. Gemeinsam wäre den zu Le Pen gestoßenen Wählern damit nur die Enttäuschung über zuvor favorisierte Politiker.

Marine Le Pen sieht von einer Wahlempfehlung ab

Fest steht, dass die 43-jährige Juristin den politisch heimatlos Gewordenen geschickt die Schwellenangst nimmt, die einem Wechsel zum FN entgegensteht. Als „Marinisten“ heißt die Parteichefin Neuankömmlinge willkommen. Das klingt nach marineblau, nach Meer, viel schöner auf alle Fälle als Lepenisten. Mit dem Nachnamen Le Pen verbinden sich rechtsradikale Entgleisungen des Vaters Jean-Marie, der die Judenvernichtung verharmloste. Marine, das steht für eine Partei, die Verteidigungsminister Gérard Longuet Mitte der Woche für salonfähig erklärt hat, mit der man seiner Meinung nach von gleich zu gleich verhandeln kann. Wohl wissend, dass sie Enttäuschte aller Lager um sich schart, hat Marine Le Pen von einer Wahlempfehlung abgesehen. Sie selbst werde einen leeren Wahlzettel abgeben. Das sei aber nur ihre persönliche Entscheidung.