Es ist ein braver Wahlkampf in Schleswig-Holstein. Keiner tut dem anderen weh. Jeder könnte nach der Wahl zur Koalition gebeten werden.

Kiel - Eigentlich wollte Rot-Grün die seit sieben Jahren andauernde Regentschaft der CDU in Kiel ganz locker ablösen und noch im Februar war die Aussicht dafür glänzend: Die Kieler CDU war gehemmt durch die Affäre um Christian von Boetticher, der über eine Liebesaffäre mit einer 16-Jährigen stolperte. Der SPD-Spitzenmann Torsten Albig und der Grüne Robert Habeck – ein durchaus charismatisches Duo – kamen laut Umfragen auf fast 50 Prozent. Aber wie das Eis in der Sonne so schmolz ihr Vorsprung dahin. Vor Kurzem hieß es dann, es klappe vermutlich nur die dänische Ampel – ein Dreierbündnis von Rot-Grün mit dem Südschleswigschen-Wählerverband (SSW), für den die Fünfprozentklausel nicht gilt. Aber selbst dafür könnte es am Sonntag knapp werden. Es ist alles offen.

 

Die Piratenpartei ist stark im Aufwind und wird aller Voraussicht nach erstmals ins Landeshaus in Kiel einziehen. Auch die FDP unter dem als sarkastischer Edelmann auftretenden Wolfgang Kubicki („Wählen Sie doch, was Sie wollen!“) hat sich berappelt und schafft vermutlich wieder die Fünfprozenthürde. Allerdings wird es für Schwarz-Gelb, das seit 2009 regiert, nicht mehr reichen. Kubicki ist stolz darauf, dass er die Liberalen nach 38 Jahren in der Opposition in Kiel an die Regierung gebracht habe. Doch nur zweieinhalb Jahre regiert zu haben – das wäre ein klägliches Ende. Also versucht er irgendwo anzudocken. In einer Ampel (Rot-Grün-Gelb) oder einer Jamaikakoalition von CDU, FDP und Grünen, wie sie im Saarland kurzen Bestand hatte.

Die Freidemokraten sehen Schnittmengen mit den Grünen

Deshalb haben die Freidemokraten ihr aggressives Verhalten gegenüber den Grünen eingestellt und am liebsten würden sie Worte wie die ihres Landesvorsitzenden Heiner Garg, wonach „rot-grüne Hasardeure“ einst das Land „in den Ruin getrieben haben“, ungeschehen machen. Kubicki lobt neuerdings den Literaten Habeck als „interessant“, hält „Jamaika“ für wahrscheinlich und findet mit der Ökopartei „viele Schnittmengen“ bei Themen wie Inneres, Recht und Haushaltspolitik. Die Absage von Robert Habeck an die FDP fällt verbindlich aus, aber sie verzichtet auf verletzende Angriffe: „Ich kenne niemanden in Schleswig-Holstein, der Jamaika will, mich eingeschlossen.“ Dabei zeigt die Frage des Schuldenabbaus eine Nähe Habecks zu Positionen von CDU und FDP, und es war verblüffend zu sehen, wie der Grüne bei einer Debatte im Kieler Hotel Atlantic seinem Wunschpartner Albig vorwarf, die SPD habe anders als die Grünen noch kein Konzept für die Haushaltskonsolidierung, woraufhin der SPD-Mann Albig „moralische Gründe“ gegen das „Kaputtsparen“ des Landes anführen musste. Das strukturschwache Land steht mit 28 Milliarden Euro in der Kreide und ist nach dem Saarland der am zweithöchsten verschuldete Flächenstaat im Westen, weshalb die Art und Weise des Schuldenabbaus neben der Frage nach der Wiederzulassung von G 9 an Gymnasien in der Tat ein beherrschendes Thema des Wahlkampfs ist.

Im TV-Duell waren Albig und de Jager höflich zueinander

Aber keiner tut dem anderen wirklich weh, und auch das tiefe Zerwürfnis zwischen SPD und CDU – 2009 feuerte CDU-Ministerpräsident Harry Peter Carstensen den „roten Rambo“ Ralf Stegner (SPD) aus dem Kabinett – scheint abgehakt. In einem TV-Duell fassten sich der CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager (47), Wirtschaftsminister und Pastorensohn aus Rendsburg, sowie Torsten Albig (48), einst Sprecher von drei SPD-Bundesfinanzministern und heute Oberbürgermeister von Kiel, mit Samthandschuhen an. Beide verfügen über ein friedliches Naturell, und die einzigen Spitzen, die sie austauschten waren die, dass Albig es als „Unfug“ bezeichnete, wenn die CDU ihm vorwerfe, er wolle die Gymnasien abschaffen. De Jagers kämpferisches Moment bestand darin, dem Sozialdemokraten anzukreiden, er werde „nur dann konkret, wenn es ums Geldausgeben geht“. Wer von den beiden „Giganten“ (NDR) in der Wählergunst vorne liegt, bleibt eine der spannenden Fragen. Laut jüngster Umfrage liegt die SPD mit 33 Prozent vor der CDU mit 32 Prozent. Danach kommen Grüne (12), Piraten (8), FDP (6), SSW (4) und die Linken (2), die damit aus dem Landeshaus fliegen würden. Nun ist bei der SPD oft zu beobachten gewesen, dass sie in Umfragen – zuletzt im Saarland – besser abschnitt als später bei den Wahlergebnissen. Andererseits gilt Albig, der schon eine wechselvolle Karriere in der Finanzverwaltung und in Berlin hinter sich hat, als Sympathieträger und Siegertyp. Auch bei der Kieler Oberbürgermeisterwahl 2009 setzte er sich überraschend klar gegen eine an sich beliebte Amtsinhaberin von der CDU durch, den innerparteilichen Wettstreit gegen seinen Rivalen Stegner gewann er ebenso haushoch.

Angela Merkel hatte sechs Wahlkampfauftritte

Albig hat einen modernen Wahlkampf unter dem Motto „Mein Lieblingsland“ geführt, der mehr auf einen neuen Stil setzt als auf Inhalte. Wobei er damit kokettiert, dass er als früherer Mitarbeiter von Peer Steinbrück und Hans Eichel selbstverständlich wisse, wie man Haushalte konsolidiere. Dass er auch Sprecher des einstigen Finanzministers Oskar Lafontaine war, hängt er nicht an die große Glocke. In den persönlichen Beliebtheitswerten liegt der Sozialdemokrat, gebürtig aus Bremen, um fast 20 Prozent vor seinem Konkurrenten de Jager. Aber auch der oft als farblos beschriebene de Jager, der ins Berufsleben über ein Volontariat beim Evangelischen Pressedienst fand und 2011 als Ersatz für von Boetticher einsprang, hat an Statur gewonnen, wirkt als ehrliche Haut. Er heftet sich die Energiewende und den Ausbau der Windkraft ans Revers und wirbt offen für Schwarz-Grün oder eine Große Koalition. Kanzlerin Angelika Merkel, auch ein Pastorenkind, stärkt dem Kieler CDU-Mann offensiv den Rücken. Sechs Auftritte hatte sie im nur 2,8 Millionen Einwohner zählenden Flächenstaat, wo es ein Erbe zu verteidigen gilt und das Rennen noch nicht entschieden ist.