Für den Ministerpräsidenten Harry Peter Carstensen ist nach der Wahl in jedem Fall Schluss. Er wird Bauer auf einem Hof nahe Kiel.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Kiel - Die letzten Tage im Amt sind typisch für Peter Harry Carstensen, der als pflichtbewusst, geradlinig und bodenständig gilt. Der 65-Jährige könnte es ruhiger angehen lassen. Doch Carstensen macht weiter wie immer. Obwohl der beliebte Landesvater wohl auf seinen Touren schon jeden Kreis Schleswig-Holsteins zweimal besucht hat, ist er gestern erneut auf Regionalreise bei Pinneberg, um den Menschen sein Ohr zu leihen, sich selbst etwa in einer Familienbildungsstätte zu informieren und – wo möglich – gleich zu helfen. Bürgernähe nicht nur zu predigen, sondern selbst zu praktizieren, gehört zu den Grundanliegen des CDU-Mannes. Doch der Politik-Fuchs, der oft unterschätzt wurde, gibt sich momentan nicht nur staatsmännisch. Er wirft sich auch mit Verve in den Wahlkampf – am heutigen Samstag noch einmal in Itzehoe.

 

Carstensen beweist Größe

Und er poltert selbst bei seiner Abschiedsrede, die ihn vergangene Woche im Kieler Parlament zu Tränen rührt, zunächst gegen Rot-Grün. Erst hernach wird Carstensen versöhnlich, wirbt für Aufrichtigkeit und gegenseitigen Respekt, entschuldigt sich gar bei allen, denen er Unrecht tat. Damit beweist der Ministerpräsident ebenso Größe wie mit seinem frühzeitig verkündeten, selbst gewählten Rückzug. So ein würdevoller Abgang gelingt nicht jedem. „Alles hat seine Zeit und jegliches Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde“. Dieser Satz aus dem Buch des Predigers Salomo sei für ihn Richtschnur gewesen, sagt der überzeugte Christ. Sieben Jahre ist der Bauernsohn aus dem nordfriesischen Nordstrand jetzt Ministerpräsident, 22 Jahre war er zuvor Bundestagsabgeordneter. Da wäre es verständlich, fiele die Neuorientierung und der künftige Verzicht auf Privilegien schwer. Doch der Diplom-Agraringieneur, der einst als Landwirtschaftslehrer arbeitete, wischt solche Bedenken mit fröhlicher Robustheit vom Tisch. Auch der Verlust des Dienstwagens schmerze ihn nicht, hat er in einem Interview gesagt. Er sitze gerne selbst am Steuer seines A 6.

Vergessen scheint, dass der CDU-Mann seinen Start ins Amt fast verstolperte. Erst suchte der Witwer via „Bild“-Zeitung eine neue Frau für sich. Dann konnte er 2005 die Macht nur wegen des „Heidemords“ erobern: seiner Vorgängerin Heide Simonis hatte ein Abgeordneter aus ihrem Lager die Zustimmung verweigert und so der Großen Koalition unter Carstensen den Weg geebnet. Das Bündnis stand damit gleich unter keinem guten Stern. Dann wurde es überschattet durch den Dauerstreit Carstensens mit dem heutigen SPD-Chef Ralf Stegner, dem er in herzlicher Abneigung verbunden ist. 2009 ließ Carstensen die Allianz platzen und holte über Neuwahlen seinen Wunschpartner FDP ins Kabinett.

Eine Sinnkrise wird den Ex-Landesvater nicht überkommen

Mit sich selbst und seiner Bilanz scheint er im Reinen. „Ich verabschiede mich in aller Zufriedenheit aus dem Amt“, sagt er. Stolz empfindet er darüber, einen Sparkurs durchgesetzt und die Schuldenbremse in der Landesverfassung verankert zu haben. Auch den Ausbau der Verkehrswege schreibt sich der Vater zweier erwachsener Töchter auf die Fahnen. Ihn mag Wehmut beschleichen, doch eine Sinnkrise fürchtet der Politiker, der nun zu seinen Wurzeln zurückkehrt nicht: „Langweilig wird es mir nicht werden“. Mit seiner Frau Sandra (Jahrgang 1971) bewohnt er einen Forsthof auf einem Gut des befreundeten Brillenkönigs Günter Fielmann. Bienen züchtet er schon. Hühner, Enten und Gänse kommen dazu.

Der Ministerpräsident a.D. will Honig schleudern, Fisch räuchern, einen Wildacker bestellen, sich aber auch mit der großen Frage beschäftigen, wie dem Hunger in der Welt zu begegnen sei. Läuft alles nach Plan, hat er dafür ab dem 8. Juni viel Zeit. Für den Tag ist die Amtsübernahme terminiert. Nur eine kleine Unsicherheit bleibt: sind die politischen Verhältnisse nach der Wahl zu kompliziert, könnte die Regierung länger geschäftsführend weitermachen müssen.