Zwei junge Parteien mischen das verkrustete politische System Spaniens auf. Das Regieren wird nun schwieriger, aber vielleicht auch besser – meint StZ-Korrespondent Martin Dahms.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Ein paar Monate war der Name in aller Munde: Democracia Real Ya – Wahre Demokratie Jetzt. So hieß eine kleine spanische Netzinitiative, die im Mai 2011 Großes auf die Beine stellte: erst eine Massendemo gegen die Krisenpolitik, dann Protestlager auf der Madrider Puerta del Sol und Hunderten anderen Plätzen in ganz Spanien. Sie waren die Vorläufer der Occupy-Bewegung im Rest der reichen Welt, sichtbarer Ausdruck der Empörung über eine Politik, die sich beeilte, Banken zu retten, und alle anderen Krisenopfer zu vergessen schien. Einer der berühmtesten Sprechchöre der Bewegung ging so: Sie nennen’s Demokratie, aber es ist keine!

 

Die Demonstranten haben sich geirrt. Nicht in ihrem Unmut über eine ideologisch verblendete Krisenpolitik. Aber sie irrten sich in ihrer Skepsis gegenüber dem demokratischen System. Weil nach zwei Monaten die Zeltlager auf der Puerta del Sol wieder verschwanden und weil im Herbst desselben Jahres die konservative Volkspartei (PP) von Mariano Rajoy mit überwältigender Mehrheit die spanischen Wahlen gewann, schien alles nur ein nutzloses Aufbegehren gewesen zu sein.

Spaniens Demokratie feiert ein großes Fest

Auf einmal ist doch alles anders geworden. An diesem Sonntag hat die spanische Demokratie ihr großes Fest gefeiert. Zwei neue Parteien haben den alten ihr Terrain streitig gemacht. Gut 20 Prozent wählten Podemos, die Linkspartei, die sich als Erbin des 15-M versteht; knapp 14 Prozent votierten für die liberalen Ciudadanos. Warum diese Lust auf Neustart? Spanien steht ja gar nicht so schlecht da. Nach langer Krise wächst die Wirtschaft wieder, und die Arbeitslosenzahlen gehen langsam zurück. Doch aus den ersten Anzeichen der Gesundung lässt sich noch keine runde Erfolgsgeschichte machen. Zu viele Menschen leiden weiter unter den Auswirkungen der Krise. Aber das ist nicht der einzige Grund für den Unmut. Der hat auch mit der Qualität der spanischen Demokratie zu tun.

Rajoy konnte während der vergangenen Legislaturperiode tun, was er wollte. Im Parlament hatte er eine absolute Mehrheit, und auch in den meisten autonomen Regionen regierte die Volkspartei. Doch Rajoy fehlte die Klugheit, seine Mehrheit mit Fingerspitzengefühl zu gebrauchen. Er traf kleine und große Entscheidungen, die ihm unnötige Feinde einbrachten. Er rettete mit Staatsmilliarden angeschlagene Banken, um sie dann zu Schleuderpreisen an Privatinvestoren zu verkaufen. Und als die Proteste auf den Straßen gegen seine Politik immer lauter wurden, zog er ein „Bürgersicherheitsgesetz“ aus dem Hut, das in Wirklichkeit ein Maulkorbgesetz war.

Die Neuen wollen mitwirken

Spanien ist am Sonntag nicht unregierbar geworden, sondern schwerer regierbar. Das könnte heißen: dass es in Zukunft besser regiert wird. Rajoy wird, falls er denn am Ruder bleiben sollte, lernen müssen zuzuhören, zu diskutieren, zu paktieren. Die neuen Parteien wollen und sollen mitwirken – wahrscheinlich nicht in einer Koalitionsregierung, aber als aktive Parlamentarier, die Einfluss auf die künftige spanische Politik nehmen. Sie nennen’s Demokratie.