Zypern wählt am Sonntag einen neuen Präsidenten. Der Urnengang gilt als Weichenstellung, denn die Inselrepublik steckt in der schwersten Finanzkrise ihrer 53-jährigen Geschichte. Zypern braucht Hilfskredite – sonst droht im Juni die Staatspleite.

Nikosia - Wenn die Not am größten ist, besinnt sich mitunter selbst ein hartgesottener Kommunist auf den Beistand höherer Mächte. So ließ Zyperns Staatschef Dimitros Christofias kürzlich bei seiner Heiligkeit Erzbischof Chrysostomos II. vorfühlen, dem Oberhirten der zyprisch-orthodoxen Kirche, ob er nicht in Moskau ein gutes Wort für die Insel einlegen und einen dringend benötigten Rettungskredit lockermachen könne. Der Erzbischof griff zum Telefon und ließ sich mit seinem Kollegen Kirill I. verbinden, dem Patriarchen von Moskau. Der Glaubensbruder habe versprochen, das zyprische Anliegen Präsident Putin vorzutragen, sagt Chrysostomos. Eine Antwort aus dem Kreml steht noch aus. Bereits Ende 2011 stand Russland den Zyprern mit einem Notkredit von 2,5 Milliarden Euro bei. Aber jetzt zeigen die Russen Christofias die kalte Schulter. Zu krass hat der Altkommunist die Insel abgewirtschaftet.

 

Beim Zypernproblem dachte man früher an die Teilung der Insel nach der türkischen Invasion 1974. Jetzt geht es um undurchsichtige Briefkastenfirmen, um Steuerdumping und Geldwäsche. Es geht um wankende Banken, die eine ganze Volkswirtschaft in den Abgrund reißen könnten. Und es geht um russische Milliarden, die Zypern einen Boom bescherten – und der Insel jetzt zum Verhängnis werden.

Neue Regierung muss Dilemma lösen

Der seit fünf Jahren amtierende Kommunist Christofias tritt bei der Wahl am Sonntag nicht mehr an, er hätte wohl auch keine Chance. Als Favorit geht der Konservative Nikos Anastasiadis in die Abstimmung. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagt Anastasiadis. Zypern brauche dringend Hilfskredite.

Die neue Regierung muss ein Dilemma lösen. Einerseits muss sie die Geldwäsche bekämpfen, den aufgeblähten Bankensektor stutzen und mehr Transparenz herstellen, um an Kredite der EU zu kommen. Andererseits darf das Geschäftsmodell des Niedrigsteuerstandorts Zypern, wo auf 850 000 Einwohner rund 300 000 Firmen kommen, nicht gefährdet werden. Denn Finanzdienstleistungen sind die wichtigste Säule der zyprischen Wirtschaft.

Vor allem Russen haben die Insel ins Herz geschlossen. Einer von ihnen ist Yuri Pianykh. „Ich fühle mich wohl hier“, sagt Yuri in seinem Sessel in der Lobby des Hotels Four Seasons in Limassol. „Schade, dass wir nicht draußen sitzen können.“ Es regnet, Yuri hat eine Strickjacke übergezogen. „Aber sonst scheint hier fast immer die Sonne“, versichert er. Das ist nur einer der Vorteile Zyperns.

Nicht nur die Religion verbindet Russen und Zyprer

Vor 25 Jahren gab Yuri seinen Job als Sowjetdiplomat auf und ließ sich als Geschäftsmann auf Zypern nieder. Heute ist er Vorsitzender des Verbandes russischer Unternehmer in Zypern. Bis zu 20 000 russische Staatsbürger leben auf der Insel, erzählt Yuri. Wer 300 000 Euro in eine Immobilie investiert, bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung. Viele der Villen in den Hügeln über der Küste von Limassol gehören reichen Russen. Nicht nur die gemeinsame Religion verbindet Russen und Zyprer. Schon im Kampf gegen die britischen Kolonialherren wussten die Zyprer die Sowjetunion an ihrer Seite. Und dann gibt es noch das Doppelbesteuerungsabkommen aus Sowjetzeiten. Großkonzerne wie Gazprom, Lukoil, Severstal und russische Banken sind mit ihren Niederlassungen auf Zypern sichtbar. Aber wie viele russische Eigentümer sich hinter den Hunderttausenden GmbHs verbergen, ist unklar.

Auch Michalis M. kennt die Zahl nicht. Der Mittfünfziger ist Mitinhaber einer Wirtschaftskanzlei in Limassol. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen. Er erklärt die Geldströme: „Unternehmen in Russland führen ihre Gewinne an zyprische Holdinggesellschaften ab. Dafür werden in Russland fünf Prozent Steuern fällig, in Zypern werden die transferierten Dividenden gar nicht besteuert – so sieht es das Doppelbesteuerungsabkommen vor. Von Zypern fließen die meisten Gelder zurück nach Russland. So kommt es, dass die kleine Inselrepublik auf dem Papier der größte ausländische Investor in Russland ist. „Alles völlig legal“, versichert Michalis M.

„Schwarzgeld ist überall“

Russisches Schwarzgeld? Der Vorwurf steht nicht erst im Raum, seit Medien kürzlich einen Bericht des Bundesnachrichtendienstes zitierten, wonach russische Oligarchen und Mafiosi bei zyprischen Banken 20 Milliarden Euro gebunkert haben sollen. Jetzt ermittelt die griechische Justiz gegen den früheren Verteidigungsminister Akis Tsochatzopoulos. Ihm wird zur Last gelegt, bei Rüstungsaufträgen Millionen-Schmiergelder kassiert zu haben. Ein Teil der Gelder floss über Zypern .

In der Sache hat auch Eva Rossidou Papakyriakou ermittelt. Sie sitzt im dritten Stock eines Bürogebäudes an der Periklesstraße in Nikosia. Frau Papakyriakou ist Staatsanwältin und leitet die zyprische Behörde für die Bekämpfung von Geldwäsche. „Schwarzgeld ist überall“, sagt sie. Aber der in Deutschland erhobene Vorwurf, Zypern sei eine Geldwaschmaschine, „ist schlichtweg falsch“, sagt Papakyriakou und verweist auf Untersuchungsberichte des Antigeldwäschekomitees des Europarats, das Zypern immer gute Noten ausgestellt hat.

Jedenfalls waren es die russischen Milliarden, die Zypern zum Verhängnis wurden. Zwischen 1995 und 2011 wuchs der zyprische Finanzsektor um 240 Prozent – fast viermal so schnell wie die Gesamtwirtschaft. Einlagen von 70 Milliarden Euro türmten sich bei den zyprischen Banken, fast das Vierfache des Bruttoinlandsprodukts der Insel. Mehr als ein Drittel davon stammte von ausländischen Kunden, vor allem Russen. Die zyprischen Banker hatten ein Problem: Wohin mit dem vielen Geld? Erst vergaben sie großzügig Kredite. Dann expandierten sie ins benachbarte Griechenland, verteilten auch dort großzügig Darlehen und legten die russischen Milliarden in griechischen Staatsanleihen an. Als die privaten Gläubiger im vergangenen Jahr beim griechischen Schuldenschnitt zur Kasse gebeten wurden, war das Schicksal der zyprischen Banken besiegelt.

Die Rettung Zyperns dürfte schwierig werden

Am schlimmsten traf es die Laiki Bank, die rund die Hälfte ihrer Bilanzsumme in Griechenland erwirtschaftete. Die Hauptverwaltung des Instituts an der Limassol-Allee in Nikosia, ein futuristischer Turm aus Stahl und Glas, ist ein Monument aus besseren Tagen, als Zyperns Banken boomten. Vergangenes Jahr war die Laiki praktisch pleite, musste mit 1,8 Milliarden Euro vom Staat gerettet werden. „Der Schaden ist riesig“, sagt Takis Phidia. Er soll als kommissarischer CEO das Institut sanieren. Über viele Entscheidungen seiner Vorgänger kann Phidia nur den Kopf schütteln: „Wenn eine Bank ihr gesamtes Eigenkapital von drei Milliarden Euro in griechische Staatsanleihen investiert, ist das offensichtlich kein gutes Risikomanagement.“ Von den drei Milliarden sind jetzt noch 330 Millionen übrig. Die Rettung Zyperns dürfte schwieriger werden als die Sanierung der Laiki Bank. Die Zeit wird knapp. Im Juni muss die Insel Staatsanleihen von 1,4 Milliarden Euro refinanzieren. Wenn bis dahin kein Geld fließt, ist Zypern pleite.

Deutsche Politiker wollen Russland an der Zypernhilfe beteiligen. Doch das könnte seinen Preis haben. Russland hätte auf der Insel sicher gerne einen Anlaufpunkt für seine Kriegsflotte, wenn es seinen Stützpunkt in Syrien, den einzigen im Mittelmeer, verlieren würde. Auch auf die vor Zypern vermuteten großen Erdgasvorkommen hat Moskau ein Auge geworfen. Wenn die EU Zypern helfe, werde Russland sich beteiligen, signalisierte Premier Dmitri Medwedew bereits. Im Kreml dürfte man wissen, dass russische Hilfskredite in Zypern mehr als Zinsen bringen.