Exklusiv In Stuttgart ist die SPD mancherorts eine Splitterpartei. Anderswo geht nur jeder Vierte wählen. Und in einem Stadtteil bekamen die Freien Wähler bei der Kommunalwahl 2009 mehr als 30 Prozent der Stimmen. Diese und andere überraschende Einsichten erlaubt der Wahlatlas Stuttgart.

Stuttgart - Stuttgart ist eine Stadt der Extreme. Eine, in der die SPD mancherorts zur Splitterpartei geworden ist. In einem Stadtteil holen die Freien Wähler mehr als 30 Prozent und die CDU gerade mal 15. Der einst dafür berüchtigte Stadtteil Hausen ist nicht mehr die Hochburg der Republikaner; 7,8 Prozent holt die Partei woanders. Und Stuttgart ist auch eine Stadt, in der die Wahlbeteiligung zwischen 68,8 und 27,6 Prozent schwankt. 

 

Das alles sind Erkenntnisse, die der Wahlatlas Stuttgart möglich macht. Er basiert auf einer detaillierten Auswertung des Wählerverhaltens bei der Kommunalwahl 2009 und ist eine Fundgrube für all jene, die beispielsweise wissen wollen, wie ihre Nachbarschaft abgestimmt hat. Oder die es interessiert, wo die meisten Grünen-Wähler sitzen.

So funktioniert der Wahlatlas

Der Wahlatlas ist einfach zu bedienen: Er zeigt alle 152 Stadtteile der Stadt Stuttgart. Im Menü wählen Sie aus, welche Kategorie Sie interessiert. Automatisch färben sich die einzelnen Stadtteile ein. Wenn Sie das Wahlergebnis der Grünen interessiert, sind die Stadtteile umso grüner eingefärbt, je mehr Stimmen die Partei dort bei der Kommunalwahl 2009 geholt hat. Analog ist die Einfärbung bei allen anderen Parteien. Dasselbe Prinzip gilt für die anderen Kategorien wie Wahlbeteiligung oder Anteil der Briefwähler: je höher der Wert, desto dunkler ist ein Stadtteil eingefärbt.

Das Prinzip des Wahlatlas Stuttgart ist es, dass jeder Nutzer sich genau jene Ergebnisse und Stadtteile herauspickt, die ihn interessieren. Auf den folgenden Seiten weisen wir dennoch auf ausgewählte besondere Ergebnisse hin. Und in den Tagen bis zur Wahl berichten wir aus den Extrem-Stadtteilen: Wir besuchen Cannstatt-Veielbrunnen, wo nur jeder vierte Wahlberechtigte zur Wahl gegangen ist. Wir begleiten den SPD-Spitzenkandidaten Martin Körner beim Haustürwahlkampf durch Stuttgart-Neuwirtshaus, wo die SPD 2009 stuttgartweit ihr bestes Ergebnis eingefahren hat.

Wir sprechen außerdem mit Bewohnern von Stuttgart-Giebel, wo die Republikaner ihr stärkstes Ergebnis erreicht haben. Und wir fragen am Neckartor und im Kernerviertel nach, welche Rolle Stuttgart 21 und die Feinstaubbelastung bei der Wahlentscheidung 2009 gespielt haben - und welche Rolle sie 2014 spielen werden.

Das CDU-Dreieck

Die Kommunalwahl 2009 war für die Stuttgarter CDU eine herbe Niederlage. Sie stürzte von 33 auf 24,3 Prozent ab und ist seither nicht mehr die stärkste Kraft im Stuttgarter Gemeinderat.

Das zeigt sich auch deutlich im Wahlatlas Stuttgart. Nur in drei Stadtteilen kamen die Christdemokraten 2009 auf mehr als 35 Prozent Stimmenanteil. Büsnau, Hofen und Riedenberg waren bei der letzten Kommunalwahl die einzigen Hochburgen der CDU. Besonders herb ist das Ergebnis der CDU im Stadtteil Rohracker. Dort stimmten nur 15,1 Prozent für die Konservativen - und umso mehr für Freie Wähler und FDP.

Und es zeigt sich auch: Wo sich die CDU besonders schwertut, da sammeln die Grünen viele Stimmen.

Wo Grüne und SÖS (fast) die Mehrheit haben

Die Stuttgarter Innenstadt ist im Wahlatlas in sattes Grün gefärbt. Mit Ausnahme von Stuttgart-Ost holten die Grünen dort durchweg mehr als dreißig Prozent der Stimmen. Auf 25,3 Prozent kamen sie im gesamten Stadtgebiet. Schwer tun sich die Grünen jedoch im Stuttgarter Norden. Dort schafften sie es nur knapp über zehn Prozent. Besonders schwach fiel das Ergebnis in Mönchfeld, Freiberg und Rot aus: Dort bekamen die Grünen zwischen 11 und 12,3 Prozent der Stimmen - das ist verglichen mit dem Gesamtergebnis weniger als die Hälfte.

Im Kernerviertel und in der Diemershalde stimmten dagegen fast 39 Prozent der Wähler für die Grünen. Gemeinsam mit SÖS haben sie hier fast die absolute ökosoziale Mehrheit erzielt.

Wie die Grünen auch, tat sich SÖS im Stuttgarter Norden schwer - und generell außerhalb der Innenstadt. Mit einer Ausnahme: Vaihingen. In den dortigen Stadtteilen Höhenrand und Wallgraben-West kam die Partei von Hannes Rockenbauch 2009 auf zehn Prozent Stimmenanteil.

Die folgende Karte zeigt die Ergebnisse von SÖS in den Stuttgarter Stadtteilen:

Der rote Osten - das war mal

Vom roten Osten kann man nur noch bedingt sprechen. Wegen des Zuschnitts der Wahlbezirke ist für diesen Teil Stuttgarts zwar keine ganz so detaillierte Analyse möglich. Doch klar ist: Die SPD holte in Stadtteilen wie Gaisburg, Stöckach und Berg ein schlechteres Ergebnis als in der Gesamtstadt.

Die Linkspartei kam just dort auf ein etwas überdurchschnittliches Ergebnis: 

Klar ist: Die SPD-Hochburgen liegen woanders. In Neuwirtshaus zum Beispiel, wo die Genossen auf 27,2 Prozent kamen, oder in Mönchfeld (26,1 Prozent). Das sind rund zehn Prozentpunkte mehr als im Gesamtergebnis.

Insgesamt ist die SPD vor allem im Stuttgarter Norden stark. Im Süden gibt es nur einzelne Inseln, die herausragen: Fasanenhof zum Beispiel oder Lauchäcker am südwestlichen Stadtrand. Hier holte übrigens auch die Linkspartei ein überdurchschnittliches Ergebnis.  

Die gallischen Dörfer von FDP und Freien Wählern

Es gibt in Stuttgart zwei gallische Dörfer, sie heißen Schönberg und Rohracker. Wer sich im Wahlatlas die Ergebnisse von FDP und Freien Wählern anzeigen lässt, sieht diese beiden Stadtteile deutlich aufleuchten. In Schönberg holte die FDP 21,5 Prozent, in Rohracker stimmten 32,5 Prozent für die Freien Wähler.

Hier die Ergebnisse der FDP:

Die Opfer heißen mal SPD und mal CDU. In der FDP-Hochburg Schönberg haben die Genossen keine Chance, und in Rohracker haben die Freien Wähler die CDU marginalisiert.

Diese Karte zeigt die Ergebnisse der Freien Wähler:

Wo jeder Zwölfte rechtsaußen wählt

Wer die Republikaner wählt, tut das womöglich auch aus Protest. Das gilt auch für ungültige Stimmzettel. Wenn dem tatsächlich so ist, dann wäre Stuttgart-Giebel die Hochburg der Protestwähler. Dort erhielten die Republikaner 7,8 Prozent der Stimmen. Das ist mehr als dreimal so viel wie im gesamten Stadtgebiet. Die Zahl der ungültigen Stimmen war in Giebel doppelt so hoch wie im Gesamtschnitt.

Damit hat Giebel den Stadtteil Hausen abgelöst, der lange Zeit für Wahlerfolge der Republikaner bekannt war. Auch in Sachen ungültige Stimmen ist Hausen nicht mehr stuttgartweit spitze. Dies könnte unter anderem an den Baumaßnahmen der vergangenen zwanzig Jahre liegen, die den Charakter des Stadtteils verändert haben. 

Wer wählen darf - und wer wählen geht

Die Stuttgarter Musterdemokraten wohnen am Killesberg und in Rotenberg. Dort war die Wahlbeteiligung 2009 mit 68,8 beziehungsweise 67,1 Prozent besonders hoch. Auch in den Stadtteilen Sillenbuch, Frauenkopf Lenzhalde, Sonnenberg, Haigst und Weinsteige war die Wahlbeteiligung mit mehr als 60 Prozent überdurchschnittlich. Insgesamt gaben 48,7 Prozent der Wahlberechtigten 2009 bei der Kommunalwahl ihre Stimme ab.

Während diese Werte etwa im Vergleich mit der Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen nicht sonderlich spektakulär sind, sticht ein anderes Extrem sofort ins Auge: 27,6 Prozent Wahlbeteiligung im Stadtteil Veielbrunnen. In diesem Stadtteil zwischen S-Bahn-Linie und Wasen ging also gerade einmal jeder vierte Wahlberechtigte zur Wahl. In der Neckarvorstadt waren es 31,7 Prozent, im Innenstadtteil Rathaus 33,3 Prozent.

Zumindest teilweise scheint die Wahlbeteiligung mit dem Anteil der Wahlberechtigten an der Gesamt-Einwohnerzahl eines Stadtteils zusammenzuhängen. Jedenfalls ist dieser Wert beispielsweise für Veielbrunnen und die Neckarvorstadt niedrig. 

In diesen Stadtteilen wurden auch besonders wenige Anträge auf Briefwahl gestellt. In dieser Kategorie ist die Quote in den wohlhabenden Teilen von Stuttgart-Nord sowie am Bopser und an der Weinsteige besonders hoch.

Normaler geht's nicht

In der letzten Kategorie haben wir errechnet, welcher Stuttgarter Stadtteil der normalste ist - zumindest in Sachen Wahlverhalten. Wir haben dafür die Abweichungen der Stimmanteile in den einzelnen Stadtteilen im Vergleich zum Gesamtergebnis errechnet und den Median bestimmt (hier gibt es eine Erklärung zum Verfahren).

Und siehe da: Am durchschnittlichsten hat 2009 Stuttgart-Rohr gewählt. Die Freien Wähler haben hier ein paar Punkte mehr, die Grünen ein paar Punkte weniger eingefahren als in der Gesamtstadt. Ansonsten orientiert sich das Ergebnis in Rohr stark am Ergebnis für ganz Stuttgart. Zumindest 2009 hat der Stuttgarter Normwähler also in Rohr gewohnt. Wo er wohl 2014 zu finden sein wird?