Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Der neue Bahnhof und die damit verbundenen Bauarbeiten sind die zweite große Sorge, die die Bewohner des Kernerviertels umtreibt. Uwe Dreiss ist Ingenieur und Jurist und kennt die Anliegen der Bürger – er engagiert sich im Netzwerk Kernerviertel. „Zur Zeit treibt die Bewohner vor allem eine Frage um“, sagt Dreiss, „viele wollen wissen, ob ihr Grundstück wirklich sicher gegen Hebungen und Senkungen ist, die von der Tunnelbohrung langfristig verursacht werden.“

 

Mögliche Folgen, die durch den Tunnelbau und das Abpumpen von Grundwasser entstehen können, sind bis heute nicht wirklich geklärt. Für Dreiss ist klar: „Das hätte von Anfang an viel gründlicher geplant werden müssen. Jetzt stellt sich heraus, dass das nicht gründlich genug gemacht wurde, als dass man alle Risiken erkennen kann.“ Die nicht absehbaren Folgen des Projekts sind auch für die S-21-Befürworter ein Grund sich Sorgen zu machen, meint Dreiss: „Diese Sorge wird die Wahlentscheidung vieler beeinflussen.“

Dreiss sieht die Interessen der Kernerviertel-Initiative nach wie vor am Besten von SÖS, Linken und den Grünen repräsentiert. Diese Parteien, meint Dreiss, würden auch am Sonntag im Kernerviertel reüssieren, im Detail könnten sich verglichen mit dem Ergebnis von 2009 jedoch Verschiebungen ergeben. „Ich nehme an, dass es viele so machen werden wie ich, und vom Panaschieren und Kumulieren großzügig Gebrauch machen.“ Wie die Wahl aber letztlich ausgeht, wagt er nicht zu prognostizieren . Er zuckt deshalb mit den Schultern: „Fragen Sie mich etwas Leichteres. Ich bin selbst ziemlich neugierig.“

Schallschutzfenster, mehr nicht

Uwe Dreiss spaziert weiter vom Friedensplatz in die Urbanstraße. Ein LKW, der Kies geladen hat, rauscht vorbei – auch die Lärmbelastung durch die Baustellen ist ein Anliegen der im Viertel wohnhaften Bürger. „In der Urbanstraße werden im Erdgeschoss teilweise Schallschutzfenster eingebaut“, erzählt Dreiss. Das Problem: sie lassen sich nicht mehr öffnen. Die Leute fühlen sich eingesperrt. „Da kommen einem echt die Tränen“, sagt er. Zwar kommt die Deutsche Bahn für die Kosten auf, doch mit dem Einbau der Fenster sollen alle Lärmbelästigungen ausgeglichen sein. Weiter Zahlungen sind laut Dreiss nicht geplant.

Die Grünen, die im Kommunalwahlkampf 2009 unter anderem gegen das Bahnprojekt und für eine Lösung des Feinstaubproblems geworben hatten, erhielten im Stadtteil Kernerviertel 38,8 Prozent. Sie holten hier Stuttgart-weit das beste Ergebnis, wie der Wahlatlas von stuttgarter-zeitung.de ergibt. Auch die Liste SÖS bekam nirgendwo einen höheren Stimmanteil. 9,9 Prozent waren es im Kernerviertel; im ganzen Stadtgebiet kam die Gruppierung um Hannes Rockenbauch auf 4,6 Prozent.

Das war 2009. Die Luft am Neckartor ist immer noch dreckig. Haben die Grünen versagt, Herr Erben? „Ich bin schon soweit Realist, dass ich weiß, dass die Grünen die Situation nicht im Alleingang lösen können“, antwortet das Gründungsmitglied der Bürgerinitative Neckartor, „sie haben ja keine Mehrheit im Gemeinderat.“ Außerdem hänge eben vieles auch von den persönlichen Entscheidungen der Bürger ab. Wer nicht Bus oder Bahn fährt, muss eben mit dem Auto in die Stadt – oder mit dem Rad. So wie Peter Erben. Sein Rad hat sogar eine grüne Plakette. „Schadstoffgruppe fünf. Absolut null Emissionen. Das umweltfreundlichste Fortbewegungsmittel überhaupt“, meint der 54-Jährige.

Mehr Ideen wagen

Dass sich durchaus etwas tut in der Verkehrsproblematik zeigt die Einführung des Jobtickets. Diese Maßnahme geht Peter Erben aber nicht weit genug: „Wie kommt man denn auf die Idee, das Ticket nur für städtische Mitarbeiter anzubieten? Warum gibt es das nicht für alle, die den ÖPNV nutzen, um in die Arbeit zu kommen“, fragt er. Busse und Bahnen müssten so attraktiv werden, dass das Auto nur noch als schlechtere Alternative gilt.

Von Oberbürgermeister Kuhn erwartet Erben ein resoluteres Auftreten gegenüber der Deutschen Bahn. Als Beispiel nennt er die Versäumnisse bei der Planung der Stadtbahnhaltestelle Staatsgalerie, die am westlichen Rand des Kernerviertels liegt. „Kuhn als Aufsichtsratsvorsitzender der SSB sollte sich hinstellen und Schadenersatz von der Bahn fordern. In jedem Fall sollten die Fahrgäste dafür entschädigt werden“, sagt Erben.

Persönlich erwartet er – nicht nur von den Grünen, sondern von der Politik im Allgemeinen –, dass mehr Ideen aus der Bevölkerung aufgenommen werden. „Ich nutze geschäftlich ja auch ein Auto. So eins, um genau zu sein“, sagt Erben und zeigt auf einen vorbeifahrenden weißen Sprinter. Wenn er Städteplaner spielen dürfte, würde er den „öffentlichen Raum zur Fortbewegung“ anders verteilen. „Wenn es nach mir ginge, würden wir hier auf der B 14 eine Busspur mit Oberleitung bauen – und zwar auf beiden Seiten. Daneben am besten noch einen Fahrradweg“, erklärt er seine Vision.

Um die Luft und die Feinstaubproblematik am Neckartor in den Griff zu bekommen, braucht es eine Reduzierung des Verkehrs in der Innenstadt, sagt Peter Erben. „Wie dies zu bewerkstelligen ist, darüber machen sich nur Grüne, SÖS und Linke Gedanken“, meint Erben, „die restlichen Parteien sprechen immer nur von einer Verflüssigung des Verkehrs. Damit kommt man aber nicht weiter. Die Anzahl der Autos muss insgesamt weniger werden.“

Es leiden: die Schwächeren, die Armen

Im Hintergrund brettert ein Transporter vorbei. Die an der Straßenseite halbkahlen Äste der Bäume biegen sich im Fahrtwind. Ein junger Mann, der vorbeiläuft, hält seine Schildmütze fest – fast hätte sie der Luftstoß davon geweht. Unter der Feinstaubproblematik am Neckartor leiden vor allem die Schwächeren, die Ärmeren. Hier wohnen Studenten und Menschen, die sich eine Wohnung an einer ruhigeren Ecke schlicht nicht leisten können.

„Das Problem ist, dass die Anwohner einfach keine Lobby haben“, sagt Peter Erben. Aus dem Eingang des Wohnheims, das direkt ans Neckartor grenzt, kommt ein Student. Lässig schlendert er durch die Tür, seinen Rucksack trägt er mit einem Träger über dem Arm. „Vielleicht sollten sie einfach ein Schild an die Tür machen, auf dem steht: Wenn Sie hier wohnen, gefährden Sie Ihre Gesundheit“, sagt Erben und geht weiter in Richtung Neckarstraße.

Saubohne als Symbol der Hoffnung

Zwei Straßen weiter, am Friedensplatz, sieht Stuttgart ganz anders aus. Hier klebt der Schmutz nicht zentimeterdick auf den Fingern, wenn man über eine Fensterbank streicht. Hier lebt Peter Erben. Der Friedensplatz wurde vor drei Jahren umgebaut: der Raum für die Fußgänger wurde erweitert, Bäume gepflanzt und es gibt jetzt Stellplätze für Fahrräder. „Das Viertel ist eigentlich Klasse“, sagt Erben.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steckt ein Schild in einem Blumenbeet auf dem steht: „Ist das massenhafte Anpflanzen von Saubohnen unser letzter Ausweg zur Luftreinhaltung und Erneuerung der Luft?“ – das Thema Luftverschmutzung scheint allgegenwärtig. Die Saubohne, die Stickstoff aus der Luft aufnimmt und im Boden bindet, ist zum Symbol für den Protest gegen die dicke Luft in der Stuttgarter Innenstadt geworden.

„Ich habe auch Grün gewählt beim letzten Mal“, sagt eine Frau, die ihr Rad neben sich herschiebt: „Aber mein Vertrauen in die Politik ist bitter enttäuscht worden.“ Die Bürgerinitiativen im Viertel gegen den Feinstaub und Stuttgart 21 findet sie hingegen toll – und das, obwohl sie das Bahnprojekt unterstützt.

Das andere Problem des Kernerviertels

Der neue Bahnhof und die damit verbundenen Bauarbeiten sind die zweite große Sorge, die die Bewohner des Kernerviertels umtreibt. Uwe Dreiss ist Ingenieur und Jurist und kennt die Anliegen der Bürger – er engagiert sich im Netzwerk Kernerviertel. „Zur Zeit treibt die Bewohner vor allem eine Frage um“, sagt Dreiss, „viele wollen wissen, ob ihr Grundstück wirklich sicher gegen Hebungen und Senkungen ist, die von der Tunnelbohrung langfristig verursacht werden.“

Mögliche Folgen, die durch den Tunnelbau und das Abpumpen von Grundwasser entstehen können, sind bis heute nicht wirklich geklärt. Für Dreiss ist klar: „Das hätte von Anfang an viel gründlicher geplant werden müssen. Jetzt stellt sich heraus, dass das nicht gründlich genug gemacht wurde, als dass man alle Risiken erkennen kann.“ Die nicht absehbaren Folgen des Projekts sind auch für die S-21-Befürworter ein Grund sich Sorgen zu machen, meint Dreiss: „Diese Sorge wird die Wahlentscheidung vieler beeinflussen.“

Dreiss sieht die Interessen der Kernerviertel-Initiative nach wie vor am Besten von SÖS, Linken und den Grünen repräsentiert. Diese Parteien, meint Dreiss, würden auch am Sonntag im Kernerviertel reüssieren, im Detail könnten sich verglichen mit dem Ergebnis von 2009 jedoch Verschiebungen ergeben. „Ich nehme an, dass es viele so machen werden wie ich, und vom Panaschieren und Kumulieren großzügig Gebrauch machen.“ Wie die Wahl aber letztlich ausgeht, wagt er nicht zu prognostizieren . Er zuckt deshalb mit den Schultern: „Fragen Sie mich etwas Leichteres. Ich bin selbst ziemlich neugierig.“

Schallschutzfenster, mehr nicht

Uwe Dreiss spaziert weiter vom Friedensplatz in die Urbanstraße. Ein LKW, der Kies geladen hat, rauscht vorbei – auch die Lärmbelastung durch die Baustellen ist ein Anliegen der im Viertel wohnhaften Bürger. „In der Urbanstraße werden im Erdgeschoss teilweise Schallschutzfenster eingebaut“, erzählt Dreiss. Das Problem: sie lassen sich nicht mehr öffnen. Die Leute fühlen sich eingesperrt. „Da kommen einem echt die Tränen“, sagt er. Zwar kommt die Deutsche Bahn für die Kosten auf, doch mit dem Einbau der Fenster sollen alle Lärmbelästigungen ausgeglichen sein. Weiter Zahlungen sind laut Dreiss nicht geplant.

An einem Laternenpfahl hängt ein Wahlplakat der Grünen. Es zeigt eine Amsel, die ein Blatt im Schnabel hält. Darüber steht: Auch Schwarze wählen Grün. Ein Stück weiter prangt ein weiteres Wahlplakat derselben Partei: Wir haben ein Herz für große Wagen – darunter ist eine Stadtbahn der Linie 15 zu sehen. „Ich frage mich, warum keine der großen Parteien im Wahlkampf mehr die Problematik um Stuttgart 21 thematisiert“, sagt Dreiss, „irgendwie habe ich das Gefühl, dass jeder in Deckung geht.“

Dabei wäre eine Umkehr noch immer möglich, glaubt er. „Die Arbeiten sind insgesamt nicht so weit fortgeschritten. Von den fast 62 Kilometern Tunnel sind erst 400 Meter gebohrt. Das könnte man immer noch umdrehen“, sagt Dreiss, „aber ich höre auch schon: das ist doch schon gebaut, und: das ist doch alles schon vorbei. Das stimmt einfach nicht. Die Sache hat gerade erst begonnen. Sie ist noch umkehrbar.“

Mal etwas ausprobieren

Eine Frau mit zwei vollbepackten Einkaufstüten spaziert aus einem Lebensmittelgeschäft am Friedensplatz. Sie hat ihre Entscheidung für die Wahl am Sonntag bereits getroffen. Lange Jahre habe sie „Grün gewählt“. „Aber die bekommen meine Stimme nie wieder“, murmelt sie und geht in Richtung Kernerplatz davon.

„Diese Wahl ist ja eigentlich eine reine Personenwahl und auch deshalb so spannend“, sagt Peter Erben, bevor er sich auf sein Rad schwingt, „und sie bietet auch die Möglichkeit, mal etwas auszuprobieren.“