Ab Donnerstag können Deutschtürken auch in Stuttgart ihre Stimme für die Präsidentenwahl am 24. Juni in der Türkei abgeben. Die Auseinandersetzungen rund um das Referendum 2017 wirken noch nach. Zur Sicherheit wurde vor dem Wahllokal in Zuffenhausen eine 90 Meter lange Betonwand aufgebaut.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - „Natürlich gehe ich wählen“, das ist für den 38 Jahre alten Deutschtürken keine Frage. Und noch etwas ist für den Beschäftigten eines Autokonzerns entschieden: Er wird Recep Tayyip Erdogan wählen. „Er ist für uns einfach der Beste“, ist der Mann überzeugt, der über sich sonst nichts preisgeben will. Er ist um die Mittagszeit an der Feuerbacher Mauserstraße unterwegs, wo Stuttgarts größte Moscheegemeinde, die der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), und eine Reihe türkischer Geschäfte und Restaurants liegen.

 

Diesmal geht es im Wahlkampf ruhig zu, es ist heiß an diesem Tag, und nichts deutet in dem „Klein-Istanbul“ genannten Quartier auf die kommende Wahl hin. Aber die zurückliegenden Auseinandersetzungen vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei 2017 wirken noch nach. „Deutschland ist gegen die Türkei – ich fühle mich nicht gewollt“, diesen Schluss zieht der 38-Jährige aus den Konflikten des vorigen Jahres, als es nicht nur zwischen konkurrierenden türkischen Parteien, sondern auch zwischen beiden Ländern wegen Auftritten türkischer Politiker zu Spannungen gekommen ist.

Wahlkampf verläuft ruhiger

„Zum Glück ist es diesmal ruhiger“, sagt ein 27-Jähriger aus Zuffenhausen, der bei Bosch arbeitet. „Letztes Jahr – das war wirklich schlimm.“ Auch ihm, der eigentlich „kein Erdogan-Fan ist“, sei das „Türkei-Bashing“ zu viel gewesen, sagt er. Das und die dauernden Debatten mit Kollegen haben ihn so sehr unter Druck gesetzt, dass er sich wieder stärker mit dem Herkunftsland seiner Eltern identifiziert. Auch dieses Mal wird er wohl Erdogan wählen. Der habe „viel gemacht“ für die Türkei, zum Beispiel im Gesundheitswesen und in der Verkehrsinfrastruktur. Ein guter Teil seiner Familie lebe noch in der Osttürkei, sagt der junge Mann, da habe man früher „nichts gehabt“. Die Verbesserungen durch Erdogan, betont er, dürfe man „nicht schlecht reden“.

Auf diese Haltung trifft man häufig an der Mauserstraße. „Den Leuten in der Türkei geht es heute einfach besser“, erklärt auch Achmet Simsek die noch immer große Popularität Erdogans. Der eloquente 36-jährige Kaufmann aus Weilimdorf, der auch als Schwabe durchgehen würde, berichtet, dass der Wahlkampf diesmal ruhiger verläuft. Dies sei so, glaubt er, weil mit dem Verfassungsreferendum der entscheidende Schritt getan sei. Auch für Dilek Özcan gehört es zu den großen Fortschritten der zurückliegenden Jahre, wie unter Erdogan das Gesundheitswesen verbessert wurde. „Früher sind die Leute krank aus der Klinik gekommen“, sagt die Frau, die vom Schwarzen Meer stammt. „Der Mann macht nichts falsch“, findet die 40-Jährige. Dazu gehöre, dass sie nun nicht nur hier, sondern auch in der Türkei wieder das Kopftuch tragen kann. Leider sei es heute aber in Stuttgart so, dass sie deswegen „von Leuten angefahren und angeschnauzt“ werde, kritisiert sie. Das führt Dilek Özcan darauf zurück, „dass der Islam hier inzwischen als radikal darstellt wird.“

Betonleitwand zur Sicherheit aufgestellt

Doch es gibt auch Stimmen, die nicht von einem erneuten Erfolg Erdogans bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 24. Juni überzeugt sind. „Es herrscht im Moment Ruhe, das ist nicht so gut für die regierende Partei der Türkei“, sagt Gökay Sofuoglu, der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland aus Fellbach. „Dadurch kann Erdogan die deutsche Politik und die Medien nicht als Feindbild vorführen.“ Es sei jedenfalls nicht sicher, sagt Sofuoglu, dass Erdogan die 50-Prozent-Hürde schaffen werde. Auch die Oppositionsparteien verzichteten dieses Mal auf eine Polarisierung im Wahlkampf. Aber klar sei auch: „Die Stimmen aus dem Ausland werden wieder sehr wichtig sein“, weiß Sofuoglu. „Ich hoffe, dass es so ruhig bleibt.“

Bei der Polizei herrscht jedenfalls Routinebetrieb. Man sei „sensibilisiert“, sagt Sprecher Olef Petersen. Ansonsten halte man sich an das „Prozedere, das wir kennen“. Bereits zum dritten Mal hat man zur Sicherheit vor dem Wahllokal in der Lorenzstraße in Zuffenhausen eine 90 Meter lange, hüfthohe Betonleitwand aufgebaut, um mögliche Angriffe mit Fahrzeugen zu vereiteln. Die früheren Jahre war alles ruhig geblieben, die Betonwand diente eher zur Wählerlenkung. Vor allem an den Wochenenden rechnet die Polizei wieder mit einem größerem Zulauf zum Wahllokal.