Vor den Donnerstag in Großbritannien beginnenden Wahlen steigt die Spannung. Premier Cameron warnt vor dem „Chaos“ einer Labour-Regierung.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - London - Die Wahlkampf-Busse stehen still. Die Mikrofone sind eingepackt. Die Politiker haben sich, bei einer letzten Hetze rund ums Land, heiser geredet. Jetzt, an diesem Donnerstag, sind die Wähler dran, ihr Urteil abzugeben. Wie es lauten wird, wagt niemand zu prophezeien. Eine spürbare Unruhe hat die Insel erfasst. Bis zuletzt hat Briten-Premier David Cameron das „entsetzliche Chaos“ zu beschwören versucht, das seiner Meinung nach die Wahl seines Labour-Herausforderers Ed Miliband zum Regierungschef auslösen muss. Eine von der Schottischen Nationalpartei (SNP) gestützte Miliband-Regierung würde Britannien „auf die Straße zum Ruin“ führen, hielt Cameron erschrockenen Tory-Anhängern bei all seinen Auftritten vor Augen. Eine solche Regierung wäre „eine Katastrophe für unser Land“.

 

Boris Johnson, der Londoner Tory-Bürgermeister, der sich bereithält, falls eine persönliche Wahlkatastrophe Cameron ereilen sollte, wusste es noch eine Spur dramatischer auszudrücken. Eine Miliband-Regierung, meinte Johnson, würde für Großbritannien „einen fundamentalen Zustand der Lähmung und zugleich permanenten Bürgerkrieg“ bedeuten. In die gleiche Kerbe haut seit Tagen die Tory-Presse. Und deren Stimme ist übermächtig inzwischen. Von allen großen Zeitungen bekennen sich nur noch der linksliberale „Guardian“ und der „Daily Mirror“ zu Labour. Selbst der kleine „Independent“ wünscht sich mittlerweile auf Geheiß seines russischen Verlegers – wenn auch verschämt – eine erneute Regierung von rechts.

Traditionelle Tory-Blätter wie „Times“, „Telegraph“, „Mail“, „Sun“ und „Express“ haben alles getan, um Miliband zu diskreditieren. Für sie ist „Red Ed“ eh dabei, sich die Schlüssel zur Regierungszentrale in Downing Street No. 10 zu „erschleichen“. Den Murdoch-Zeitungen hatte mitten im Wahlkampf ihr australisch-amerikanischer Besitzer von New York aus eingeschärft, gefälligst „robuster“ gegen Labour vorzugehen.

Bittere Worte haben die Schlussphase des Wahlkampfs gekennzeichnet. Anfangs hatten die Konservativen Miliband noch vorgeworfen, den von ihnen hart erarbeiteten Wirtschaftsaufschwung zu gefährden. Dass der Aufschwung sich seit Anfang des Jahres wieder im Abschwung befindet und britisches Wachstum weniger mit industriellen Erfolgen und Exporten als mit erneut aufgeblähten Immobilienpreisen und privater Verschuldung zu tun hat, wie der Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman erklärt, wollte Cameron in diesem Zusammenhang nicht hören. Panik setzte im Tory-Lager ein, als im Laufe des Wahlkampfs klar wurde, dass weder Toryes noch Labour auf eine absolute Mehrheit zusteuerten, Miliband jedoch mit Hilfe der schottischen Nationalisten auf eine Unterhausmehrheit hoffen konnte.

Das löste „Katastrophenalarm“ bei den Konservativen aus, denn auf die bisherigen Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, können sich die Torys nicht mehr verlassen. Die Partei Nick Cleggs, mit der viele frühere Libdem-Wähler gründlich desillusioniert sind, droht glatt zwei Drittel ihres Stimmenanteils und die Hälfte ihrer vormals 57 Abgeordneten zu verlieren. Clegg selbst muss in seinem Wahlkreis in Sheffield um seinen Sitz bangen – obwohl ihm örtliche Konservative mit „Leihstimmen“ über die Runden helfen wollen. Kein Wunder: Ohne Clegg wäre eine Wiederauflage der bisherigen Koalition wohl nicht möglich. Etliche Liberaldemokraten wollen am Freitag lieber zu Labour überschwenken – oder die nächsten Jahre ganz „aussitzen“ auf den Bänken der Opposition.

Unterdessen fragt sich auch Miliband, ob er genug getan hat, um neues Vertrauen zu seiner Partei zu schaffen. Die letzten Umfragen haben das offengelassen – oder zweifeln es an. „Ich bin bereit, dieses Land zu Gunsten der arbeitenden Bevölkerung zu verändern“, hat Miliband immer wieder verkündet. Viel Spott handelte er sich ein, als er zu Wochenbeginn eine zweieinhalb Meter hohe Steintafel enthüllte, auf der sechs heilige Labour-Gebote verzeichnet standen. Er habe seine Versprechen in Stein meißeln wollen, um zu zeigen, wie ernst es ihm sei, sagte der Labour-Vorsitzende. Der Stein soll nach einem Labour-Wahlsieg im Garten der Downing Street aufgestellt werden. Englands Karikaturisten konnten nicht aufhören zu lachen.

Labour-Skeptiker befürchten, dass Zeitgenossen, die eigentlich Ukip wählen wollten, zurück in den konservativen Hafen finden und den Torys einen späten Sieg bescheren werden – zumal diese Woche erneut ein Ukip-Kandidat von Parteichef Nigel Farage suspendiert werden musste. Der Betreffende hatte erklärt, er würde seinem jungen Tory-Rivalen „persönlich eine Kugel zwischen die Augen ballern“, wenn der jemals Regierungschef werden wollte.