Tausende von Wähler stehen vor dem Wahllokal – und müssen sich stundenlang gedulden: Für die Rumänen war die Abstimmung in Stuttgart eine besondere Wahl. Wenn sie überhaupt zum Wählen kamen...

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Lange Schlangen vor den Wahllokalen – die längste aber gab es wohl bei den rumänischen Wählern aus dem Großraum Stuttgart. „In der Spitze bis zu 4000 Leute“, so die Polizei, wollten im Wahllokal in der Hauptstätter Straße 68 ihre Stimme abgeben. „Mit diesem Andrang hatte man wohl nicht gerechnet“, so ein Polizeisprecher am Sonntagnachmittag.

 

Hätte man vielleicht aber können: Denn die rumänischen Staatsbürger waren am Sonntag nicht nur zur Europawahl aufgerufen – gleichzeitig sollten sie über eine höchst umstrittene Justizreform in ihrem Heimatland abstimmen. Die Regierung will nämlich bestimmte Korruptionsdelikte nachträglich legalisieren. Mit einem neuen Gesetz hätten überführte Politiker die Aussicht auf geringere Strafen oder sogar auf eine Amnestie. Das ist höchst umstritten – und für viele kein Rechtsstaat im europäischem Sinne mehr.

Die Polizei muss mit Absperrungen helfen

Das Wahllokal war angesichts des Andrangs in der Stuttgarter Innenstadt überfordert – mit langen Schlangen vor dem Zugang in der Gerberstraße. Die Polizei musste ausrücken, weil die Wartenden sich auch auf der Fahrbahn der Hauptstätter Straße aufhielten. „Wir sind wegen der Verkehrssicherheit an Ort und Stelle“, sagt ein Polizeisprecher, „die Stimmung ist aber friedlich.“

Allerdings spitzte sich die Lage in den Abendstunden zu. Denn auch um 19.15 Uhr, die Abstimmung für Europa war da schon längst gelaufen, standen noch Hunderte Menschen draußen – ohne Aussicht, je bis zum Wahllokal vorzudringen. Die Abstimmung über das Referendum sollte noch bis 21 Uhr möglich sein.

Nur zwölf Wahlkabinen – und Tausende stehen draußen

„Das ist ein Skandal“, sagt etwa eine 44-jährige Frau nach über fünf Stunden in der Schlange, „so viele Menschen aus dem ganzen Land sind hierher gekommen, und dann sind beide Wahllokale in einem einzigen Gebäude, und jedes Wahllokal hat nur sechs Wahlkabinen.“ Die Frau war aus Backnang angereist. „Ich stehe hier seit 14 Uhr“, sagt sie um 19.15 Uhr, „die anderen schon seit den frühen Morgenstunden.“ Viele glauben, dass der Engpass gewollt sei. Die Stimmung sei schlechter geworden, weil Staatspräsident Klaus Iohannis eine Verlängerung des Referendums gefordert habe, diese aber abgelehnt worden sei.

In der Menge wurden am Abend politische Parolen skandiert. Dass sie unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren, kam für sie nicht infrage. „Wir bleiben hier“, sagt die 44-Jährige, „bis zum Schluss.“