Die Parteien versuchen auf unterschiedlichste Weise, auch Jungwähler für ihre Programme zu begeistern. Zehn Tage vor der Wahl zeichnet sich ab, dass der Wahlkreis künftig womöglich drei Abgeordnete in Berlin haben wird.

Göppingen - Würde die Göppinger Jugend die Politik bestimmen, wäre Cannabis legal, der soziale Wohnungsbau und die Zuschüsse für die ökologische Landwirtschaft würden ausgebaut, und die EU würde weiter vorangebracht. Anerkannte Flüchtlinge, die nicht an Integrationsmaßnahmen teilnehmen, müssten mit Sanktionen rechnen und die Bundeswehr würde zur Terrorbekämpfung im Inland eingesetzt werden. Das haben die Antworten von Schülern und angehenden Erstwählern bei der Bundestagswahl ergeben, die am Donnerstag beim Wahl-O-Mat der Landeszentrale für politische Bildung im Haus der Jugend mitgemacht haben. Für so manchen Erstwähler brachte die Veranstaltung ein Aha-Erlebnis. „Oh, ich habe die größte Übereinstimmung mit den Grünen“, sagte verwundert etwa ein Jugendlicher, der eigentlich eine ganz andere Partei hatte wählen wollen.

 

Der Wahlkampf hat auch im Kreis Göppingen in den vergangenen Wochen gezeigt, dass sich viele Menschen – auch junge – durchaus für Politik interessieren, aber dass sich Politiker heute mehr einfallen lassen müssen, um sie zu erreichen. Diese Botschaft scheint bei den Kandidaten angekommen zu sein.

Grüner Kaktus und Kaffeeklatsch

Weil Vorträge und Gastauftritte von Spitzenpolitikern nicht mehr reichen, eilten die Kandidaten in den vergangenen Wochen von einer Podiumsdiskussion zur anderen, präsentieren sich mehr oder weniger souverän im Internet, auf Facebook und Twitter. Und die meisten versuchten darüber hinaus, gerade das junge Publikum mit mehr oder weniger originellen Aktionen auf sich aufmerksam zu machen.

So haben die Grünen die „grüne Band“ gegründet, mit der sie beim Stadtfest in ihrem Wahlkampfbüro am Schlossplatz rockten. Am Mikrofon schmetterte der grüne Landtagsabgeordnete Alexander Maier Klassiker wie „Hotel California“ oder auch „Mein kleiner grüner Kaktus“, der Bundestagskandidat Dietrich Burchard präsentierte sich an der Gitarre als Politiker, der mitten im Leben steht.

Der Linke-Kandidat Konstantinos Katevas ist seit einigen Wochen mit einer umfunktionierten Ape im Wahlkreis unterwegs. Das hübsche Fahrzeug dient ihm als Kaffeemobil, an dem er mit den Bürgern bei einem Tässchen oder zwei ins Gespräch kommen kann.

Oldtimer-Bikes und Foodtrucks

Etwas weniger originell, aber dafür umso sportlicher präsentierte sich Heike Baehrens: Die SPD-Frau radelte und wanderte – wie jedes Jahr – bei verschiedenen Anlässen durch den Landkreis und fuhr bei Ausfahrten mit Oldtimer-Motorrädern mit. Der Landwirt Hermann Färber (CDU) besinnt sich stets gerne auf seine Wurzeln und brachte am Donnerstag im Stauferpark mit der Schützenhilfe der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Themen Mittagspause und Verteidigungspolitik zusammen. „Foodtruck statt Gulaschkanone“, hieß die Veranstaltung.

Inwieweit ihnen ihr Einsatz etwas genützt hat, wird sich am Wahlabend zeigen. Zwar wird wohl auch bei dieser Wahl das Direktmandat an die CDU gehen, doch die Frage, ob ihr persönliches Ergebnis besser oder schlechter ausfällt als das ihrer Partei, wird sicher alle Kandidaten beschäftigen.

Neben Hermann Färber werden es – den aktuellen Prognosen zufolge – wohl noch zwei weitere Kandidaten aus dem Kreis nach Berlin schaffen: Die SPD-Abgeordnete Heike Baehrens, die mit Platz 13 der Landesliste gut abgesichert ist, und der AfD-Kreisvorsitzende Volker Münz, der Platz acht der Landesliste seiner Partei belegt.

Kreisjugendring organisiert U-18-Wahl

Hätten nur die Jungwähler aus dem Kreis das Sagen, hätte Münz, der vor allem mit der Angst vor Flüchtlingen und Einwanderern Politik macht, hingegen keine Chance. Und Hermann Färber müsste um das Direktmandat bangen.

Wie die unter 18-Jährigen abstimmen würden, wird die U-18-Wahl zeigen, die der Kreisjugendring in der kommenden Woche an den Schulen im Kreis organisiert. Bereits an diesem Samstag gibt es außerdem von 14 Uhr an eine Wahlstraße mit Informationsständen der Parteien für Jugendliche in der Geislinger Fußgängerzone und eine Open-Air-Podiumsdiskussion um 17 Uhr. Danach folgt ein Konzert im Jugendhaus Maikäferhäusle.

Auch die Schüler, die den Wahl-O-Mat im Haus der Jugend getestet haben, konnten im Anschluss ihre Stimme im Rahmen der U-18-Wahl abgeben. Veröffentlicht werden die Ergebnisse der bundesweiten Aktion von Samstag, 23. September, an auf der Internetseite www.u18.org, die für den Kreis Göppingen auf www.kjr.org.

Wahlopoly mit einigen der Kandidaten

Ebenfalls an ein jüngeres Publikum wendet sich eine Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) an diesem Freitag im Haus der Jugend. Um 19 Uhr treten dort Hermann Färber (CDU), Heike Baehrens (SPD), Dietrich Burchard (Grüne), Hans-Peter Semmler (FDP) und Konstantinos Katevas (die Linke) zum Wahlopoly an: Auf einem überdimensionalen Spielfeld würfeln sie sich durch Themen wie „Rente“, „Demokratie“ oder „Arbeit“ und müssen ihre Sichtweisen dazu erklären. Die anderen Kandidaten dürfen sich dabei ebenso einmischen wie das Publikum. Und natürlich fehlt auch das Feld „Gefängnis“ nicht.

Ob Kreisjugendring, DGB oder Landeszentrale für politische Bildung, sie alle wollen mit ihren ungewöhnlichen Formaten zu Gesprächen über Politik anregen und jungen Leuten eine Möglichkeit geben sich auszutauschen. Zumindest beim Wahl-O-Mat scheint das funktioniert zu haben. In Grüppchen standen die Jugendlichen vor Tafeln mit politischen Thesen, diskutieren, überlegten und diskutierten erneut. So zurückhaltend sie waren, als Robby Geyer von der Landeszentrale ihnen erklärt hatte, wie der Wahl-O-Mat funktioniert, so eifrig waren sie danach dabei, ihre Meinung zu den einzelnen Aussagen mittels roter und grüner Aufkleber kundzutun.

Die Sache mit den Landeslisten

Erststimme:
Mit ihr wählen die Bürger einen der Direktkandidaten aus ihrem Wahlkreis. Wer die meisten Stimmen hat, zieht direkt ins Parlament ein. Diese Persönlichkeitswahl soll zum einen sicherstellen, dass jeder Wahlkreis mindestens einen Vertreter in Berlin hat und zum anderen, dass es Abgeordnete mit einem direkten Draht zu den Bürgern gibt. Im Kreis Göppingen hat bisher stets die CDU das Direktmandat erobert. Auch bei dieser Wahl wird wohl der CDU-Kandidat Hermann Färber gewinnen.

Zweitstimme
: Mit ihr wählen die Bürger keine Person, sondern eine Partei, genauer gesagt, die jeweilige Landesliste der Partei. Die Parteien stellen in jedem Bundesland solche Listen mit Kandidaten auf. Dabei ist die Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste entscheidend. Sie wird vorab auf Parteitagen bestimmt. Je nachdem, wie viele Stimmen eine Partei in einem Bundesland erhält, kann sie entsprechend viele Abgeordnete aus diesem Bundesland nach Berlin senden. Aus dem Kreis Göppingen ist Heike Baehrens (SPD) so 2013 nach Berlin gekommen. Diesmal hat neben Baehrens auch der AfD-Kandidat Volker Münz einen aussichtsreichen Listenplatz.

Überhangmandat:
Von der Landesliste geht es erst nach Berlin, wenn die Partei nach Abzug aller direkt gewählten Kandidaten noch Sitze übrig hat. Hat sie in einem Bundesland etwa 15 Sitze gewonnen und 13 Direktmandate, können noch die ersten beiden Kandidaten der Landesliste in den Bundestag gehen. Hat die Partei aber mehr Direktmandate als Sitze gewonnen, also etwa 15 Direktmandate, aber über die Zweitstimme nur ein Anrecht auf zwölf Sitze, dürfen trotzdem alle 15 direkt gewählten Kandidaten nach Berlin gehen. Die Partei hat dann drei sogenannte Überhangmandate.