Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Jeremy Corbyn hat den Kampf nie aufgegeben

Ein anderer als er hätte längst aufgegeben. Und Grund dazu hätte Jeremy Corbyn ja auch gehabt. Jedes Mal, da der Labour-Kandidat für den Posten des Premierministers in diesem Wahlkampf Aufwind verspürte, drängten Terroranschläge ihn wieder zurück in die Defensive. Denn Antiterrorpolitik reklamiert die konservative Regierungschefin Theresa May für sich.

 

Corbyn hingegen, warnen die Torys, sei in Sicherheitsfragen „nicht vertrauenswürdig“. Der Labour-Vorsitzende wolle mit Terroristen „immer nur reden“, statt ihnen die Stirn zu bieten. Er habe über Jahre hin die Verschärfung der Antiterrorgesetze im Unterhaus abgelehnt und eine Politik des gezielten Todesschusses der Polizei – die „Shoot to kill“-Politik – rundweg verworfen. Wie könne man so einem die Regierungsgeschäfte anvertrauen?

Corbyn, die Stirn in Falten gelegt, müht sich bei solchen Anlässen immer, seine Biografie eines bekennenden Anti-Imperialisten vorsichtig neu zu interpretieren. Aber seine Prinzipien machen es seinen Gegnern leicht, ihn anzugreifen. Zum Beispiel ist der Linkssozialist und leidenschaftliche Abrüstungsbefürworter grundsätzlich gegen Atombomben – auch was das Arsenal des eigenen Landes angeht. Er hat wenig Zweifel daran gelassen, dass er sich als Premierminister weigern würde, den Befehl zu einer nuklearen Attacke zu erteilen. Das hat ihm den Vorwurf der Tory-Regierung eingetragen, ein „Sicherheitsrisiko“ für sein Land zu sein.

Ganz abgesehen davon, dass Corbyn den Torys zufolge „splitternackt“ in Verhandlungen mit der Europäischen Union eintreten würde, weil er es ablehne, die Brexit-Gespräche bei ungünstigem Verlauf platzen zu lassen. Und einen nackten Jeremy Corbyn, hat Theresa May angefügt, wolle sie sich lieber gar nicht erst vorstellen.

Corbyns Wahlprogramm stößt bei den Briten auf großes Interesse

Erstaunlich ruhig jedoch, fast schon gleichmütig reagiert der Labour-Chef auf derartige Anwürfe. Freilich hatte der 68-Jährige in den zwei Jahren seit seiner Wahl zum Parteivorsitzenden auch reichlich Gelegenheit, sich ein dickes Fell zuzulegen. Denn ein ganzes Meer an Gehässigkeit aus den Kübeln der Rechtspresse ergießt sich täglich über ihn. Dem lebenslangen Labour-Rebellen von der Linken fehlte es an Nachdruck, Spontaneität und der nötigen Portion Humor. Noch im April sagten die Meinungsumfragen Labour nicht viel mehr als ein Viertel der Stimmen voraus. Verloren in „rotem Nebel“, höhnte Rupert Murdochs konservative Zeitung „Times“, ziehe die Labour Party ins politische Nirgendwo.

Der Brexit ist Mays Trumpfkarte

So verwunderlich war das alles nicht. Denn so selbstsicher, wie es ihr Image glauben machen will, ist May keineswegs. Wo sie direkt konfrontiert wird, sucht sie meist eilig Distanz. Mit überraschenden Fragen tut sich Theresa May schwer. Beim Versuch, forsch zu klingen, verrät ihre leicht brüchige Stimme die Nervosität, die Unsicherheit hinter der Fassade. „Strong and stable“ war nahezu keiner ihrer Auftritte im Wahlkampf. Das minderte aber nicht den begeisterten Beifall, den sie stets einstrich für ihr Versprechen einer „großen Post-Brexit-Zukunft für Großbritannien“. Es war, was viele hören wollten, nicht nur in ihrer eigenen Partei. Mays populistische Botschaft („Brexit ist die Basis aller Dinge“) findet in vielen Teilen des Königreichs Beifall. Sie ist ihre Trumpfkarte.

May selbst jedoch quälte sich durch die Wahlkampf-Routine. Dazu kam, dass die rechtskonservative Pfarrerstochter, die ganz gern die neue Eiserne Lady Englands wäre und sich zugleich auch als Anwältin „hart arbeitender“ Working-Class-Briten versteht, eine Reihe fataler Fehler beging. Wohl im Glauben, dass sie nicht verlieren könne, stieß May erst die britische Geschäftswelt vor den Kopf, die den Torys immer die Treue gehalten hatte. Dann schloss sie Steuer- und Beitragserhöhungen für die Massen nicht mehr aus. Und schließlich machte sie deutlich, dass sie nach den Wahlen zehn Millionen britischen Rentnern die Heizkosten-Pauschale streichen würde. Zur wahren Katastrophe aber wurde ihr neuer, mit dem Kabinett gar nicht abgesprochener Fürsorgeplan für die Pflegebedürftigen im Land. Aus diesem Plan zogen viele Wähler den Schluss, dass im Pflegefall ihr Häuschen nach ihrem Tod nicht an den Nachwuchs, sondern an den Staat fallen würde.

Damit hatte Theresa May alle Stammwähler-Gruppen der Konservativen gegen sich aufgebracht. Fast über Nacht schrumpfte der 20-Prozent-Vorsprung ihrer Torys vor Labour auf die Hälfte. Die konservative Zuversicht schwand. Und dann brach auch noch der Terror in den Wahlkampf ein. Erst in Manchester und danach in der Hauptstadt selbst. Das gab May zwar Gelegenheit, wieder vor die Tür von No 10 zu treten und deutlich zu machen, dass innere Sicherheit Tory-Sache sei, doch Corbyn schlug zurück. Denn May hatte als Innenministerin die Personalstärke der Polizei um 20 000 Stellen gekürzt. Zu guter Letzt wusste sich May nicht anders zu helfen, als neue Polizeibefugnisse, längere Gefängnisstrafen, die Deportation „verdächtiger Ausländer“ und sogar Einschnitte beim britischen Menschenrechtsgesetz in Aussicht zu stellen. Eine harte Law-and-Order-Linie, um wieder „strong and stable“ zu sein. Ob das greift, wird sich an diesem Donnerstag zeigen.

Jeremy Corbyn hat den Kampf nie aufgegeben

Jeremy Corbyn hat den Kampf nie aufgegeben

Ein anderer als er hätte längst aufgegeben. Und Grund dazu hätte Jeremy Corbyn ja auch gehabt. Jedes Mal, da der Labour-Kandidat für den Posten des Premierministers in diesem Wahlkampf Aufwind verspürte, drängten Terroranschläge ihn wieder zurück in die Defensive. Denn Antiterrorpolitik reklamiert die konservative Regierungschefin Theresa May für sich.

Corbyn hingegen, warnen die Torys, sei in Sicherheitsfragen „nicht vertrauenswürdig“. Der Labour-Vorsitzende wolle mit Terroristen „immer nur reden“, statt ihnen die Stirn zu bieten. Er habe über Jahre hin die Verschärfung der Antiterrorgesetze im Unterhaus abgelehnt und eine Politik des gezielten Todesschusses der Polizei – die „Shoot to kill“-Politik – rundweg verworfen. Wie könne man so einem die Regierungsgeschäfte anvertrauen?

Corbyn, die Stirn in Falten gelegt, müht sich bei solchen Anlässen immer, seine Biografie eines bekennenden Anti-Imperialisten vorsichtig neu zu interpretieren. Aber seine Prinzipien machen es seinen Gegnern leicht, ihn anzugreifen. Zum Beispiel ist der Linkssozialist und leidenschaftliche Abrüstungsbefürworter grundsätzlich gegen Atombomben – auch was das Arsenal des eigenen Landes angeht. Er hat wenig Zweifel daran gelassen, dass er sich als Premierminister weigern würde, den Befehl zu einer nuklearen Attacke zu erteilen. Das hat ihm den Vorwurf der Tory-Regierung eingetragen, ein „Sicherheitsrisiko“ für sein Land zu sein.

Ganz abgesehen davon, dass Corbyn den Torys zufolge „splitternackt“ in Verhandlungen mit der Europäischen Union eintreten würde, weil er es ablehne, die Brexit-Gespräche bei ungünstigem Verlauf platzen zu lassen. Und einen nackten Jeremy Corbyn, hat Theresa May angefügt, wolle sie sich lieber gar nicht erst vorstellen.

Corbyns Wahlprogramm stößt bei den Briten auf großes Interesse

Erstaunlich ruhig jedoch, fast schon gleichmütig reagiert der Labour-Chef auf derartige Anwürfe. Freilich hatte der 68-Jährige in den zwei Jahren seit seiner Wahl zum Parteivorsitzenden auch reichlich Gelegenheit, sich ein dickes Fell zuzulegen. Denn ein ganzes Meer an Gehässigkeit aus den Kübeln der Rechtspresse ergießt sich täglich über ihn. Dem lebenslangen Labour-Rebellen von der Linken fehlte es an Nachdruck, Spontaneität und der nötigen Portion Humor. Noch im April sagten die Meinungsumfragen Labour nicht viel mehr als ein Viertel der Stimmen voraus. Verloren in „rotem Nebel“, höhnte Rupert Murdochs konservative Zeitung „Times“, ziehe die Labour Party ins politische Nirgendwo.

Doch auf ebenso erstaunliche wie unerwartete Weise hat der schon abgeschriebene Corbyn im Wahlkampf plötzlich Fuß gefasst. In manchen Umfragen hat seine Partei, nachdem sie im April noch 20 Prozentpunkte hinter den Torys zurücklag, jetzt, kurz vorm Wahltag, zum Entsetzen der Torys fast schon aufgeschlossen.

Was ist passiert? Mit der ihm eigenen Unbeirrbarkeit hat der Labour-Chef eine Kampagne geführt, die ihm mehr Zustimmung bei der Bevölkerung eingetragen hat, als erwartet wurde. Vor allem hat Corbyn den Wählern ein Wahlprogramm vorgelegt, das weithin Interesse gefunden hat. Zu den zentralen Punkten gehören die Gründung einer staatlichen Investitionsbank, Hilfe für die darbenden öffentlichen Dienste, eine leichte Anhebung der Steuern für die Reichsten, die Rücknahme von Post und Eisenbahnen in Gemeineigentum sowie die Abschaffung der Studiengebühren im Land.

Außerdem ist es dem Parteivorsitzenden gelungen, durch nüchternes Auftreten und Argumentieren Sympathien zu gewinnen. Schwere Patzer hat er vermeiden können. Skeptiker begannen sich für Corbyns Stil, für seine „Authentizität“ zu erwärmen. Was nicht heißt, dass plötzlich alle Welt ihn ins Herz geschlossen hätte. Konservativ-bürgerliche Wähler halten Corbyn immer noch für einen gefährlichen Verführer, für eine Art roten Beelzebub. Aber auch traditionelle Labour-Wähler in den alten Industriegebieten der Insel stehen ihm skeptisch gegenüber. Sie glauben, dass Corbyn, der daheim in London-Islington sein Schrebergärtchen pflegt und seine eigene Marmelade aufkocht, während er vom Sozialismus träumt, einfach nicht der richtige Mann für raue Zeiten sei. Die meisten Beobachter glauben deshalb nicht so recht, dass er es schaffen könnte, May um ihre absolute Mehrheit zu bringen. Dennoch: Corbyns Anhänger haben zum Feiern für die Nacht auf Freitag schon mal das Red-Lion-Pub, gleich um die Ecke von der Downing Street, gebucht.