Der frühere Außenminister Joschka Fischer stützt seinen Grünen-Parteikollegen Winfried Kretschmann im Wahlkampf – und beide finden, die Kanzlerin mache einen guten Job in der Flüchtlingskrise.

Karlsruhe - Im Januar 1980 gründeten sich die Bundes-Grünen in der Karlsruher Schwarzwaldhalle. Damals trat eine neue Partei mit dem Willen an, die Welt zu retten – mindestens. Oder wenigstens die Bundesrepublik zu verändern. 36 Jahre später sitzen nebenan in der Karlsruher Stadthalle zwei, die bei all diesen Kämpfen durchkamen: Joschka Fischer und Winfried Kretschmann. Der eine war von 1998 bis 2005 Außenminister in der Regierung Gerhard Schröder; der andere ist Ministerpräsident von Baden-Württemberg und als solcher zwar nicht der Weltstaatsmann, welcher der Außenminister Fischer immer gern gewesen wäre, aber eben doch der einzige Regierungschef, den die Grünen je hervorbrachten. Ein im Kern freundlicher, mitunter etwas grummeliger älterer Herr, der ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Grünen eine Woche vor der Landtagswahl in Umfragen vor der CDU liegen.

 

Kretschmann war einst Fischers Mitarbeiter in Hessen

Es ist eine besondere Situation, und Fischer ist ein Politiker mit der Nase für besondere Situationen. Vielleicht ist er deshalb aus Berlin, wo er eine florierende Politikberatung betreibt, an den Oberrhein gereist, um Kretschmann, seinem einstigen Mitarbeiter im hessischen Umweltministerium, Wahlhilfe zu leisten. Gut 1000 Zuhörer sind gekommen, um sich anzuhören, was Fischer und Kretschmann zu sagen haben. Der Ministerpräsident tourt schon seit fünf Wochen durchs Land. Fischer ward lange nicht mehr gesehen. Er ist wieder pummelig geworden, zum Joggen sei das Wetter zu kalt, meint er, und die politische Lage zu ernst.

Es soll vor allem um Europa gehen an diesem Donnerstagabend. Im Jahr 2000 hielt Fischer eine viel beachtete Rede über die „Finalität Europas“, also über das weitere Zusammenwachsen des Kontinents. Inzwischen ist nur noch von europäischen Kalamitäten die Rede. Fischer teilt mit Kretschmann die Ansicht, dass unter den europäischen Regierungschefs Europas derzeit eigentlich nur Angela Merkel in der Lage sei, den Kontinent zusammenzuhalten. Wer, wenn nicht sie? „Man muss schon sehen“, krächzt der Altmeister, „was geleistet wird“. Das hält er für nicht so schlecht.

Fischer wirbt dafür, Griechenland nicht fallen zu lassen

Fischer sagt: „Die Vorstellung, wir machen die Grenzen dicht und alles wird gut, halte ich für eine Illusion.“ Und der Vorwurf, die Kanzlerin habe die Flüchtlinge fahrlässig nach Europa eingeladen, sei Quatsch. „Die Flüchtlinge waren in Budapest, ohne dass Angela Merkel auch nur einen Pips gesagt hat.“ Das Dublin-Verfahren, das den Asylanspruch auf den EU-Staat verweist, in dem ein Flüchtling erstmals europäischen Boden betritt, sei auf Selbsttäuschung gebaut: „Wir glaubten, wir hätten gar kein Flüchtlingsproblem, nur Italien und Griechenland.“ Apropos Griechenland: Europa dürfe das Land nicht fallen lassen, sagt Fischer. Überhaupt werde Europa nicht darum herum kommen, sich eine Verfassung zu geben. Die Schweiz zeige, dass man einen Vernunftstaat auch auf verschiedene Nationalitäten gründen könne. „Aber“, Fischer furcht die Stirn, „es wird keine einfachen Lösungen geben.“

Kretschmann treibt der Nationalismus um, der ringsumher wieder sein Haupt erhebt: eine aggressive Abgrenzung, wie sie auch die AfD betreibe. Er setzt dem Nationalismus seinen Heimatbegriff entgegen. An der Mosel zu wandern sei schön, aber der Kalk der Schwäbischen Alb gebe ihm das Gefühl von Heimat. Das gehe ihm aber ebenso, wenn er in Frankreich eine Messe besuche. „Der Mensch will beheimat und behaust sein“, sagt Kretschmann. Großer Beifall.