Friedrich Merz und Jens Spahn stehen für einen Politikstil, der bei vielen Männer in der CDU Hoffnungen weckt, bei vielen Frauen in der Partei aber gar nicht gut ankommt. Hinter dem Streit der Geschlechter steckt aber noch mehr.

Berlin - Die Männer dominieren derzeit den Wahlkampf um die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel an der CDU-Spitze. Am Mittwoch stellte der einst von Merkel als Unionsfraktionschef abgesetzte Friedrich Merz seine überraschende Bewerbung für den Parteitag Anfang Dezember in Hamburg offiziell vor. Nach dem 62-jährigen Merz hat nun der zweite aussichtsreiche Mann, der 24 Jahre jüngere Gesundheitsminister Jens Spahn, mit einem Bewerbungsvideo nachgelegt, in dem er sich als Macher präsentiert. Mit zackiger Musik unterlegt verspricht der Film, „keine Kompromisse“ einzugehen bei Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, in Migrationsfragen „tolerant, aber nicht naiv“ zu sein – und dass die Partei wieder „stark“ wird. Spahn richtet sich darin Krawatte, Kragen und Manschettenknöpfe – Frauen tauchen, von Kindergartenmädchen abgesehen – nicht auf.

 

Viele Frauen, deren Wunschkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer sich erst nächste Woche äußert, verfolgen die Entwicklung mit Sorge. „Die Sehnsucht nach dem starken Mann hat es in meiner Partei immer gegeben“, sagt die Heidenheimer CDU-Europaabgeordnete Inge Gräßle: „Jetzt bricht sie sich erneut Bahn.“

Keine Lust auf testosterongesteuerte Politiker

Die Warnungen vor einer Rückkehr zu einer Macho-CDU sind unüberhörbar. „Frauen und Männer wollen gemeinsam Politik gestalten“, mahnt etwa Annette Widmann-Mauz, die neben ihrem Amt als Integrationsbeauftragte der Regierung auch Bundesvorsitzende der Frauen-Union ist: „Ein Zurück zu den drei K – Kinder, Küche, Kirche – steht nicht auf unserer Agenda.“ Die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Karin Maag sieht ebenfalls die Gefahr, dass der Wunsch nach „klarer Kante“ als möglicherweise männlichem Gegenmodell zu Merkel einen inhaltlichen Rückschritt für die Partei darstellen könnte: „Ich wünsche mir keine Basta-Politik, sondern eine effiziente Problemlösung unter Einbeziehung aller Betroffenen und Beteiligten – einen ,Rollback‘ sicher nicht.“

Die Lust auf testosterongetriebene Politiker, die mit kraftvollen Statements die eigene Stärke in den Vordergrund stellen, tendiert nach dem von CSU-Chef Horst Seehofer befeuerten Asylstreit bei den Frauen in der Union ohnehin gegen null. „Starke Männer sind für mich nicht Männer mit einer lautstarken, aggressiven, polarisierenden Rhetorik“, meint Unionsfraktionsvize Katja Leikert: „Wir erleben das ja in Berlin, was das für Folgen hat – das nervt nur.“ Es brauche jetzt „keine Angstmacher“ und „niemand mit einer Sehnsucht nach ,früher‘“. Gräßle wird in Bezug auf Merz und Spahn noch konkreter: „Wir sollten niemanden wählen, der nur darauf aus ist, Merkel möglichst schnell aus dem Kanzleramt zu jagen – noch mehr Streit dieser Art wird uns nur weiter schaden.“

Gegenmittel zur AfD?

Während nicht wenige Männer in den oberen Etagen der CDU-Hierarchie rhetorisch schlagkräftige Redner wie Merz oder Spahn als wirksames Mittel gegen die AfD sehen, warnen viele Unionsfrauen vor einer einseitigen Konzentration auf das Spektrum rechts von CDU und CSU. „Wer soziale Themen wie Pflege oder Wohnungsbau vernachlässigt, verliert ebenso Wähler wie derjenige, der nicht anspricht, dass sich Frauen nachts ohne Begleitung nicht mehr in die U-Bahn trauen“, prophezeit Maag. Auch Leikert befürchtet, die Errungenschaften der Merkel-Jahre könnten leichtfertig über Bord geworfen werden: „Die Modernisierung der Gesellschaft hat Angela Merkel in der CDU nachvollzogen – sonst wäre ja die CDU als Volkspartei auch keine Volkspartei mehr.“

CDU verdankt Mehrheit den Frauen

Tatsächlich wurde die Union lange mehrheitlich von Frauen gewählt, was die Bundeszentrale für politische Bildung mit einer damals „stärkeren Religiosität der Frauen“ erklärt: „2002 kehrte sich das Verhältnis erstmals um, weil vor allem jüngere Frauen wegen der als rückständig empfundenen Positionen in der Familien- und Geschlechterpolitik CDU und CSU ihre Unterstützung versagten.“ Erst unter Merkel stiegen die Prozentwerte wieder an – obwohl weiter nur ein Viertel der Mitglieder weiblich sind. Bei der Bundestagswahl 2017 wurde der Frauenüberhang nochmals größer, weil vor allem männliche Wähler in den mittleren Altersgruppen zur AfD und zur FDP abwanderten.

Inge Gräßle ist auch deshalb nicht weniger als „erschüttert“ über viele männliche Kollegen, die nach Merkel nun Merz oder Spahn herbeisehnen: „Ein bisschen mehr strategisches Geschick erwarte ich von meiner Partei schon – mit einer spalterischen Rhetorik treiben wir viele CDU-Frauen in die Arme der Grünen und verbauen uns Koalitionsoptionen im Bund.“