Der grün-schwarze Streit über eine Reform des Wahlrechts schwelte über Monate, jetzt ist die Änderung ad acta gelegt worden. Der Landesfrauenrat beklagt, dass eine Chance verpasst wurde, den Männerüberhang im Parlament abzubauen.

Stuttgart - Das Landtagswahlrecht in Baden-Württemberg bleibt so, wie es ist. Grüne und CDU haben sich am Dienstag in ihrem Koalitionsausschuss nicht auf eine Reform einigen können. Obwohl die Änderung des Wahlrechts im Koalitionsvertrag steht, ist das Thema damit vom Tisch. Die Grünen geben nach. Die Koalition an sich sei aber nicht infrage gestellt worden, verlautete aus Teilnehmerkreisen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bestätigte das Ergebnis der Runde. Es sei höchst bedauerlich, sagte er: „Wir können die CDU-Fraktion aber nicht dazu zwingen.“

 

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Andreas Schwarz, machte deutlich, dass seine Partei sich massiv für eine Reform eingesetzt habe. „Wir haben hart mit der CDU verhandelt, aber wir müssen feststellen: Die CDU-Fraktion weigert sich, diesen Passus des Koalitionsvertrags umzusetzen“, sagte er. Damit verletze die CDU den Koalitionsvertrag und weigere sich, mehr Frauen ins Parlament zu bringen. Das werde „wie Pattex an der CDU kleben bleiben“.

Die Mehrheit fehlt

Seine Fraktion stehe hingegen für Verlässlichkeit, Vertrauen und Vertragstreue, sagte Schwarz. Der Koalitionsvertrag sei in seiner Breite noch lange nicht abgearbeitet. Er erwarte deshalb jetzt von der CDU-Fraktion, dass sie verlässlich zusammenarbeite.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Reinhart sagte, es sei „ganz normal“, dass einzelne Punkte aus Koalitionsvereinbarungen nicht umgesetzt würden. Für eine Änderung des Landtagswahlrechts gebe es „einfach nicht die notwendige Mehrheit“. Reinhart widersprach Vorwürfen, die CDU wolle nicht mehr Frauen in den Parlamenten. Aus Sicht der CDU-Fraktion muss die Förderung von Frauen nur auf einem anderen Weg – nicht über das Wahlrecht, sondern durch die Parteien – vorangetrieben werden.

Im Januar dieses Jahres hatte die CDU-Landtagsfraktion mit dieser Begründung bereits gegen die Wahlrechtsreform votiert, was die Koalition in eine Krise stürzte und die CDU im Land spaltete. Alle Bemühungen in den vergangenen Wochen und Monaten – allen voran der Grünen, aber auch des CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl –, einen Kompromiss zu finden, scheiterten. Die CDU-Fraktion bestätigte vergangene Woche ihren Beschluss, das Wahlrecht nicht antasten zu wollen. Sie argumentierte, das derzeitige Wahlrecht sei basisdemokratisch, bürgernah – und daher das beste.

Mehr Frauen durch Parteiliste

Beim derzeitigen Wahlrecht haben die Wähler eine Stimme. Aus den 70 Wahlkreisen, in die das Land unterteilt ist, zieht der Kandidat mit den meisten Wählerstimmen direkt in den Landtag ein. Die 50 weiteren sogenannten Zweitmandate gehen an Kandidaten, die ihren Wahlkreis zwar nicht gewonnen, im Vergleich zu anderen Kandidaten ihrer Partei im gleichen Regierungsbezirk aber die meisten Stimmen erhalten haben. Über die angepeilte Einstimmen-Wahlrechtsreform hätten diese 50 Sitze nicht wie bisher, sondern über eine Parteiliste verteilt werden sollen. Befürworter einer Liste argumentieren, dass dadurch mehr Frauen in den Landtag kommen, weil diese weit vorne platziert werden könnten. Derzeit beträgt der Frauenanteil im baden-württembergischen Landtag 25,6 Prozent. Im bundesweiten Vergleich der Länderparlamente liegt das Land damit nur vor Mecklenburg-Vorpommern auf dem vorletzten Rang.

Bitter ist das Aus der Wahlrechtsreform vor allem für die Grünen. Schon unter Grün-Rot in der vergangenen Legislaturperiode hatte es keine Mehrheit dafür gegeben. Der Landesfrauenrat beklagte jetzt eine verpasste Chance, „den Männerüberhang im Landesparlament abzubauen“. Auch die Landeschefin der Frauen-Union, Inge Gräßle, die sich massiv für eine Reform eingesetzt hatte, bedauerte „die Verweigerungshaltung“ der CDU-Fraktion. Dadurch sei ein „Vertrauensverlust in gemeinsame Absprachen“ entstanden – sowohl in der eigenen Partei als auch bei Partnern.

Die Opposition im Landtag kritisierte, dass sie nicht in die Gespräche über eine Reform einbezogen worden ist. Das räche sich jetzt, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Es werde jeden Tag deutlicher, „dass diese Koalition nur auf Sand gebaut“ sei. Stoch warnte davor, dass dem Land „ständiges Chaos“ ins Haus stehe, wenn die CDU den Koalitionsvertrag „zu einer bloßen Absichtserklärung verkommen“ lasse. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bemängelte „die Unfähigkeit der Koalition“, die dazu führe, dass das Wahlrecht unverändert bleibe: „Die FDP-Fraktion wäre zu einer frauenfreundlichen Reform bereit gewesen.“