Regierung und Opposition – eigentlich gibt es das auf kommunaler Ebene gar nicht. Im Göppinger Gemeinderat ist das anders. Die eine Hälfte ist für OB Till, die andere gegen ihn. Welches Lager wird vom Wähler gestärkt?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Eigentlich sind sie alle Duzfreunde im Göppinger Gemeinderat. Doch während der Sitzungen ist davon nichts zu spüren, und zwar nicht nur, weil der Oberbürgermeister Guido Till das „Sie“ als Umgangsvokabel zur Pflicht gemacht hat. Regelmäßig gibt es Zwischenrufe, Beschimpfungen, ultimative Forderungen nach Entschuldigungen und Kampfabstimmungen. Selbst Geschäftsordnungsdebatten werden mit Rede, Gegenrede und anschließender Begründung des eigenen Abstimmungsverhaltens in die Länge gezogen. Hier ist niemand dem anderen grün. Und so hofft alles auf die Neuwahl am 25. Mai, und darauf, dass die Gegenseite für das Trauerspiel vom Wähler die Quittung erhält. Wobei: „Glauben Sie, dass es dann wirklich besser wird?“, fragt nicht nur der SPD-Fraktionsvorsitzende Armin Roos.

 

Die meisten haben Spaß am Kleinkrieg

Tatsächlich dürfte zwischen dem neuen und dem alten Gemeinderat eine hohe personelle Kontinuität herrschen. Denn trotz anderer Bekundungen scheint der ständige Kleinkrieg den meisten Amtsinhabern Spaß zu bereiten. Auch Stadträte, die stramm auf die 80 zugehen, wie Wolfgang Aupperle (CDU), Helmut Dees (SPD) oder Rolf Daferner (FDP/FW) kandidieren erneut. Unter den prägenden Gestalten verzichten lediglich der Gewerkschafter Herbert Schweikardt (SPD) und der Ex-Baubürgermeister Joachim Hülscher. Letzterem fehlt es nach seinem nicht ganz freiwilligen Austritt bei den Freien Wählern an einer geeigneten Liste, auf der er kandidieren könnte.

Ansonsten sind es die leiseren Zeitgenossen, die sich (entnervt?) zurückziehen: Der Bauunternehmer Ulrich Weiß (CDU) will nicht mehr, ebenso Christopher Gülke (FDP/FW) oder die Grünen Otto Bidlingmaier und Magdalene Lutz-Wolf. An der Konfrontation der vergangenen fünf Jahre dürfte dies nichts ändern. Im Jahr 2009 hatte der Wähler die kleinen Listen gestärkt und die großen gerupft. Durch verschiedene Fraktionswechsel rückten die Gruppierungen mittlerweile zahlenmäßig noch näher zusammen, was den Konkurrenzkampf offenbar noch anheizte.

Die SPD hat es hart getroffen

Besonders hart traf es die SPD. Zunächst verabschiedete sich der OB, der mittlerweile bei der CDU angekommen ist. Dann wurden der damalige Fraktionschef Emil Frick und seine Stellvertreterin Beate Stohrer fahnenflüchtig. Kurz darauf erklärte auch noch Barbara Schrade ihren Austritt und schloss sich den Grünen an. Die einst mit neun Sitzen zweitstärkste Kraft ist zur kleinsten Fraktion degeneriert. Nun hofft sie auf eine Rückkehr zu alter Stärke. Stimmen soll unter anderem Michael Grebner bringen. Der Leitende Oberarzt des Christophsbads ist der Ehemann der 2009 kurz nach der Wahl verstorbenen ehemaligen SPD-Fraktionschefin Antje Grebner.

Doch auch die CDU, die bei der Wahl 2009 schon drei Sitze verloren hatte, büßte seither einen ihrer zwölf Sitze ein. Der Optiker Stefan Horn hatte rechtsradikale Tendenzen innerhalb der Jungen Union gesichtet und das Weite gesucht. Zusammen mit Frick und Stohrer (die nicht mehr antritt) sitzt er mittlerweile bei den Freien Wählern, die nun genauso sieben Sitze zählen wie Grüne und FDP/FW.

Für oder gegen den OB – da ist die Frage

Regierung und Opposition – so etwas gibt es in der baden-württembergischen Kommunalverfassung eigentlich nicht. In Göppingen sind diese zwei Lager Realität. Während SPD und Grüne, deren Fraktionschef Christoph Weber vor anderthalb Jahren sogar gegen den OB kandidierte, opponieren, stützt sich Till ganz auf CDU und FDP/FW. „Wir haben uns im Laufe der Jahre angenähert“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Felix Gerber über sein nicht immer enges Verhältnis zum OB.

Dazwischen stehen die Freien Wähler, wobei sie keine vermittelnde Position einnehmen, sondern eher die eigene Zerrissenheit zur Schau tragen. Während Frick zu Tills Freunden zählt, dürfte für seinen Fraktionskollegen Wolfgang Berge das Gegenteil zutreffen. Tills Führungsstil und dessen an Mobbing grenzenden Umgang mit leitenden Mitarbeitern geht dem ehemaligen EVF-Chef gehörig auf die Nerven. „Wenn es jetzt nicht klappt,“ hat Berge jüngst nach dem neuerlichen Austausch des Baubürgermeisters schon einmal gedroht, müsse der OB vom Gemeinderat politisch kalt gestellt werden.

Der Linke liebt den Skandal

Die spannende Frage ist, welches der etwa gleich großen Lager der Wähler stärkt. Sollte er die Fundamentalopposition bevorzugen, wäre er bei Christian Stähle an der richtigen Adresse. Das selbst ernannte Enfant terrible hat mit gezielter Skandalisierung und mit dem Standardsatz „Wir von den Linken. . .“ versucht, auf sich als Einzelkämpfer aufmerksam zu machen. 2009 hat er den Einzug geschafft, obwohl seine Liste nur acht von 40 möglichen Namen zählte. Diesmal hat die Linke 14 Kandidaten aufgestellt, was die Chance auf Stähles Wiedereinzug deutlich erhöht. Weil jedem Kandidaten bis zu drei Stimmen gegeben werden können, kann ein Wähler nun nämlich alle seine 40 Stimmen bei den Linken unterbringen. Schwer dürfte es hingegen für die Piratenpartei werden, die erstmals antritt und nur sieben Kandidaten aufbietet. Um für den Fall der Wahl vorbereitet zu sein, hat Stefan Klotz aber schon mal mehrere Gemeinderatssitzungen verfolgt. Manchmal, so der Pirat, habe man sich für den gebotenen Kleinkrieg fast schämen müssen.

Göppingen auf einen Blick

Einwohner: 55 524

Oberbürgermeister:Guido Till (CDU), seit 2005

Zurzeit im Gemeinderat: CDU: 11 Sitze; SPD: 6 Sitze; FDP/FW: 7 Sitze; Grüne: 7 Sitze; Freie Wähler (VUB): 7 Sitze; Linke: 1 Sitz; fraktionslos: 1 Sitz.

In der Serie zur Gemeinderatswahl beleuchten wir die Ausgangslage jeder Kommune im Kreis vor der Wahl am 25. Mai.