Welche Konsequenzen sollen aus den beiden Backnanger Facebook-Partys im Sommer 2012 gezogen werden? Der Berufsjugendliche Armin Holp und der Berufspolizist Peter Hönle äußern ihre Sicht der Dinge in einem Streitgespräch

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)
Waiblingen/Backnang. Der stellvertretende Leiter der Polizeidirektion, Peter Hönle, sagt, es habe keine Wahl gegeben: Die Facebook-Partys in Backnang mussten verboten werden. Armin Holp, der frühere Vorsitzende des Jugendzentrums Backnang, hält dagegen: Nur verbieten ohne Alternativvorschläge, das sei „verheerend“.
Herr Hönle, Herr Holp, mussten die beiden Facebook-Partys im Sommer in Backnang unbedingt verboten werden?
Peter Hönle Es hat sich nicht lapidar um eine Facebook-Party gehandelt, sondern um eine Projekt-X-Party. Es ging auch um Zerstörung, um Alkoholkonsum. Wir mussten vorbauen. Uns war klar, das darf in dieser Form in Backnang nicht stattfinden.
Armin Holp Ich bin auch kein Befürworter dieser Party. Für mich stellt sich die Frage anders: Wäre es nicht besser gewesen, man hätte anders agiert? Mit dem Verbot hat man geschafft, aus einer Grillparty Chaostage zu machen, die Jugend auf die ganze Stadt zu verteilen, sie zu frustrieren, zu sagen: Ihr seid böse, weil ihr hier feiern wollt.

Welche Alternative schlagen Sie vor?
Holp Man hätte auch sagen können: Dass ihr hier feiern wollt, ist vom Grundsatz her in Ordnung, nur es ist eben nicht in Ordnung, dass Müll liegen bleibt, dass Zerstörung stattfindet, dass vielleicht Krankenwagen gebunden sind, weil ihr hier unangemeldet feiert. Die Botschaft, die vom reinen Verbot ausgesendet wurde, ist verheerend.
Hönle Es hat ja zwei Facebook-Partys in Backnang gegeben. Bei der ersten haben wir genau diese Linie vertreten. Wir hatten die Intention, zu sagen: Wir setzen auf Einsichtsfähigkeit und erreichen, dass die Jugendlichen verstehen, dass in der Menschenmasse ein Problem steckt. Wir wollten erreichen, dass die Leute von alleine umdrehen. Es hat sich übrigens keinesfalls nur um eine Grillparty gehandelt. Das war nicht das Ziel von Projekt X. Wir mussten klären, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Bei der ersten Party, die stattgefunden hat, kam es zu Körperverletzungen und zu Zerstörungen. Wir hatten keine Wahl.
Holp Man hätte der Jugend eine Alternative aufzeigen müssen, sagen können: der Plattenwald ist vielleicht nicht ideal, geht besser zu den Scheuerwiesen runter, da gibt es keine Anwohner, da haben wir schon Toilettenhäuschen für euch aufgestellt. 20 Ordner und die Infrastruktur hätten zusammen ungefähr zehn Prozent von dem Einsatz des Hubschraubers gekostet.

Das hätte ausgereicht?
Holp Auf der Party hätte man versuchen müssen, friedlich in den Dialog mit den Jugendlichen zu treten. Das wäre die bessere Variante gewesen. Die Botschaft wäre gewesen: Es ist toll, dass ihr feiert. Ich finde es immer gut, wenn Jugendliche sich nicht-kommerziell treffen. Man darf in Backnang leider auf keinem Grillplatz mehr feiern, darf sich nicht mehr bei Tankstellen treffen. Es gibt Platzverbote in der Innenstadt. Der Jugend fehlt der Raum. Gewalttätig waren sicher weniger als zehn Prozent.

Am 1. Mai wird auch auf dem Hanweiler Sattel bei Korb gefeiert. Die Menschen kommen in Massen. Gemeinde und Polizei schaffen einen Rahmen, stellen Toiletten auf. Warum hier und bei der Facebook-Party nicht?
Hönle Die Zielrichtung ist eine andere. Projekt X wollte Feuer und Flamme haben, einen S-Klasse-Mercedes in der Murr versenken. Das ist auf dem Hanweiler Sattel so nicht der Fall. Man muss differenzieren zwischen einer reinen Facebook-Party, sprich einer modernen Einladung über das Internet, dann habe ich nämlich eine überschaubare Masse. In Backnang hatten wir aber eine nicht kalkulierbare Personenzahl. Wir hatten keinen Ansprechpartner, mit dem wir Rettungswege besprechen konnten. Die Polizei ist ein Erfahrungsberuf. Wenn etwas passiert wäre, dann hätten wir uns sagen lassen müssen: Ihr wusstet doch vom Unglück, das bei der Love-Parade in Duisburg passiert ist. Wenn ein Veranstalter zur Grillparty eingeladen hätte, wäre es kein Problem gewesen, das Feiern zu ermöglichen.

Was halten Sie von dem Vorschlag, auf die Scheuerwiesen auszuweichen?
Hönle Nichts. Für die Leute spielte der Raum keine Rolle. Das Event steigt dort, wo sich die Mehrheit einfindet: auf dem Bahnhofsvorplatz, auf der Straße auf dem Parkplatz von Aldi auf dem Schulhof – egal wo. Wir mussten unserem Auftrag gerecht werden – auch, falls die Leute übermäßig viel Alkohol konsumieren.
Holp Keine Frage, es ist nicht in Ordnung, dass solche Partys proklamiert werden. Aber ist es nicht möglich, die Jugendlichen zu trennen? Die allermeisten waren keine Randalierer. Man hat es aber geschafft, den vielen Friedlichen zu sagen: Ihr kommt hier nicht weiter, die Projekt-X-Leute warten schon auf euch. Alle klagen immer die Jugend an, warum kann man nicht mal Facebook anklagen? Warum kann einer unter falschem Namen überhaupt zu einer Party mit ein paar Tausend Gästen einladen?

Haben Sie versucht, den Initiator bei Facebook ausfindig zu machen?
Hönle Das ist in einem vertretbaren Zeitaufwand nicht machbar gewesen. Wir haben aber alles versucht, die Leute davon abzuhalten, nach Backnang zu kommen. Wir haben auf die Presse gesetzt, auf Auftritte im Internet, auf Laufbänder in den Zügen, wir haben Handzettel verteilt, auf denen stand: Die Facebook-Party ist abgesagt. Wir sind eines Besseren belehrt worden: ohne Druck ging es nicht. Flaschen wurden geworfen, die Rettungskräfte wurden behindert, das war sehr frustrierend.

Herr Holp, Sie sagen, man hätte alles anders machen können. Wer ist man? Konkret: hätte das Jugendzentrum als Veranstalter auftreten können?
Holp Wir haben uns die Frage damals gestellt, ob wir versuchen sollten, die Jugendlichen am Bahnhof anzuwerben. Das wäre für uns eine Nummer zu groß gewesen. Man hätte es aber im Verbund schaffen können: mit freiem Eintritt bei einem Konzert im Juze, mit freiem Eintritt in örtlichen Discos. Und die Leute, die trotz des Verbots da nicht hingehen, die hätte man dann der Polizei überlassen können.
Hönle Dafür wären wir natürlich dankbar gewesen. Den Vorschlag, eine Facebook-Party umzufirmieren, unterstreiche ich zu 100 Prozent. Voraussetzung ist aber immer: Ich brauche einen Ansprechpartner, zum Beispiel das Juze. So war es aber nicht.
Holp Man muss fairer Weise sagen, dass alle Beteiligten viel zu wenig Zeit hatten, um adäquat zu reagieren. Trotzdem müssen wir uns alle eine Niederlage eingestehen.

Warum ist die Sache eskaliert?
Hönle Viele haben sich von Rädelsführern anstacheln lassen.
Holp Das war sehr grenzwertig. Trotzdem bleibt die Frage: wie bekommen wir unsere normalen Jugendlichen davon weg? Wenn man Jugendliche besänftigen will, dann wirkt die Polizei für viele befremdlich. Das hätten vielleicht andere machen müssen: Streitschlichter, also ausgebildete, speziell geschulte Jugendliche.
Hönle Es waren auch sogenannte Kommunikationsbeamte im Einsatz.
Holp Das war vielleicht der Fehler. Feiern und Beamte – das sind zwei Sachen, die beißen sich. Polizisten sind für die Jugend immer die, die wegen Ruhestörung kommen.
Hönle Wir haben auch Erfahrungswerte. Bei bestimmten Personen rechnen wir mit Vorkommnissen, auch mit Ausschreitungen. Das sind keine Vorurteile, sondern – wie gesagt – Erfahrungen. Wir hatten eine Rolle zu erfüllen, nach dem Unwetter haben wir dann triefnasse Jugendliche mit Decken versorgt und transportiert.
Holp Grundsätzlich: wenn wir gegen unsere eigenen Jugendlichen mit Hubschraubern, Kastenwägen und Hundertschaften vorgehen, dann läuft gesellschaftlich etwas falsch. Dieser Vorwurf trifft aber nicht die Polizei, die ihre Aufgaben erfüllen muss.
Hönle Bei der ersten Party hatten wir keine Kastenwägen. Wir sind auf die Jugendlichen zugegangen, haben Flyer ausgehändigt, auf denen stand: geht zurück, habt Einsicht. Es hat nicht funktioniert.

Vielleicht wurde die Party für Randalierer erst durch das Verbot interessant?
Holp Viele Jugendliche sagen: das war doch super, endlich haben wir uns mal zur Wehr gesetzt. Wir erkämpfen uns unsere Freiräume zurück.
Hönle Stimmt, es ist schade, dass es oft gar nicht mehr möglich ist, auf einer Wiese eine Wurst zu grillen. Ein Problem ist die Masse, die nur mit einem Mausklick mobilisiert wird. Ich finde, es ist erschreckend, mit wie wenig Feierevent viele Jugendliche zufrieden sind. Die fahren zu einer abgesagten Party, bei der nichts los ist. Es gibt keine Toiletten, nichts zu trinken, sie müssen kilometerweit zu einer Wiese laufen – und kommen zu dem Ergebnis: es war ein schöner Tag. Das ist doch eine sehr traurige Bewertung.
Holp  Es ist der Reiz des Verbotenen.
Hönle Die Konsequenz aus dem ersten Einsatz war: In Backnang darf keine zweite Party in dieser Dimension stattfinden.
Holp Da gebe ich Ihnen recht.
Hönle Beim zweiten Event in Backnang hatten wir keine Sachbeschädigungen. Wir haben so viele Informationen ins Internet gestellt, dass keiner gekommen ist. Wenn ich die Sache rein aus polizeilicher Sicht bewerte, hat unsere Arbeit Wirkung gezeigt.
Holp Wir müssen uns trotzdem die Frage stellen, wie wir mit solchen Events und dem Thema Feiern umgehen wollen. Psychologisch betrachtet geht es beim Feiern um Paarung. Frauen wollen Männer kennen lernen, Männer Frauen. Wir sind eine kinderarme Gesellschaft – wollen wir die Paarung kommerzialisieren, den Discos überlassen? Das fände ich bedenklich.

Wer hätte denn die Verantwortung für eine offene Party übernehmen können?
Holp Für Backnang war das wohl eine Nummer zu groß, aber vielleicht könnte man ja auf dem Cannstatter Wasen mal eine Facebook-Party machen, mit einem Veranstalter. Um dem Phänomen den Wind aus dem Segel zu nehmen.
Hönle Ich gebe Ihnen recht – nur: wer organisiert das? Wer bezahlt’s? Vielleicht ist es für manche Leute nur das Ziel, die Polizei zu bewegen, mit einem Mausklick die Facebook-Party von Backnang nach Schorndorf zu verschieben. Ich unterstreiche die Vorschläge von Herrn Holp: Gebt der Jugend eine Plattform, ein Ventil, bindet die Jugend ein, nehmt sie wichtig und schiebt sie nicht ab. Allerdings: das ist nur teilweise eine Polizeiaufgabe.
Holp Das wird kein langfristiges Ding. Die Jugend wird aber nachrüsten. Die wollen feiern, und es gibt keine Plätze. Ich glaube kaum, dass die jungen Leute jetzt sagen: Okay, die Party ist verboten worden, treffen wir uns halt abends zum Stricken.
Hönle  Die Polizei will feiern nicht verbieten, wir müssen aber Vorsorge treffen, dass nichts passiert.