Ehrenamtliche der Malteser besuchen kranke und allein stehende Menschen, um sie im Alltag zu unterstützen oder ihnen einfach nur zuzuhören. Wir haben eine von ihnen begleitet und mit dem Geschäftsführer der Waiblinger Diakoniestation über die Lage in der ambulanten Pflege gesprochen.

Waiblingen - Klara Offtermatt erzählt und erzählt, von ihrem bereits gestorbenen Mann, der an Demenz erkrankt und daher Jahre lang pflegebedürftig war, von ihren Stieftöchtern Gisela und Jutta und den Enkeln Jasmin und Dennis, die weit weg leben in Kanada und in der britischen Hauptstadt London, und von ihren gesundheitlichen Beschwerden durch eine Angina Pectoris. Elisabeth Staudenmaier sitzt da und hört ihr zu, während die 76-jährige vom Hundertsten ins Tausende kommt.

 

Die Bezirksbeauftragte der Malteser und Leiterin des Besuchsdienstes kommt jeden Dienstag zu Klara Offtermatt. „Vorher war ja immer die Andrea da. Ach, die hab’ ich arg gern gehabt“, sagt Offtermatt. „Sie hat mich viel zum Lachen gebracht und dann ist sie immer mit mir spazieren gegangen und hat mir geholfen das Grab meines Mannes zu bepflanzen.“ Doch die junge Frau habe gerade keine Zeit mehr für das Ehrenamt. Bis ihre Nachfolgerin die regelmäßigen Plauschrunden fortsetzen kann, schaut Elisabeth Staudenmaier bei ihr vorbei. Denn die Leiterin des Malteser-Besuchsdienstes weiß, wie wichtig das Angebot für Senioren ist. „Das bringt Licht in den Tag einsamer Menschen.“

Die Stuttgarter Besuchsdienstgruppe war die erste in der Region

Seit zwei Jahren gebe es den Besuchsdienst der Malteser für Waiblingen und die nähere Umgebung, berichtet Staudenmaier, die als Bezirksbeauftragte des katholischen Ordens das Angebot angeregt hatte. „In Stuttgart wurde schon vor zwölf Jahren ein Besuchsdienst gegründet.“ Außerdem gebe es in der Region Stuttgart noch weitere Gruppen in Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg), in Esslingen und Kirchheim/Teck sowie in Böblingen.

„Es ist kein ehrenamtlicher Dienst der mordsmäßig Aufsehen erregt, sondern eine Arbeit, die im Stillen abläuft“, meint Alexander Baur, der Pressesprecher der Malteser Baden-Württemberg. Jedoch werde das Angebot angesichts der gesellschaftlichen Veränderung, durch die es immer mehr ältere Menschen gebe, zunehmend wichtiger – „gerade in Ballungszentren wie Stuttgart, in denen das alte Generationenverhältnis nicht mehr so da ist“, meint Baur. Denn es sei nun einmal eine Tatsache, dass die Kinder häufig nicht mehr in der Nähe ihrer Eltern wohnten sondern weit weg. „In solchen Situationen kommen Alternativangebote zum Tragen.“

Pflegedienst-Mitarbeiter sind in Tourenpläne eingetaktet

Zu diesen zähle der Besuchsdienst der Malteser. „Dabei steht mehr die psychologische Pflege im Vordergrund“, erläutert Baur. Schließlich hätten kranke und allein stehende Menschen so gut wie keine Kontaktmöglichkeiten mehr nach außen, mit Ausnahme von ambulanten Pflegediensten und Mahlzeitendiensten, die regelmäßig zu ihnen kommen. Doch seien deren Mitarbeiter in feste Tourenpläne eingetaktet. Zeit, um noch ein Viertelstündchen zum Kaffee zu bleiben, sei da keine. „Aber die Mitarbeiter geben eine Rückmeldung, dass sich beispielsweise mal jemand um Frau Maier kümmern sollte“, führt Baur aus.

So ähnlich war es auch bei Klara Offtermatt. Die Seniorin hatte sich wegen ihrer gesundheitlichen Beschwerden an den Hausnotruf der Malteser gewandt. Seither trägt sie nicht nur einen Notrufpiepser um den Hals, mit dem sie jederzeit Hilfe holen kann, sondern die Hausnotrufzentrale verständigte nach diesem Erstkontakt auch den Regionaldienst in Stuttgart, über den wiederum der Besuchsdienst organisiert wurde.

Der Bedarf ist weit größer als die Zahl der Ehrenamtlichen

Und nun sitzt Elisabeth Staudenmaier bei Klara Offtermatt am Esszimmertisch. Rund herum an den Wänden hängen Fotografien von deren Lieben. Die Besuchsdienstleiterin hört ihr immer noch verständnisvoll zu, entgegnet dann und wann etwas – sofern sie einmal zu Wort kommt. Offtermatt ist eine von fünf Senioren, um die sich der Malteser-Besuchsdienst in Waiblingen kümmert. Ebenso viele Mitarbeiter hat er auch nur. „Der Bedarf ist weit größer“, berichtet Staudenmaier später. Daher suche man ständig nach weiteren Ehrenamtlichen.

Unvermittelt steht Offtermatt auf und holt einen Packen Ansichtskarten. Eine Besuchsdienstlerin habe sie ihr von ihren Urlaubsreisen geschrieben, erzählt sie. „Es ist jedes Mal eine Freude, wenn von ihr eine Karte im Briefkasten ist.“

„Es ist einfach niemand mehr da“

Waiblingen - - Der Begriff des Pflegenotstands ist in aller Munde. Aber wie sieht die Situation konkret aus? Ist der Pflegenotstand schon da oder steht er in vollem Ausmaß erst bevor? Christian Müller, der Geschäftsführer der Diakoniestation in Waiblingen, gibt über die Lage in der ambulanten Pflege Auskunft.
Herr Müller, es ist immer wieder vom Pflegenotstand die Rede. Welche Erfahrungen haben Sie bei der Diakonie konkret damit gemacht?
Ja, damit haben wir viel zu tun bei 400 Haushalten in Waiblingen, die wir täglich besuchen, und mehr als 800 Pflegebedürftigen insgesamt. Im Jahr sind es 140 000 Hausbesuche, die unsere etwa 80 Mitarbeiter in der Pflege zu leisten haben. Der Pflegenotstand zeigt sich dabei bei uns vor allem darin, dass das Personal immer weniger da ist, um den steigenden Bedarf zu decken. Wir sind an der Grenze dazu, dass das Personal gar nicht mehr vorhanden ist. Mit Kleinigkeiten, wie dass wir auch Menschen, die nur abends oder nur morgens nach acht Uhr oder lediglich punktuell eingesetzt werden können, auch beschäftigen, kommen wir nicht mehr voran. Jetzt ist einfach niemand mehr da.
Was bedeutet diese Personalknappheit für die tägliche Arbeit?
Für die Pflegenden bedeutet das eine Verdichtung der Arbeitszeit und für die Pflegebedürftigen, dass ihre Wünsche immer weniger berücksichtigt werden können. Wenn 200 Leute alle gerne morgens früh zwischen Dreiviertel sieben und halb acht Uhr aufstehen und gewaschen werden wollen, dann geht das eben einfach nicht. In dieser Lage sind aber auch unsere Mitbewerber. Auf einer zweispurigen Autobahn finden auch keine fünf Autos Platz, die nebeneinander fahren wollen. Das ist der Pflegenotstand, der sich auch im ambulanten Bereich immer mehr zeigt. Wir kämpfen jeden Tag, damit Menschen möglichst spät erst ins Heim müssen.
Um wie viel steigt die Zahl der Pflegebedürftigen etwa, die von der Diakonie in Waiblingen versorgt werden?
Das sind pro Jahr etwa zwei bis drei Prozent. Auch der gesamte Markt wächst jährlich um zwei bis drei Prozent. Gleichzeitig kommen die Menschen immer später und immer pflegebedürftiger zu uns. Und sie werden immer kürzer von uns versorgt.
Woran liegt das?
Das Pflegerisiko sinkt, weil die Menschen gesünder älter werden. In der Summe jedoch gibt es immer mehr Ältere und damit auch Pflegebedürftige.
Sie sagten es fehle zunehmend an Personal. Gibt es bereits offene Stellen, die sie nicht mehr besetzen können?
Wir sind gerade noch in der glücklichen Lage, dass wir alle Stellen besetzt haben. Bei Kollegen in anderen Diakoniestationen sieht das aber auch schon anders aus. Manche haben drei bis vier unbesetzte Stellen. In Fellbach zum Beispiel ist es soweit ich weiß besonders knapp. Dort merkt man die Nähe zu Stuttgart. Das saugt Personal ab. Aber auch in Weinstadt und Schorndorf bekommt man die Knappheit zu spüren.
Wie viele Bewerbungen bekommen Sie denn, wenn Sie eine Stelle ausschreiben?
Wir schreiben schon seit vielen Jahren überhaupt nicht mehr aus. Das macht sowieso keinen Sinn. Auf die letzten beiden Ausschreibungen haben wir genau null Bewerbungen erhalten. Daher haben wir nun auf unserer Homepage einen Link für Initiativbewerbungen eingerichtet.
Und wie viele erhalten Sie auf diesem Weg?
Das ist sehr unterschiedlich. Im Jahr sind es etwa zehn. Aber der Punkt, an dem der Personalmangel schlimm wird, kommt erst noch. Wir haben relativ viele ältere Mitarbeiter, die in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Doch es kommen keine Jüngeren nach.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Ist der Beruf als Pflegekraft zu unattraktiv?
Naja, man muss eben auch wochenends und abends arbeiten. Die Bezahlung bei uns ist vergleichbar mit dem öffentlichen Dienst. Aber gerade für Jüngere ist das Einstiegsgehalt gering. Und von den jüngst eingeführten neun Euro Mindestlohn kann man in Waiblingen nicht einmal eine Wohnung zahlen.
Wie könnte die Situation verbessert werden?
Ganz arg wichtig wäre es für alle Beteiligten, die Pflegenden aber auch die Pflegebedürftigen, wenn es zum einen gelingt, den Beruf nach Tarifvertrag zu zahlen und zum anderen auch Wertschätzung und Anerkennung den Menschen entgegenzubringen – und zwar nicht nur von den Patienten sondern auch gesellschaftlich. Denn das ist es, was jemanden motiviert. Dazu gehört dann auch, dass der Beruf finanziell so ausgestattet ist, dass man den Dienst auf unabsehbare Zeit ausüben kann und nicht ständig am Rüberkippen arbeitet. 90 Prozent unserer Kosten sind Personalkosten. Aber wir kriegen die Preise nicht, die wir brauchen, um die Mitarbeiter zu zahlen. Die Vergütung ist zu gering für tarifgebundene Dienste. Wir wirtschaften ständig mit Abmangel. Dieses Jahr wird er fünfstellig sein bei einem Umsatz von zweieinhalb Millionen. Das ist etwas, das in der Gesellschaft stattfinden muss, denn die Kranken- und die Pflegekassen verhalten sich nur so wie die Gesellschaft. Die Gesellschaft muss verstehen, dass man etwas tun muss, damit der Beruf attraktiv bleibt. Um auch zukünftigen Pflegebedürftigen die Qualität der Pflege zu sichern, die wir heute erreicht haben.
Und wie gleichen Sie den Abmangel aus? Durch Spenden?
Spenden bekommen wir so gut wie keine mehr. Nein, wir werden von Krankenpflegefördervereinen unterstützt. Aber eigentlich ist es die Aufgabe der Sozialversicherungen, leistungsgerechte Preise zu zahlen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Für Dienste in der ersten Leistungsgruppe gibt es neun Euro und siebenunddreißig Cent, egal wie viele man davon erbringt und die Fahrt zum Patienten ist auch mit drin. Dazu gehören Dinge wie Blutdruckmessen, Medikamentengabe, Stützstrümpfe anziehen, . . .
Da bleibt nicht mehr viel Zeit, um sich auch mit dem Pflegebedürftigen als Mensch zu befassen, oder?
Viel Kommunikation kann auch während der Pflege noch stattfinden. Aber für einen wirklichen sozialen Kontakt geben die Kranken- und Pflegekassen kein Geld aus. Außerdem wird die Zeit beim Patienten zusätzlich verdichtet durch immer mehr andere Arbeiten, beispielsweise die Dokumentation. Jeder Handgriff muss aufgeschrieben werden und für jeden muss man sich rechtfertigen. Das ist ja auch wichtig, kostet aber Zeit, die uns dann bei den Patienten fehlt.