Türkischstämmige Frauen werden gezielt für eine Ausbildung in der Altenpflege angeworben – auch, um den Betreuungsanforderungen ihrer Landsleute gerecht zu werden.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Waiblingen - Vor zwölf Jahren ist Aysel Önen nach Deutschland gekommen. Bereits drei Jahre zuvor hatten ihre Eltern die Heimat Istanbul verlassen, um in Schwäbisch Hall Fuß zu fassen. Der 14-jährigen Aysel fiel der Einstieg in ihre neue Umgebung zunächst nicht leicht. Zwar habe sie einen Deutschkurs absolviert, aber „ich habe mich in der Schule geschämt, weil ich die Sprache so schlecht konnte“, sagt sie. Dennoch schaffte sie einen guten Hauptschulabschluss und bewarb sich für eine Weiterbildung in einer Hauswirtschaftlichen Schule in Stuttgart, wohin die Familie inzwischen umgezogen war.

 

Die Aufnahme dort war mit einer einjährigen Wartezeit verbunden. Das sei verhängnisvoll für sie gewesen, sagt die junge Frau heute. Ihre Deutschkenntnisse hätten sich wieder verschlechtert, der Elan, weiterlernen zu wollen, sei verloren gegangen. Nach kurzer Zeit habe sie die Ausbildung abgebrochen, und nach einer Einstiegsqualifikation für einfache Büroarbeiten begann sie zu jobben – im Einzelhandel, in Boutiquen, immer mal dort, wo Bedarf war. Das wäre wahrscheinlich ewig so weiter gegangen, wenn Oya Poyraz die junge Frau nicht vor gut einem Jahr angesprochen und zu einer Ausbildung als Altenpflegehelferin überredet hätte.

Oya Poyraz und Olcay Uzun sind die beiden Kontaktpersonen der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg, die in der Region Stuttgart seit einem Jahr unermüdlich die Werbetrommel für ein neues Projekt namens „Kultursensible Pflege“ rühren Die Idee ist, arbeitslose oder gering verdienende Frauen mit Migrationshintergrund zu einer Altenpflegeausbildung zu motivieren, sie auf diesem Weg zu begleiten und zu unterstützen. Das Modellprojekt wird federführend von der Waiblinger Arbeitsagentur koordiniert und mit Landes- und EU-Mitteln unterstützt. Das Ziel ist zum einen, Menschen mit ausländischen Wurzeln eine Ausbildung zu ermöglichen, zum anderen aber auch, deren sprachlichen und kulturellen Hintergrund bei der Betreuung ihrer Landsleute zu nutzen.

Die ersten zehn Absolventinnen haben ihre Ausbildungsurkunde in einer kleinen Feierstunde am Mittwochabend jetzt persönlich von der Landessozialministerin Katrin Altpeter überreicht bekommen. In ihrer Ansprache wies Altpeter darauf hin, dass ältere Migranten, anders als noch vor ein paar Jahren, immer häufiger ambulante Pflegedienste in Anspruch nähmen oder in Pflegeeinrichtungen lebten. Diese Entwicklung stelle die Einrichtungen vor Herausforderungen, denn nicht wenige der Betreuten seien darauf angewiesen, dass das Pflegepersonal ihre Muttersprache spreche oder mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut sei. Dass jeder Mensch die Pflege und Unterstützung erhalten solle, die seinen persönlichen Bedürfnissen entspricht, ist nicht nur die persönliche Meinung der Ministerin – ein entsprechender Gesetzesentwurf ist im Sommer auch vom Kabinett der Landesregierung verabschiedet worden.

Aysel Önen hat ihre Entscheidung von vor einem Jahr nicht bereut. Auch wenn das Versprechen ihrer Betreuerin, dass der theoretische Teil nur einen ganz kleinen Teil der Ausbildung einnehmen werde, nicht ganz eingehalten worden sei, wie sie augenzwinkernd sagt, will sie jetzt noch zwei Jahre weiterlernen und sich zur examinierten Altenpflegerin ausbilden lassen. Ihre praktischen Erfahrungen in dem Stammheimer Luise-Schleppe-Heim hätten zwar gezeigt, dass die Altenpflege alles andere als eine leichte Arbeit sei. Aber dafür sei die Tätigkeit wesentlich erfüllender, als Jeans und Blusen zu verkaufen, sagt die 26-Jährige: „Wenn ich sehe, wie ich andere Menschen ein wenig glücklicher mache, macht das auch mich glücklich.“

Das Modellprojekt Kultursensible Pflege

Ausbildung
Die Projektteilnehmer können innerhalb von einem Jahr in einer „regulären“ schulischen und praktischen Ausbildung einen Abschluss als Altenpflegehelfer erwerben. Die Zugangsvoraussetzung ist ein Hauptschulabschluss. Zwei Jahre dauert die Ausbildung zum Alltagsbegleiter, und drei Jahre muss man investieren, um Altenpfleger werden zu können. Einsatzmöglichkeiten sind Alten- und Pflegeheime, geriatrische Stationen in Krankenhäusern oder ambulante Pflegedienste. Der erste Jahrgang, zehn türkischstämmige Frauen, hat jetzt den Helfer-Abschluss geschafft. 14 Absolventinnen haben ihre Ausbildung begonnen, für den nächsten Kurs im April gibt es bereits 13 Vormerkungen.

Partner
Federführend koordiniert wird die gemeinsame Initiative mit der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg von der Waiblinger Arbeitsagentur. Angesprochen werden sollen junge Frauen in türkischen oder Moscheevereinen in der gesamten Region Stuttgart.

Unterstützer
Das Projekt ist Teil der Initiative „Ressourcen stärken – Zukunft sichern: Erwerbsperspektiven für Mütter mit Migrationshintergrund“ des Bundesfamilienministeriums. Das Stuttgarter Sozialministerium unterstützt die Initiative eigenen Angaben zufolge mit 500 000 Euro aus Landesmitteln sowie jenen des Europäischen Sozialfonds.

Kontakt
Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg, Schwabstraße 12a in 70197 Stuttgart, Telefonnummer 07 11/88 89 99 15.