Ein Waiblinger Kunstprojekt zeigt die erschütternde Realität vieler Mädchen, die im Alltag mit Sexismus konfrontiert werden – und stimmt doch auch hoffnungsvoll.

Volontäre: Luisa Rombach (lur)

Die Zahlen der Kampagne „Orange The World“ der Vereinten Nationen sind erschreckend. Jede dritte Frau in Deutschland wird in ihrem Leben Gewalt erleben. Mehr als die Hälfte der Frauen vermeidet es, nachts durch Parks oder bestimmte Straßen zu gehen. Das gehört zum Alltag für Frauen in diesem Land, das so fortschrittlich und in dieser Hinsicht offenkundig doch so rückständig ist.

 

Ein Kunstprojekt, das aufrüttelt

Im Rems-Murr-Kreis gibt es jedoch Widerstand gegen diesen Zustand – und jetzt in konzertierten Aktionen. Der Landkreis beteiligt sich mit verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen in den Jugendzentren an der UN-Kampagne, die noch bis zum 10. Dezember dauert. In Waiblingen entstand ein ganz besonderes Projekt, ermöglicht durch das Kreisjugendreferat. In Zusammenarbeit mit der Kunstschule Unteres Remstal gestalteten Mitarbeiterinnen des Aktivspielplatzes mit einer Gruppe Mädchen eine Puppe aus Pappmaschee namens Hope.

Hope trägt dunkle Leggings, ein pinkfarbenes Top, das ihren gepiercten Bauchnabel nicht verdeckt. Sie steht nach hinten gelehnt, die Hände von sich gestreckt. Ihr Blick wirkt etwas verunsichert. Sie ist umgeben von Schimpfwörtern, die ihren Körper objektifizieren, abwerten, kritisieren. Von Beleidigungen, die ihr ihre Rechte absprechen wollen, weil sie ein Mädchen ist. Es sind Ausdrücke und Sätze, die den Mädchen, die Hope gestaltet haben, nur allzu bekannt sind – weil sie zu ihnen gesagt worden sind.

Die Suche nach dem richtigen Umgang mit dem Thema

Waiblingens Erster Bürgermeister Ian Schölzel zeigt sich bestürzt über die Belästigung, mit der sich bereits junge Mädchen im Alltag konfrontiert sehen: „Manche der Sprüche offenbaren eine gewisse Wertehaltung, die ich sehr erschreckend finde.“ Gleichzeitig wolle er nicht alle Jungs und Männer unter Generalverdacht stellen. Trotzdem sei offensichtlich, dass es Aufklärungsbedarf gebe.

Die Idee für die Puppe entstand nach und nach, als die Mitarbeiterinnen des Aktivspielplatzes nach einer Möglichkeit suchten, mit den Mädchen über Gewalt an Mädchen und Frauen zu sprechen. Da einige der Teilnehmerinnen erst sechs Jahre alt sind, suchten die Betreuerinnen nach einem kreativen Umgang mit dem Thema. „Dabei merkten wir, dass das Thema auch schon für junge Mädchen präsent ist“, sagt Annette Mayer vom Aktivspielplatz.

Auf Tour durch die Jugendzentren im Kreis

Auch wenn die Arbeit an Hope nun abgeschlossen ist, geht die Beschäftigung mit dem Thema für die Mädchen im Aktivspielplatz weiter. „Wir planen einen Selbstbehauptungskurs, bei dem die Mädchen Strategien lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen“, erklärt Mayer. Für Hope selbst hat die Reise ebenfalls gerade erst begonnen. Sie soll nun auf Tour durch die Jugendzentren gehen und später auch in öffentlichen Räumen wie dem Rathaus und der Bücherei ausgestellt werden. Dafür müsse jedoch sichergestellt sein, dass der nötige Kontext mitpräsentiert wird, damit die Puppe nicht als reine Provokation interpretiert werde, so Ian Schölzel.

Angelika Neudek ist für Chancengleichheit in Waiblingen zuständig und betont die Rolle, die die Gesellschaft im Kampf gegen Diskriminierung spielt: „Wir müssen als Stadtgesellschaft zusammenstehen und Mädchen stärken.“ Die Beleidigungen, mit denen Mädchen konfrontiert würden, seien auch deshalb so schlimm, weil die Pubertät ohnehin eine sensible Phase sei. Viele Mädchen hätten schon genug damit zu tun, mit den damit einhergehenden Veränderungen und ihrer Körperlichkeit zurechtzukommen. Auch wenn die Situation für Mädchen und Frauen in der Gesellschaft noch immer sehr unzufriedenstellend ist, blicken die Beteiligten trotzdem hoffnungsvoll in die Zukunft. Durch Aktionen wie die UN-Kampagne und die Gestaltung von Hope würden mehr und mehr Menschen auf die Missstände aufmerksam. Und damit wachse die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Es gibt Anlaufstellen für Mädchen und Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind. Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen ist unter 116 016 erreichbar. Zudem gibt es im Rems-Murr-Kreis eine Anlaufstelle gegen sexualisierte Gewalt, mit der E-Mail-Adresse anlaufstellegsg@rems-murr-kreis.de. Bei sexuellem Missbrauch ist unter der Nummer 08000/22 55 530 Soforthilfe verfügbar.