Endlose Wiesen, sanfte Hügel, Schafe und ein Schloss am anderen - Nordwales hat viel zu bieten.

Endlose grüne Wiesen, sanfte Hügel, unzählige Schafe und ein Schloss am anderen. Nordwales hat viel Natur zu bieten – und viel rollende Geschichte.

 

Liebevoll wienert Matthew Cable, 32, mit einem Lappen das Blech des Führerstands der alten Dampflok auf Hochglanz. Der junge Waliser trägt ein akkurat gebügeltes blütenweißes Hemd unter seiner ebenso akkurat gebügelten blauen Latzhose. Matt Cable steuert an diesem sonnigen Septembertag den Mittags-Zug der Welsh Highland Railway (WHR). Er ist mächtig stolz drauf, das sieht man. Mit der historischen Schmalspurbahn kann eine der schönsten Regionen Großbritanniens erobert werden, der Snowdonia-Nationalpark.

Ausgangspunkt ist das kleine Städtchen Caernarfon, das beherrscht wird von einer mächtigen Festung. König Edward I. war es, der die soliden Gemäuer ab 1283 errichten ließ – als Trutzburg gegen die aufsässigen Waliser, die sich ihrem Monarchen einfach nicht unterordnen wollten. Caernarfon Castle war eine von mehreren Zwingburgen, die über das ganze Land verstreut waren und die Macht des Monarchen sichern sollten.

Ein wenig rebellisch sind sie bis heute, die Waliser. Ihr Land gehört zum Vereinigten Königreich, aber nie würde sich einer von ihnen als Brite bezeichnen lassen. Ein wenig starrköpfig wirkt auch, dass alle Straßen- und Ortsschilder zweisprachig sind. In Englisch und Walisisch, der Sprache, in der es vor Konsonanten nur so wimmelt, wie in dem Wort Mynydd, was Berg bedeutet. Doch die Mehrheit der Menschen redet englisch miteinander.

Pünktlich um 12.10 Uhr nimmt die Tasmanian K1 laut quietschend die Schienen unter die Räder. Mit maximal 25 Meilen pro Stunde (40 km/h) zuckeln wir nach Waunfawr, der ersten Station – auf größtenteils neuen Gleisen, weil die alte Strecke 1936 stillgelegt worden war. Die Lok wurde 1909 gefertigt, war die erste ihrer Bauart und wurde von den Mitarbeitern der WHR sorgfältig restauriert, wie die Wagen auch. In den Waggons haben bis zu 300 Fahrgäste Platz, mehr als 300000 steigen pro Jahr ein. Ganz vorn, in der dritten Klasse, gibt es nur harte Holzbänke, die Passagiere sitzen im Freien. Ganz hinten, in den Pullman-Waggons, lassen sich die Betuchteren in herrlich weichen Fauteuils nieder.

Die WHR erweist sich als Konjunkturlokomotive für die strukturschwache Region. Das Material mag historisch sein, aber das Unternehmen hat mit drei Fahrten pro Tag einen erfolgreichen Linienbetrieb aufgebaut. Ganz nebenbei wird der Individualverkehr vom Nationalpark ferngehalten. Knapp 100 Menschen sind fest angestellt, sagt WHR-Pressesprecher Andrew Thomas. Mehr als 1000 Freiwillige haben sich die Instandhaltung der Züge und Wagen zum Hobby gemacht, ältere Herren wie Andrew Thomas, aber auch junge Männer wie Matt Cable. "Wir machen einen Umsatz von fünf Millionen Pfund im Jahr", sagt Thomas. Das sind etwa 5,8 Millionen Euro. Fast noch wichtiger ist das Geld, das die von den schmucken Eisenbahnen angelockten Urlauber bringen. Schätzungsweise 15Millionen Pfund seien das, sagt Thomas.

Kurz nach Llyn Cwellyn, einem wunderschön gelegenen Bergsee, wird der Zug immer langsamer, bis es nur noch im Schritttempo vorangeht. "That’s sheep speed", grinst Thomas – die Geschwindigkeit eines Schafes. Geduldig wartet Lokführer Matt, bis sich die Viecher von den Gleisen trollen.

Dass solche Begegnungen für die Welsh Highland Railway an der Tagesordnung sind, ist kein Wunder bei einer Population von zwölf Millionen Schafen in Wales – gegenüber drei Millionen Menschen. Schafzucht ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes, das mit einer Fläche von etwa 20700 Quadratkilometern fast so groß ist wie Hessen. Da bremst man auch für Tiere.

In sanften Bögen zieht der Zug weiter seine Bahn. Immer wieder fällt der Blick auf den Mount Snowdon, der mit seiner charakteristischen Pyramidenform aus der Bergkette herausragt. Aus der Ferne betrachtet, mag man es kaum glauben, aber der Berg ist eine alpine Herausforderung. An den zahlreichen Felswänden trainierte 1953 Edmund Hillary für seine Everest-Expedition, denn der Gipfel ähnelt auffallend dem des Everest – wenn auch nur im Maßstab 1:8. Wem das zu heftig ist, kann mit der Snowdon Mountain Railway– auch die ist natürlich historisch – auf den 1085 Meter hohen Gipfel tuckern.

Die Welsh Highland Railway steuert nach dem Halt in Beddgelert ihrem landschaftlichen Höhepunkt entgegen – dem Aberglaslyn-Pass. Auf diesem Teil der Strecke zwängt sich das Wasser des Flusses Afon Glaslyn gemeinsam mit dem Zug durch enge Felsen und bietet atemberaubende Aussichten. Jetzt sind die Passagiere der dritten Klasse im Vorteil, sie erleben das Naturschauspiel hautnah.

Nach 31 Kilometern und unzähligen Kurven wird Pont Croesor erreicht, die Endstation. Von Ostern 2011 an werden die Dampfloks weiterschnaufen bis Porthmadog. Dort ist die Ffestiniog Railway zu Hause – auch sie ist eine der zehn "great little trains of Wales", der großen, kleinen Züge in Wales.

Nordwales

Anreise
Die Flughäfen Manchester oder Liverpool sind der beste Ausgangspunkt für eine Reise nach Nord- wales. Weiter geht es mit dem Mietauto über die M56. Lufthansa fliegt ab Stuttgart direkt nach Manchester, www.lufthansa.com.

Unterkunft
Am besten steigt man in einer der zahlreichen liebenswerten Bed-&-Breakfast-Pensionen ab, die überall mit B-&-B-Schildern auf sich aufmerksam machen. Ab 50 (EZ) oder 70 Euro (DZ) schläft man bequem und mit garantiertem Familienanschluss.

Preise
In Wales bezahlt man mit dem britischen Pfund; ein Pfund entspricht rund 1,20 Euro.
Frische Sandwiches 3 Euro
Bier 3 Euro
Rumpsteak mit Pommes frites 8 Euro
Drei-Gänge-Menü ab 22 Euro
Ticket der Welsh Highland Railway 33,60 Euro

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall einen Besuch in Bodnant Garden einplanen. Die Gartenanlage gilt als eine der schönsten Europas, www.bodnant-garden.co.uk. Der 32 Hektar große Park wurde 1875 erbaut.

Vor allem im Frühjahr (wegen der Blüte) und im Herbst (wenn die Blätter sich verfärben) ist es herrlich, durch den Park zu spazieren. Auf keinen Fall einen Einheimischen als Briten oder gar als Engländer ansprechen. Der Patriotismus der Waliser geht so weit, dass manche von ihnen für den Gegner jubeln, wenn die Engländer bei einem Länderspiel verlieren.

Allgemeine Informationen
Nordwales kann das ganze Jahr über besucht werden, der Golfstrom sorgt für mildes Klima. Nach Schottland ist Cymru (so der walisische Name) die gebirgigste Region der britischen Inseln, der Mount Snowdon (1085 Meter) ist der höchste Berg. Nordwales zählt zu den am dünnsten besiedelten Regionen Europas; auf den zahlreichen Wanderwegen hat man deshalb seine Ruhe. Und die Küsten gelten als ideale Segelreviere.

Weitere Auskünfte
Tourismusbüro Visitwales, www.visitwales.com, Telefon 0044(0)8701211251. Dr. Tigges Studienreisen, www.drtigges.de, Telefon 0431/54460.