Als Clark Rockefeller hat der aus Bayern stammende Christian Gerhartsreiter jahrzehntelang Menschen hinters Licht geführt. 2013 wurde er in Kalifornien wegen Mordes zu 27 Jahren Haft verurteilt. Walter Kirn hat ein Buch über seinen ehemaligen Freund geschrieben.
Stuttgart - Hochstapler begnügen sich nicht mit Kleinigkeiten. Wer andere bluffen will, macht am besten dicke Backen. Doch was der gebürtige Bayer Christian Gerhartsreiter abgeliefert hat, ist der Gipfel der Dreistigkeit. Der 2013 in den USA wegen Mordes zu 27 Jahren Haft verurteilte Blender gab sich unter dem Namen Clark Rockefeller als Mitglied jener sagenhaft reichen amerikanischen Familie aus.
Über Jahrzehnte hinweg gelang es dem 1961 in Siegsdorf geborenen Gerhartsreiter, ganz wie Patricia Highsmiths talentiertem Mr. Ripley, unter verschiedenen falschen Identitäten die Menschen um ihn herum hinters Licht zu führen, einschließlich der Ehefrau, mit der er mehrere Jahre lang verheiratet war. Einer der Gefoppten ist der amerikanische Schriftsteller Walter Kirn, der über seine Jahre währende Freundschaft mit dem gefährlichen Narzissten und über den Prozess gegen ihn das Buch „Blut will reden“ verfasst hat.
Wie gefährlich Gerhartsreiter alias Rockefeller ist, wurde Kirn erst im Nachhinein klar. Er ist inzwischen überzeugt, dass er das nächste Opfer des Psychopathen hätte werden können. Der hat wahrscheinlich zwei Menschen ermordet, den Sohn einer früheren Vermieterin und dessen Frau. Die im Garten verscharrte Leiche des Mannes wurde Jahre später bei Bauarbeiten gefunden, von der Frau fehlt seit 1985 jede Spur. Gerhartsreiter streitet bis heute ab, die beiden getötet zu haben.
Kirn beschreibt, wie er durch Zufall in die bizarre Welt Gerhartsreiters kam und wie der angebliche Rockefeller alle um ihn herum narrte und benutzte. Dabei bewegte er sich jahrelang in New Yorker Kreisen, in denen durchaus ein echter Rockefeller hätte auftauchen können. Die Dreistigkeit des Mannes, der 1978 nahezu mittellos als Student in die USA eingewandert war, ist einerseits faszinierend, andererseits erschrecken. „Ich hatte ihn nicht gekannt. Ich hatte alles falsch verstanden“, lautet das Resümee des Autors bereits während des Prozesses.
Obwohl er wegen des blasierten Verhaltens „Rockefellers“ hin und hergerissen war zwischen Sympathie und Antipathie, konnte er doch nicht von ihm lassen. „Ich wollte wieder in jenen Club eingeladen werden“, gibt er unumwunden zu. Dass erst er dem Hochstapler die Tür dorthin durch ein Empfehlungsschreiben geöffnet hatte, wird ihm klar, als der Betrüger bereits aufgeflogen ist.
Für alle, die mit Narzissten zu tun haben – und das haben im Lauf des Lebens die meisten von uns – liefert „Blut will reden“ das spannende Psychogramm einer bizarren Persönlichkeit. Es ist auch der Versuch eines Betrogenen, die einzelnen Facetten des Betrugs im Nachhinein zu erkennen. Dank der beherzten Offenheit Kirns ist das nicht nur von der ersten bis zur letzten Seite ein Erlebnis. Es hinterlässt auch die Gewissheit, dass jeder von Hochstaplern wie Gerhartsreiter korrumpiert werden kann. Diese spielen virtuos mit der Eitelkeit ihrer Opfer, einer Eigenschaft, die Narzissten von Natur aus bestens vertraut ist.
Walter Kirn, Jahrgang 1962, ist Schriftsteller, Essayist und Literaturkritiker. Sein Roman „Up in the Air“, über einen vielfliegenden Geschäftsmann, dessen Kompetenz Kündigungsgespräche sind, wurde 2009 mit George Clooney in der Hauptrolle verfilmt.
Walter Kirn: „Blut will reden“. Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Verlag C.H. Beck, München 2014. 288 Seiten, gebunden, 19,95 Euro. Auch als E-Book, 14,99 Euro; und als Hörbuch-Download, 16,71 Euro.