Im StZ-Interview verteidigt Walter Riester die Altersvorsorge, die seit zehn Jahren untrennbar mit seinem Namen verbunden ist.
Stuttgart - Zum 1. Januar 2002 wurde die Riester-Rente eingeführt. Der frühere SPD-Arbeitsminister hält seine Erfindung für eine Erfolgsgeschichte, verkennt aber einige Schwachstellen nicht.
Herr Riester, denken Sie nicht oft: Ich hätte gern die Rechte an meinem Namen zurück?
Als der Begriff Riester-Rente damals erstmals in der Zeitung stand, meinte mein Staatssekretär, dass man dagegen mit einer einstweiligen Verfügung vorgehen müsse - was ich aber albern fand. Nachdem ich zunächst mit dem Begriff gefremdelt habe, rede ich mittlerweile ungezwungen von der Riester-Rente und denke nicht mehr an mich als Person. Da bisher 15 Millionen Menschen das Angebot angenommen haben und mehr als zehn Millionen über die betriebliche Altersvorsorge, ist es für mich eine Selbstverständlichkeit geworden.
Das Image der Riester-Rente leidet wieder. Selbst auf dem SPD-Parteitag neulich wurde sie als Misserfolg bezeichnet. Tut das weh?
Jein. Die Idee wurde von Anfang an von einem Teil der ausschließlich im Umlagesystem denkenden Kollegen in Partei und Parlament bekämpft. Von 2002 bis Ende 2004 ist das Produkt zudem kaum verkauft worden, weil die Provisionen zu niedrig waren. Daraufhin wurde es als Flop runtergeschrieben. Nachdem meine Nachfolgerin die Provisionierung verbessert hatte, ging der Verkauf sprunghaft hoch. So gab es von 2005 bis 2007 eine durchgehend positive Berichterstattung. Zugleich setzte aber eine ideologisch getriebene Kampagne von Strukturkonservativen aus SPD und Linkspartei ein, die ungeheuer verunsichert hat. Heute werden Sie eher bei Konservativen oder Wirtschaftsliberalen Zustimmung finden - das passt mir natürlich auch nicht so.
Unterm Strich ist das Ganze für die Versicherungswirtschaft doch ein sehr gutes Geschäft. Ist das auch in Ihrem Sinne gewesen?
Nein, nein. Laut dem Bundesfinanzministerium war das bis 2007 ein absolutes Defizitgeschäft - was mir im Kern bewusst war. Erst seit 2008 liegt es im Plusbereich, aber die Renditen für die Versicherungen sind minimal. Ich hätte nichts dagegen, wenn es gut laufen würde, sofern dies nicht zu Lasten des Bürgers geht. Das ist aber nicht so.
Zwei von drei Sparern erhalten keine oder nicht die volle staatliche Zulage. Viele Bürger sind mit den Regeln überfordert. Wer ist dafür verantwortlich: die Konstrukteure, die Berater oder das Desinteresse der Bürger?
Alle. Auch wenn es nicht populär ist, halte ich das Beharrungsvermögen der Bürger, berechtigte Ansprüche nicht geltend zu machen, für katastrophal. Seit 2005 hat der Gesetzgeber das Ganze so vereinfacht, dass der Bürger den Zulagenantrag gar nicht mehr selbst stellen muss. Das kann er kostenfrei seinem Anbieter überlassen. Und das Produkt hat für den, der es kennt, eine sehr einfache Struktur. Die Situation ist also besser, als sie häufig dargestellt wird - wenn auch nicht befriedigend.
Jährliches Kundengespräch nötig
Die Banken und Versicherungen mögen die Produkte nun zwar gut verkaufen, aber die weitere Beratung ist nicht mehr lukrativ für sie. Genau daran hapert es aber.
Die ist in der Tat wichtig. Ich mache intensive Schulungen mit den Beratern von Banken und Sparkassen. Ich sage denen immer: die Dienstleistung nach dem Abschluss ist das A und O, weil es ein exzellentes Kundenbindungsprodukt ist. Denn wer nicht kündigt, hat es bis zum Lebensende. Also ist ein jährliches Kundengespräch nötig - und viele Berater machen das auch.
Einer Studie zufolge sind die Erträge so niedrig, dass man das Riestern nur gut verdienenden Eltern empfehlen könne - weil diese die höheren Zuschüsse für Familien bekommen, steuerlich gefördert werden und als Gutverdiener eine höhere Lebenserwartung haben. Gedacht war es aber doch für Menschen mit niedrigem Einkommen?
Es stört mich schon sehr, was da an Negativem kommt. Die DIW-Untersuchung im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung stützt sich auf den Hauptkritiker der Versicherungswirtschaft, Axel Kleinlein. Laut der zentralen Zulagenstelle haben aber 30 Prozent der Antragsteller ein Vorjahreseinkommen von bis zu 10.000 Euro. Weitere 20 Prozent haben bis zu 20.000 Euro. Es gibt also eine außerordentlich starke Besetzung im Bereich niedriger Einkommen.
Etliche staatliche Vorgaben führen zur Verringerung der Erträge. Die Folge: viele 2011 vereinbarte Verträge haben eine schlechtere Rendite als Verträge, die schon 2001 geschlossen wurden. War das unausweichlich?
Ja. Der Garantiezins - der im Kern nichts mit der Riester-Rente zu tun hat - ist von damals 3,25 Prozent auf 1,75 Prozent ab 2012 gesunken. Die Aufsichtsbehörde hat den Mindestzinssatz, wie ich finde, zu Recht heruntergesetzt, weil er sonst für einen Teil der Versicherungen bei risikoarmen Anlagen in Rentenpapieren kaum zu realisieren wäre. Der Garantiezins sagt aber nichts über die tatsächliche Rendite der Riester-Rente aus. Die Versicherungen weisen im Schnitt für 2010 mehr als vier Prozent und für 2011 etwa vier Prozent an Verzinsung aus. Wenn im Übrigen eine Versicherung garantieren muss, dass die Zahlung bis zum Ableben erfolgt, wird es in der Versicherungsgemeinschaft wirtschaftlich gesehen immer Verlierer und Gewinner geben - egal, ob dies in der privaten oder in der sozialen Rentenversicherung erfolgt.
Sie selbst geben Vorträge, Schulungen sowie Seminare und sind im Aufsichtsrat der Union Asset Management Holding AG, die rund drei Viertel aller 2,4 Millionen Riester-Fondssparpläne verkauft. Sind Sie also der beste Botschafter der Riester-Rente?
Insofern ja, als ich die Sache kreiert habe und seitdem in diesem Prozess stehe. Ich bekomme ja mit, welche Fehler und Ungerechtigkeiten im praktischen Verlauf erkennbar werden und möchte das weitestgehend ausräumen. Mein Anliegen ist, dass der Berater optimal darüber informiert ist, was der Gesetzgeber erreichen wollte.
Für Sie selbst soll es sich auch gut lohnen?
Ich merke den zum Teil hasserfüllten Vorwurf und kenne die Menschen, die von Anfang an ideologisch die Sache bekämpft haben. Ich habe aber noch nie von einem Kunden, der nicht wirtschaftlich mit der Sache verbunden ist, einen Euro Honorar verlangt. Wenn ich von einer Bank oder Versicherung eingeladen werde, verrechne ich meine Honorar und Kosten wie jeder andere auch. Daran kann ich überhaupt nichts Schlechtes finden. Dass das immer wieder hochgezogen wird, macht nur deutlich, auf welch emotionale Ebene man das heben will. Das ist für mich sehr ärgerlich.
Metaller und Minister
Sozialdemokrat: Im Kabinett von Gerhard Schröder war Walter Riester (68) von 1998 bis 2002 Minister für Arbeit und Soziales. Zuvor schon hatte der Sozialdemokrat die geförderte und freiwillige Altersvorsorge ersonnen, die als Riester-Rente bekannt wurde. 2009 verließ er den Bundestag.
Gewerkschafter: In Stuttgart ist Riester altbekannt: Hier stieg er 1988 zum Bezirksleiter der IG Metall auf. Nach fünf Jahren wechselte er nach Frankfurt auf den Posten des zweiten Vorsitzenden, bis er 1998 in die Politik ging. Heute lebt Riester in Berlin und Österreich. ms