Im Fellbacher Gewa-Tower balzen zwei streng geschützte Wanderfalken. Der 107 Meter hohe Rohbau könnte deshalb zum vermutlich teuersten Brutplatz der Welt werden.

Fellbach - Streng geschützte Wanderfalken sind als erste Bewohner in den Fellbacher Gewa-Tower eingezogen – und mit der Wahl der Bauruine quasi zu „Turm“-Falken geworden. Ein Pärchen der seltenen Spezies hat sich das Hochhaus als Domizil erkoren und es sich in den oberen Luxusetagen bequem gemacht.

 

Der Vorstellung von einem gemütlichen Nistplatz entspricht der 107 Meter hohe Tower mit bester Aussicht schon heute, so schön zugig und verlassen, wie er ist. Einen höheren „Felsen“ gibt es für die Falken in der ganzen Gegend nicht. Naturschützer beobachten schon seit einigen Wochen die halsbrecherischen Flugformationen über Fellbach, mit denen das Männchen ein junges Weibchen beeindrucken will. Es ist Balz-Zeit. Nachwuchs steht ins Haus.

„Der Tower ist das perfekte Gebäude für Wanderfalken“, sagt Vogelkundler Michael Eick. Die Bauruine sei das höchste Gebäude weit und breit, es gebe genügend Tauben, Krähen und andere Vögel in der Umgebung – und Konkurrenz bei der Jagd nach Beute sei weit weg. Mit landesweit gerade einmal 250 Brutpaaren zählt der Wanderfalke nicht gerade zu den häufigen Vögeln. Für Experten kommt die Besiedlung des 107 Meter hohen Rohbaus nicht überraschend. „Wer sich mit der Brutbiologie dieser Art ein wenig auskennt, wusste, dass sie früher oder später hier auftauchen würden“, freut sich der Biologe, der im Naturschutzbund aktiv ist und bis zu seinem Wohnortwechsel im Dezember für die Freien Wähler im Fellbacher Gemeinderat saß.

Momentan bevorzugt das Falkenpaar die 25. und 26. Etage, mit einer gewissen Präferenz für die Balkone der Ostseite. Das Hochhaus ist damit im Moment der vermutlich teuerste Brutplatz der Welt. Baukosten in Höhe von 61,4 Millionen Euro hatte das insolvente Unternehmen der Esslinger Familie Warbanoff einst für den Tower und die Bebauung der Umgebung kalkuliert. Neben den Wohnungen sollte ein Business-Hotel mit voraussichtlich drei Sternen entstehen. Für die Appartements in den Stockwerken 22 bis 34, gedacht für das „obere Preissegment“ wurden Preise von 7800 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. Verkauft allerdings wurden die Wohnungen bekanntlich nicht. Die Anleihe zur Finanzierung in Höhe von 35 Millionen Euro ist aufgebraucht. Und auch geschätzte 13 Millionen Euro aus den nach Baufortschritt gezahlten Raten der Wohnungs-käufer stecken schon im Tower.

Die Kosten für den Fertigbau des Gewa-Towers liegen bei 22 Millionen Euro

Im Vergleich zu diesen Summen sind die etwa 1000 Euro, für die ein spezieller Wanderfalken-Nistkasten zu haben ist, ein Klacks. Laut Turm-Architekt Jürgen Wolf liegen die Kosten für den Fertigbau des Gewa-Towers bei 22 Millionen Euro. Die Vollendung des darunter liegenden Hotels veranschlagt er mit weiteren vier Millionen Euro. Die Verhandlungen mit einem weiteren Investor, der das Projekt übernehmen will, laufen derzeit offenbar auf Hochtouren. Der erste Interessent war im November überraschend abgesprungen.

Obwohl die Nachricht über das nun aufgetauchte Wanderfalken-Brutpaar bei den Investoren auf den ersten Blick wenig Freude auslösen dürfte, wäre der Gewa-Tower mit seinen Falken in bester Gesellschaft. So brüten Wanderfalken am Kölner Dom, an der Hauptfiliale der Deutschen Bank in Frankfurt oder auch am Roten Rathaus in Berlin. „Es gibt genügend Beispiele, bei denen das wunderbar funktioniert. Ich wüsste nicht, warum es in Fellbach nicht auch klappen sollte“, sagt der Ornithologe Eick. Die Anwesenheit der Falken dürfte sich aus seiner Sicht auch positiv aufs städtische Taubenproblem auswirken. Straßentauben zählen nämlich zur beliebtesten Beute und werden regelmäßig vom Wanderfalken gejagt.

Die Falken sind sozusagen im Honeymoon

„Etwas Besseres kann im Moment eigentlich gar nicht passieren“, ist der Vogelkundler des Nabu überzeugt und empfiehlt, eine optimale Brutnische anzubieten. Schließlich seien die beiden Falken sozusagen im „Honeymoon“. Das Männchen mache akrobatische Schauflüge und bringe dem Weibchen frische Beute, um zu beweisen, dass es eine ganze Falkenfamilie ernähren könne. Eick ist überzeugt, dass die Wanderfalken auf jeden Fall im Gewa-Tower brüten werden. Er rechnet mit einer Eiablage Ende Februar oder Anfang März.

Bei einem ersten Ortstermin hat der Insolvenzverwalter des Gewa-Towers, der Rechtsanwalt Ilkin Bananyarli von der Kanzlei Pluta, großes Interesse an einer schnellen Lösung signalisiert. Auf dem Dach des Wohnturms soll ein Brutkasten angebracht werden. Durch die Nistbox ist offenbar auch die Gefahr gebannt, dass die sensible Brutzeit eine Verzögerung für den geplanten Weiterbau des Gewa-Towers bedeuten könnte – so sich ein Investor findet.

Wanderfalken waren in Fellbach zwischenzeitlich so gut wie ausgestorben – umso mehr freuen sich Vogelkundler über das balzende Brutpärchen. Im Gegensatz zum recht häufigen Turmfalken tauchte der Wanderfalke jahrzehntelang ganz oben in der Roten Liste der gefährdeten Arten auf. Dabei ist der Vogel eigentlich genügsam. Nötig sind ein störungsfreier Brutplatz, ausreichend Beute und freier Luftraum zum Jagen – ganz so wie am Gewa-Tower in Fellbach.