Auf dem Werksgelände der Firma Kärcher in Winnenden wartet seit neuestem ein Wanderfalkenkasten auf Mieter. Der Wohnsitz ist sogar mit Kamera ausgestattet und ist auf einem eigens gebauten, 26 Meter hohen Mast befestigt.

Winnenden - Der Natur kann man keine Vorschriften machen“, sagt Werner Fleischmann. Schade eigentlich, denn wenn es nach dem Mann vom Naturschutzbund (Nabu) und den Mitarbeitern der Firma Kärcher ginge, sollten sie am Besten sofort einziehen, die gefiederten Mieter, für die nun auf dem Werksgelände unweit des Winnender Bahnhofs eine tiptop ausgestattete Neubauwohnung bereit steht. Oder besser schwebt – in fast 30 Metern Höhe über dem Boden. Denn die etwa 120 auf 80 Zentimeter große Unterkunft ist als Domizil für Wanderfalken gedacht.

 

Am liebsten brüten diese Greifvögel in luftiger Höhe, so etwa in der 20 Meter hohen Steilwand eines ehemaligen Steinbruchs im nicht weit entfernten Leutenbacher Teilort Weiler zum Stein. Im vergangenen Jahr hat der Nabu Winnenden dort drei Wanderfalkenjunge beringt, auch im Jahr zuvor hat es im Steinbruch Nachwuchs gegeben. „Der Wanderfalke ist in der Gegend“, sagt Werner Fleischmann zuversichtlich. Er habe ihn in früheren Jahren schon in der Nähe des Winnender Bahnhofs und somit unweit des nun installierten Kastens fliegen sehen. Das Nahrungsangebot und die Umgebung seien gut für Wanderfalken geeignet, bestätigt der Vereinskollege William Patrick: „Der Wanderfalke braucht kein offenes Gelände, er frisst ausschließlich Vögel und die findet er überall.“

2014 sind drei junge Falken geschlüpft

Die vor zwei Jahren im Steinbruch geschlüpften Falkenkinder müssten so langsam geschlechtsreif sein und sich ein eigenes Revier suchen, sie wären also potenzielle Bewohner für das neue Nest, vermutet Werner Fleischmann. Allerdings seien die Vögel derzeit bereits mitten in ihrer Balzzeit: „Mit einem Bezug in diesem Jahr klappt es daher wohl nicht mehr.“ Falls aber doch, können die Mitarbeiter der Firma Kärcher live dabei sein, wenn die Eier ausgebrütet und die Jungen großgezogen werden. Denn an der Decke des Falkenkastens ist eine Kamera installiert, welche das Treiben in der guten Stube dokumentiert.

Den Falkenkasten hat die Firma Kärcher als eine von mehreren Ausgleichsmaßnahmen für die Bebauung des Geländes der ehemaligen Ziegelei Pfleiderer installiert. Der 26 Meter hohe Mast, auf dem er thront, ist eine Sonderanfertigung. Alles in allem hat die Firma nach eigenen Angaben 15 000 Euro in das Projekt Wanderfalke investiert. „Ursprünglich war angedacht, den Kasten am alten Kamin der Ziegelei anzubringen, aber es war nicht klar, ob der stehen bleibt“, erzählt Werner Fleischmann. Inzwischen ist zwar sicher, dass der Kamin erhalten bleibt – allerdings hat sich dort mittlerweile ein Turmfalke häuslich eingerichtet.

Das Falkendomizil wiegt rund 350 Kilo

Ohnehin wäre es wohl nicht möglich gewesen, den Wanderfalkenkasten am Kamin zu befestigen, sagt Joachim Schmitt. Hauptberuflich ist er der Leiter der Abteilung Wartung und Instandhaltung, nebenberuflich Falkenpate. Schmitt erzählt, ihm sei erst bei der Bestellung des Unterschlupfs so richtig klar geworden, welche Dimensionen der Kasten habe. Rund 350 Kilogramm bringt das Betongehäuse der Schorndorfer Firma Schwegler auf die Waage, für einen Hund im Jack-Russell-Terrier-Format könnte es problemlos als Hundehütte dienen. Vor dem Einschlupfloch bietet eine 20 Zentimeter breite Terrasse den Jungvögeln Platz, um ihre Muskeln zu trainieren.

Dass es auf einem Industriegelände kracht und scheppert, hält Werner Fleischmann für kein Problem. „Das Gelände ist ideal. Es ist abgeschlossen und es besteht keine Gefahr, dass jemand versucht, Eier zu stehlen, wie es in der Natur manchmal der Fall ist.“ Allerdings, sagt Fleischmann, könnte es auch passieren, dass ein Uhu sich im Wanderfalkenkasten einnistet – die Natur lässt sich halt nichts vorschreiben.

Ein Vogel, der mit Tempo 200 jagt

Eigenschaften
Der Wanderfalke (Falco peregrinus) ist etwas größer als eine Taube, Jungtiere haben ein braunes Federkleid, erwachsene Tiere sind schiefergrau. Der Wanderfalke jagt mit bis zu 200 Stundenkilometern fliegende Vögel, zum Beispiel Tauben und Stare, und brütet in Felswänden oder an hohen Gebäuden. Im Schnitt werden Falken um die zwölf Jahre alt, es sind aber bis zu 20 Jahre alte Falken entdeckt worden.

Brutzeit
Wanderfalken brüten etwa 30 Tage, die Weibchen stülpen dabei ihren Brutfleck, eine kahle Stelle am Bauch, über die Eier. 1971 wurde der Wanderfalke zum ersten „Vogel des Jahres“ gekürt, weil er extrem gefährdet war. Ein Grund dafür waren Umweltgifte und Pestizide wie DDT, die dünnschalige Eier und Vergiftungen verursachten.

Bestand
Derzeit gibt es laut dem Nabu in Baden-Württemberg rund 260 Wanderfalkenpaare, von denen 140 erfolgreich gebrütet haben. In Weiler zum Stein ist erstmals 2008 ein brütendes Paar gesichtet worden. 2014 sind dort drei Falkenkinder geboren, die der Nabu beringt hat.