Immer mehr Strecken werden zertifiziert – der Wanderer erhält damit eine Garantie, dass er einen abwechslungsreichen Weg mit wenig Asphalt vor sich hat.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Bad Urach - Heutzutage kann man fast alles zertifizieren lassen: Krankenhäuser, die Bewirtschaftung von Wäldern, Biokraftstoffe – und auch Wanderwege. Dass der Wasserfallsteig bei Bad Urach nun zum schönsten Wanderweg Deutschlands gewählt worden ist, war zwar nicht vorausberechenbar, ist aber auch alles andere als ein Zufall. Denn Bad Urachs Tourismuschef Torsten Clement hat sechs Jahre lang am örtlichen Wandernetz herumgetüftelt und dann 2013 die touristischen Highlights zu fünf zertifizierten Premiumwegen zusammengebunden.

 

Es ist ein großer Trend: das Wandern auf offiziell als „schön“ abgesegneten Wegen. Dabei konkurrieren in Deutschland zwei Wandersiegel miteinander, die „Premiumwege“ des Deutschen Wanderinstituts in Marburg und der „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ des Deutschen Wanderverbands in Kassel. In Baden-Württemberg sind die Premiumwege verbreiteter: Von ihnen gibt es hier etwa 70, vor allem im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb; das Zeichen „Wanderbares Deutschland“ tragen im Land derzeit 36 Wege.

Nur 15 Prozent des Wegs dürfen asphaltiert sein

Gemeinsam ist beiden, dass bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen, damit die Auszeichnung erteilt wird. Vor allem muss die Strecke abwechslungsreich sein. Und es darf nur ein kleiner Teil auf asphaltierten Wegen verlaufen; beim Premiumweg etwa sind es höchstens 15 Prozent. Auch die Beschilderung muss exzellent sein. Der große Vorteil für die Wanderer: Sie wissen genau, dass sie eine außergewöhnlich schöne Strecke erwartet und dass sie sich kaum verlaufen können. Der Wanderverband, der als Dachorganisation der Berg- und Wandervereine 600 000 Menschen vertritt, unterteilt zudem in acht Qualitätswege für unterschiedliche Bedürfnisse – vom „Kulturwanderer“ bis zum „Familienspaß“.

Und diese zertifizierte Qualität zieht. Trendsetter auf der Schwäbischen Alb war Albstadt, das bereits im Jahr 2010 Premiumwege unter dem Label „Traufgänge“ ausgewiesen hat. Mittlerweile sind es neun, nächstes Jahr soll ein weiterer für Familien folgen. Der Erfolg war so groß und kam selbst für die Macher so überraschend, dass einige Probleme auftauchten: Wegen mangelnder Parkplätze waren überall Feldwege zugeparkt. Und wegen fehlender Toiletten benutzten die Wanderer gerne auch mal die Vorgärten der Einheimischen. Diese Probleme seien gelöst, sagt Kulturamtsleiter Martin Roscher, der Run auf die Wege aber sei geblieben: So sei die Gewerbesteuer, die die Gaststätten in der Nähe der Premiumwege abführen, zwischen 2010 und 2015 um 212 Prozent gestiegen. Albstadt, das bisher eher als Standort der Textilindustrie wahrgenommen worden sei, habe sich bewusst ein zweites Standbein geschaffen: „Wir haben ein tolles positives Image gewonnen.“ Allerdings: die Stadt hat auch mehr als 2,5 Millionen Euro investiert.

Die Premiumwege bringen Gäste

Auch Bad Urach spürt den Aufwind. Die Dauer des Aufenthalts der Gäste ist in der ehemals florierenden Kurstadt weiterhin rückläufig, aber die Zahl der Kurzurlauber habe in den vergangenen fünf Jahren um 35 Prozent zugenommen, sagt Torsten Clement. Das sei auch ein Erfolg der Premiumwege. Der Aufwand ist jedoch enorm. Die Abnahme selbst kostet zwar nicht allzu viel (für einen Zehn-Kilometer-Weg verlangt das Wanderinstitut 1380 Euro, der Wanderverband 890 Euro, bei dem aber verpflichtend eine Schulung für 1800 Euro vorgeschaltet ist). Aber in Urach seien allein 212 Pfeilwegweiser und 904 Markierungen aufgestellt worden – unterm Strich schlug die Ausweisung der fünf Premiumwege mit 200 000 Euro zu Buche.

Bad Urach konnte übrigens nur das Siegel des Wanderinstituts anstreben – denn der Wanderverband hat erst 2014 damit begonnen, sein Zeichen auch für Wanderungen unter 20 Kilometer zu vergeben. Das erklärt teils auch, warum das Wanderinstitut, das übrigens ein Verein ist, bisher mehr Zertifizierungen durchgeführt hat.

Als Konkurrenten begreifen sich Wanderinstitut und Wanderverband nur teilweise. Liane Jordan vom Wanderverband sagt: „Es gibt für beide genügend Aufträge, und das Ziel ist gleich – den Gästen ein schönes Wandererlebnis zu garantieren.“ Das sei ein wenig wie bei Tüv und Dekra.

Beide Siegel gehen auf das gleiche Projekt zurück

Allerdings gingen beide Siegel vor 15 Jahren aus dem gleichen Förderprojekt des Wirtschaftsministeriums hervor – damals hatte man sich also nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. So richtig will aber niemand über die damaligen Meinungsverschiedenheiten sprechen. Klaus Erber, der Vorsitzende des Wanderinstituts, erinnert sich, dass er seine Pläne dem Wanderverband angeboten hatte, aber diese seien der Organisation zu dieser Zeit noch „zu touristisch“ gewesen. „Jetzt haben sie längst nachgezogen“, so Erber.

Der Schwäbische Albverein spricht sich für die Zusammenarbeit mit dem Wanderverband aus; schließlich ist er dort ein wichtiges Mitglied. Aber man verbiete keinem Ortsverein, bei der Ausweisung eines Premiumweges mitzumachen, sagt Hans-Ulrich Rauchfuß, der Präsident des Albvereins und zugleich des Wanderverbands ist. Welches Siegel besser sei, das wolle er gar nicht beurteilen, so Rauchfuß. Ihm seien die Kriterien des Wanderinstituts teils zu wenig transparent. Grundsätzlich räumt er aber ein, dass es für die Touristiker manchmal schwierig sei, sich zwischen den zwei Systemen zu entscheiden. Aber letztlich dienten beide einem Ziel: „Und deshalb bin ich stolz, dass der Wasserfallsteig aus unserem Wandergebiet ausgezeichnet wurde, egal, welche Zertifizierung die Strecke hat.“