In Baden-Württemberg gibt es mehrere Orte mit dem Namen Himmelreich – jener bei Heubach gehört zu den schönsten. Man kann dort auf der Höhe viel über Weihnachten lernen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Heubach - Wie herrlich wäre es, wenn man so leicht ins Himmelreich gelangen könnte: Von Beuren, einem kleinen Ortsteil von Heubach mit idyllischer Kapelle, führt der Weg durch Felder leicht bergan bis auf einen Sattel. Dort steht der Himmel schon groß über dem Wanderer. Oben geht es noch ein paar Minuten durch den Wald, dann tritt man auf eine weite Lichtung: Hier beginnt es, das Himmelreich.

 

Das gleichnamige Naturfreundehaus schmiegt sich an die Bergflanke, weit geht der Blick auf die Kaiserberge im Westen. Die Gaststätte ist im Winter zu, laut dem Vorsitzenden Dietmar Drochner soll es dort die besten Göckele in weitem Umkreis geben, aber es drängt einen sowieso weiter. Immer bergauf, hat man bald den höchsten Punkt des Himmelreiches erklommen, wieder eröffnet sich eine selig machende Aussicht, von dort führt der Weg auf eine stille, einsame Hochwiese. „Himmelreich Nord“ steht auf dem Wanderschild. Ganz weit weg wirkt alles Irdische, gerade jetzt mitten im Winter, da alles so friedlich und in sich ruhend ist.

In Baden-Württemberg gibt es mehrere Orte, die diesen schönen Namen Himmelreich tragen. Die Menschen, die früher mit einer besonderen Gabe für bilderreiche Ortsnamen ausgestattet zu sein schienen, bezeichneten damit meist ein besonders fruchtbares Ackerland in der Höhe, oft war das Himmelreich auch ein ausgesprochen sonniges Rebland. Doch für Heubach dürfte beides nicht zutreffen, denn der steile Bergrücken war vermutlich nie bewirtschaftet.

Seltsamerweise kann in Heubach aber niemand sagen, woher der Name kommt. Dietmar Drochner von den Naturfreunden Himmelreich weiß es nicht. Stadtarchivar Michael Hensle muss ebenfalls passen. Und sogar ein Gang in die Stadtbücherei Heubachs und das Schmökern in den Stadtchroniken, Bildbänden und Wanderführern führen zu keinem Ergebnis.

Der Rosenstein zieht alle Aufmerksamkeit auf sich

Dass alle Historiker das Himmelreich links liegen gelassen haben, ist sehr wahrscheinlich auch darin begründet, dass in Heubach der Gebirgsstock des Rosensteins alle Blicke und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Imposant thront die einst staufische Burgruine Rosenstein auf einer Felskanzel direkt über der Stadt – jeder Regisseur eines Märchenfilms müsste sich eigentlich nach diesem Schauplatz die Finger lecken. Und auf der Ostseite des Bergrückens träumen sich einige Höhlen versteckt im Wald durch die Jahrtausende; unter ihnen ist die Große Scheuer die schönste – so glatt und ebenmäßig sind ihre drei Eingänge, als hätte ein vorzeitlicher Steinmetz sie aus dem Fels herausgemeißelt. Wahrlich, die Gegend um Heubach ist eines der wundervollsten Wandergebiete der gesamten Schwäbischen Alb.

Also bleibt für den Namen Himmelreich doch nur eine Erklärung, also muss die Sage doch wahr sein, dass Jesus selbst für diese Bezeichnung gesorgt hat. So wird es in mehreren Büchern erzählt: Der Heiland habe einmal auf dem Rosenstein mit dem Satan gestritten und ihn schließlich bis ans Ende der Welt in die Teufelsklinge gebannt – dieser Ort, eine schaurig-enge Schlucht, liegt kaum zwei Kilometer vom Himmelreich entfernt. Beim Weggehen habe sich die Ferse Jesu tief in das Gestein des Rosensteins eingedrückt, und die Zehen seien lange Zeit im Himmelreich zu sehen gewesen. Mehrere Kilometer lang wäre also der Fußabdruck Jesu. Im Jahr 1740 aber habe die württembergische Obrigkeit die „Herrgottstritte“ herausgehauen und teilweise gesprengt, um der Abergläubigkeit der Menschen entgegenzuwirken. Wie befremdlich: Kann es überhaupt einen natürlicheren Ausdruck von Gläubigkeit geben als diesen?

Am Ende der Wanderung, schon wieder in Beuren, begegnet der Wanderer einer alten Bäuerin, die gerade, mit unübersehbaren Kuhmistspritzern auf dem Kittel, aus dem Stall kommt. So nah wohnt sie am Himmelreich, aber davon merke sie nicht viel, erzählt die Frau: „Außer dass im Sommer Scharen von Wanderern und Mountainbikern hinaufpilgern.“

Seit 55 Jahren wohnt sie bereits in diesem kleinen Seitental in Beuren, wo die Straße endet und die Natur beginnt. Und dann kommt die freundliche Frau doch ins Schwärmen über die Schönheit von Rosenstein und Scheuelberg und Himmelreich. Seit ihr Mann gestorben ist, läutet sie zum Lob Gottes zweimal am Tag die Glocke der Wendelin-Kapelle, immer zur Mittagszeit, jetzt im Winter zudem um 18 Uhr, im Sommer um 20 Uhr.

An Weihnachten gibt uns Gott ein Versprechen

Die schmutzige Jacke der Frau erinnert an diesen dunklen Wintertagen vor Weihnachten schnell daran, dass auch Jesus in einem Stall zur Welt kam und dass dieser Schober kaum etwas mit den blitzblank geputzten Krippen zu tun hatte, die jetzt wieder unter die Weihnachtsbäume gestellt werden. Die Ställe vor 2000 Jahren waren vermutlich elendige, schmutzige Orte, aber genau das sei der Kern der Weihnachtsbotschaft, sagt Uwe Scharfenecker, Theologe und Domkapitular der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart: Gott habe sich erniedrigt, sei in Kot und Kälte geboren, um die Menschen heimzuführen ins Reich Gottes. Weihnachten, das sei die Verheißung auf das Himmelreich: „Gott gibt uns damit das Versprechen, dass unsere Hoffnung auf Vollendung am Ende des Lebens nicht vergebens ist“, sagt Uwe Scharfenecker.

Ach, wenn das wahr sein dürfte. Aber immer wenn es in der Bibel um das Himmelreich gehe, betont Scharfenecker, dann erinnere uns Jesus genau daran: dass wir Menschen nicht so kleingläubig sein sollen. „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“, spricht Jesus im Matthäus-Evangelium. Der Verstand habe seine Berechtigung, hebt der Domkapitular hervor, aber es gebe vieles, was darüber hinausreiche – man brauche die gutgläubige Naivität der Kinder, um diese Welt jenseits der Ratio zu sehen.

Dann wird Uwe Scharfenecker wieder konkreter und erinnert noch daran, dass das Himmelreich kein fernes Ziel für das Ende der Zeiten sei, sondern immer dann schon ein wenig auf Erden entstehe, wenn Menschen sich, wie Jesus es getan hat, anderen Menschen zuwenden, wenn sie ihnen helfen und sich solidarisch zeigen. Zugegeben, dieses Himmelreich ist zutiefst unvollkommen, der Teufel muss manchmal doch aus seiner Klinge entkommen können. Aber dennoch, dieses menschliche Himmelreich ist besser als keines.

Fast vollkommen, das sind eben nur die Göckele im Biergarten des Naturfreundehauses Himmelreich.