Beim zweiten bundesweiten Warntag im Dezember könnte es im Kreis Esslingen ruhig bleiben. Denn es gibt kaum noch Sirenen, die im Katastrophenfall die Bevölkerung warnen könnten. Warum man am 8. Dezember sein Handy nicht ausschalten sollte.

Deutschland, betont die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), müsse sich für die Zukunft besser für Krisenlagen wie Wetterextreme, Großbrände oder Hochwasser wappnen. Dazu gehöre vor allem, die Bevölkerung bei Gefahren schnell und zielgerichtet zu warnen. Am 8. Dezember wird es deshalb erneut einen bundesweiten Warntag geben, um die verschiedenen Informationskanäle auf ihre Funktion und mögliche Schwachstellen zu überprüfen. Unter anderem werden um 11 Uhr die Sirenen ertönen – eine Minute lang mit einem auf- und wieder abschwellenden Heulton.

 

Anlagen galten als überflüssig

Auch der Landkreis Esslingen beteiligt sich nach Angaben des Landratsamtes am Warntag. Dennoch könnte es im Kreisgebiet eher ruhig bleiben. Was daran liegt, dass es hier kaum noch Sirenen gibt. Die einst in Zeiten des Kalten Krieges flächendeckend installierten Zivilschutzanlagen sind seit der Deutschen Einheit fast vollständig demontiert worden – man hielt sie politisch und kommunikationstechnisch für überflüssig. Laut dem baden-württembergischen Innenministerium wurden im Kreis Esslingen bis zum Jahr 2002 ganze 187 Sirenen abgebaut, übrig geblieben waren noch 95 Anlagen. Und deren Anzahl reduzierte sich weiter: auf 43 im Jahr 2015 und 32 im Jahr 2020. Über die Technik verfügen demnach nur noch 17 von 44 Kreiskommunen. Wie viele Sirenen zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich betriebsbereit sind, ist unklar. „Momentan läuft eine Erhebung der aktuellen Daten“, sagt Andrea Wangner, die Sprecherin der Esslinger Kreisverwaltung.

Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer des vergangenen Jahres hat zu einem Umdenken geführt. Bund und Länder sprachen sich in der Folge für den Ausbau des Zivilschutz-Sirenennetzes aus. Mit knapp 90 Millionen wurde die Anschaffung von neuen Sirenen sowie von moderner Steuerungstechnik zur Wiederinbetriebnahme noch vorhandener Anlagen vom Bund gefördert, aus diesem Topf erhielt Baden-Württemberg Anfang des Jahres rund 11,2 Millionen Euro. Viel zu wenig: Laut dem Innenministerium haben die Städte und Gemeinden im Land insgesamt 571 Anträge auf Förderung im Volumen von rund 37 Millionen Euro gestellt.

Geld aus Fördertopf reicht bei weitem nicht

Allein aus dem Landkreis Esslingen wurden demnach 24 Anträge beim zuständigen Regierungspräsidium Stuttgart eingereicht, gerade mal eine Handvoll davon konnte die Behörde bei der Mittelverteilung berücksichtigen: Zuschüsse erhielten Filderstadt, Altbach, Wernau, Bissingen und Kohlberg. Zum Vergleich: Im Kreis Ludwigsburg erhielten 16 Kommunen (32 Anträge) Fördergelder, ebenso viele profitierten im Rems-Murr-Kreis (31 Anträge) vom Sonderprogramm. Der Kreis Böblingen wollte zunächst erst mal ein Ausbau-Konzept ausarbeiten. Und auch die Landeshauptstadt Stuttgart verzichtete „mangels Planungsreife“ auf eine   Antragstellung.

Vor diesem Hintergrund, räumt man in den Innenministerien von Bund und Land ein, genüge es nicht, allein auf Sirenen zu setzen. Vielmehr sei ein „Warnmix“ erforderlich, um möglichst viele Menschen über verschiedene Kanäle zu erreichen, etwa über Radio, Fernsehen und Smartphone. Das soll in diesem Jahr besser funktionieren als 2020 – beim ersten bundesweiten Warntag war einiges schief gelaufen. Unter anderem gingen Meldungen über Warn-Apps mit reichlich Verspätung raus. Wäre es tatsächlich ein Ernstfall gewesen, hätten viele Bürger davon wohl nicht rechtzeitig etwas mitbekommen. Zudem blieben mancherorts die Sirenen stumm. Denn viele von ihnen waren technisch nicht in der Lage, die Signale für die Bevölkerungswarnung zu empfangen.

Bevölkerung sensibilisieren

Im Kreis Esslingen, erläutert Andrea Wangner, seien die Sirenen bisher noch nicht an das vorhandene Modulare Warnsystem (Mowas) angeschlossen. „Sie müssen entweder durch die Kommune oder, sofern technisch möglich, durch die Integrierte Leitstelle Esslingen (ILSE) ausgelöst werden.“ Ob die Kommunen ihre Sirenen heulen lassen oder nicht, entscheiden sie selbst – die Teilnahme am bundesweiten Warntag ist freiwillig. Nach den Worten von Andrea Wangner erhofft sich das Amt für Katastrophenschutz und Feuerlöschwesen im Esslinger Landratsamt vom Warntag zwei Dinge: „Zum einen die Sensibilisierung der Bevölkerung und der Kommunen für die Warnung der Bevölkerung, zum anderen einen guten und erkenntnisreichen Test des Warnsystems.“

Beim diesjährigen Testlauf kommt nämlich etwas Neues dazu: Erstmals soll die Warnung via Cell Broadcast getestet werden. Bei diesem System muss man keine Warn-App auf dem Smartphone haben, um benachrichtigt zu werden. Ein eingeschaltetes Gerät im Mobilfunknetz genügt. Die Testmeldung wird, zentral vom Bund gesteuert, deutschlandweit verschickt.

Cell Broadcast

Technik
Cell Broadcast existiert seit Ende der 1990er-Jahre und wird in Ländern wie den Niederlanden, den USA oder in Japan bereits zur Bevölkerungswarnung genutzt. Bei Cell Broadcast erhalten Nutzer von Mobilfunkgeräten, die sich zu einer bestimmten Zeit im Bereich einer Funkzelle aufhalten, eine Textnachricht. Bilder oder Karten werden nicht übertragen.

Voraussetzung
Die Warnmeldung erhält man nur, wenn das Smartphone eingeschaltet und die Funktion Notfallbenachrichtigungen aktiviert ist. Es kann sein, dass einige SIM-Karten oder Mobilfunkmasten die neue Technik noch nicht unterstützen. Der Service wird anonym betrieben, man muss sich nirgendwo dafür registrieren oder persönliche Daten angeben.

Perspektive
 Cell Broadcast befindet sich noch in der Testphase. Der Warnkanal wird voraussichtlich Ende Februar 2023 offiziell freigeschaltet.