Bauen, in Schuss halten, das Erreichte bewahren: Das steht im neuen Jahr in Bietigheim-Bissingen an. Das gilt auch im übertragenen Sinn: Oberbürgermeister Jürgen Kessing mahnt an, Verrohung im gegenseitigen Umgang nicht zu akzeptieren.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Ich will Immobilien und kein Tom Ford“, rappt das populäre Bietigheimer HipHop-Gewächs Rin. Damit steht Rin – der mit seinem Bietigheim-Bissinger Kollegen Bausa am 26. Juni 2020 beim Viadukt zum großen Hip-Hop-Event auflaufen wird – nicht alleine da: Immobilien wollen viele. Wenn schon nicht eine eigene besitzen, dann zumindest in bezahlbaren vier Wänden wohnen.

 

„Deshalb stecken Stadt und Bietigheimer Wohnbau nächstes Jahr Millionen Euro in den dringend benötigten Wohnungsbau“, sagt der Bietigheim-Bissinger Oberbürgermeister Jürgen Kessing (SPD). Unter anderem soll es nun nach massiven Verzögerungen im Neubaugebiet Lothar-Späth-Carré entlang der B 27 vorangehen. Auch für erste Abbruch- und Erschließungsarbeiten im Bogenviertel, dem neuen Wohn- und Gewerbegebiet auf dem Areal des Bodenbelagherstellers DLW, sind zwei Millionen Euro eingeplant.

„Das Thema Kitas wird uns noch richtig beschäftigen“

Die Stadt hat in dem Jahr, in dem sich Kessing um eine dritte Amtsperiode als Oberbürgermeister bewirbt, auch außer dem Wohnbau vieles vor. Vor allem für den Nachwuchs. Fast neun Millionen Euro steckt Bietigheim-Bissingen in den Ausbau von Kindertageseinrichtungen, zwei Neubauten inklusive. „Und damit geht es beim Thema Kitas erst richtig los, das wird uns noch richtig beschäftigen“, sagt der Verwaltungschef.

Knapp fünf Millionen Euro fließen in den Schulbau, knapp 15 Millionen Euro in Ausbau und Erneuerung von Strom-, Wasser-, Gas-, Fernwärme- und Abwasserversorgung sowie in die Bäder und die Eishalle. Weitere 15 Millionen gibt die Stadt dafür aus, Straßen, Grünanlagen, Bauwerke, Bushaltestellen und Radwege in Schuss zu halten oder auszubauen. Summa summarum investieren die Stadt und ihre Tochtergesellschaften knapp 69 Millionen Euro.

2025 soll die Elektrobus-Revolution kommen

Auch drei Millionen Euro für Hybridbusse im Stadtlinienverkehr sind dabei. Die etwas größere Busflotten-Revolution komme 2025, so Kessing. Dann sollen in der Stadt nur noch Elektrobusse unterwegs sein. Andere Vorstöße in Sachen Umwelt- und Klimaschutz fielen im Gemeinderat zuletzt durch: Die Stelle eines Klimaschutzmanagers, wie von der SPD beantragt, wird in Bietigheim-Bissingen nicht geschaffen.

Dafür fand sich bei der Verabschiedung des Haushalts ebenso wenig eine Mehrheit wie für den Antrag der Grün-Alternativen Liste, das für eine Stadt in dieser Größenordnung luxuriöse kostenlose Parken rund um die Altstadt abzuschaffen und durch eine Parkraumbewirtschaftung Anreize zum Umsteigen auf den Öffentlichen Nahverkehr zu setzen.

Die heilige Kuh wird nicht geschlachtet

Doch diese heilige Kuh wird in Bietigheim-Bissingen vorerst nicht geschlachtet – während in Ludwigsburg Autofahrer selbstverständlich fürs Parken zahlen und dafür nach aktuellem Beschluss des Gemeinderates künftig sogar tiefer in die Tasche greifen müssen. Zugestimmt hat der Bietigheim-Bissinger Gemeinderat aber der Einführung eines Drei-Euro-Bus-Tickets.

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Auch wenn die Stadt weniger Steuern einnimmt als erwartet und im Haushalt 2020 deshalb beim ordentlichen Ergebnis ein negativer Saldo in Höhe von knapp Euro steht: „Wir haben seit vielen Jahren einen ausgeglichenen Haushalt, der uns viele Spielräume lässt, und wenn wir sie klug nutzen, werden wir auch die Herausforderungen der Zukunft gut meistern“, sagt Jürgen Kessing. Das will die Stadt auch schaffen, indem sie als Gewerbestandort konkurrenzlos günstig bleibt und ihre niedrigen Gewerbe- und Grundsteuer-Hebesätze nicht antastet.

So sorgt sich Kessing aktuell auch weniger wegen der Lage seiner Stadt als wegen eines gesellschaftlichen Phänomens: dass Respekt, Toleranz und Achtung zunehmend flöten gehen, „nicht nur in sozialen Medien, sondern auch auf unseren Straßen“. Es seien immer mehr Menschen unterwegs, „die glauben, über ihre Mitmenschen nach Belieben herziehen zu können“. Es gelte dagegenzuhalten. „Wir sollten dem Verfall eines guten Miteinanders im öffentlichen Raum nicht tatenlos zusehen.“

Mainstream können auch andere

Dafür kann auch Kultur die Sinne schärfen. Die Stadt investiert dank ihrer guten finanziellen Lage auch in diesem Bereich ausgiebig. 2020 zieht sie sich als Veranstalterin aber ein bisschen zurück – jedoch nur in Sparten, in denen andere ebenfalls erfolgreich mitmischen, „etwa im Segment Mainstream-Comedians“, wie Kulturamts-Chef Stefan Benning sagt. Sämtliche Konzert-, Theater- und andere Abos sollen aber beibehalten werden, auch wenn es leichte Besucher- und Abonnenten-Rückgänge gibt – mit Ausnahme der Kleinkunst-Abos, bei denen die Stadt sogar Wartelisten führt.

Benning findet: Zum Bildungsauftrag gehört es, auch Gastspiele und Konzerte anzubieten, bei denen die Säle nicht automatisch voll sind. „Außerdem wollen wir immer mindestens ein Abitur-Sternchenthema als Theaterstück in die Stadt holen. Es ist für junge Leute einfach wichtig, dass sie die Möglichkeit haben, die Dinge nicht nur im Reclam-Heft zu lesen.“

Mit den „Neuen“ Neues anpacken

Drei statt vier große Ausstellungen gibt es 2020 in der Galerie – „nicht weil wir sparen wollen, sondern weil die Auf- und Abbauphasen immer extrem knapp waren und die Ausstellungen mittlerweile pädagogisch vielfältiger begleitet werden müssen“, so Benning. Außerdem stehen zwei Schauen im Stadtmuseum an. Mit dessen neuer „aufgeschlossener und umtriebiger“ Leiterin Catharina Raible sei es bestens angelaufen, sagt Benning. Das erwartete man sich auch vom neuen Stadtarchivar Christoph Florian, der von seinem Background her bestens zum Spätmittelalter- und Renaissance-Erbe der Stadt passe.

An großen Open-Air-Veranstaltungen gibt es 2020 unter anderem eine Neuauflage des „Wunderlandes“, bei dem im Juli die ganze Altstadt bei Musik und Kleinkunst pulsieren soll. Und dann wäre da noch „Live am Viadukt“, wo Wincent Weiss am 25. Juni den Auftakt macht – und am 26. Juni dann Rin und Bausa auf der Bühne stehen. Dass es „endlich gelungen ist, unsere local heroes der Rapper-Szene zusammen auf die Bühne zu kriegen“, findet der auch der Kulturamtsleiter super: „Fehlt eigentlich nur noch Shindy.“