Wegovy wird mit Fertigpens unter die Haut gespritzt. Foto: dpa/Rolf Vennenbernd
Michael Knaup und Alexandra Müller (Namen geändert) haben Dutzende Diäten hinter sich. Nichts half auf Dauer. Vor einigen Monaten haben sie Therapien mit der Abnehmspritze Wegovy begonnen – und berichten von ihren Erfahrungen.
Kann ich mir ein Stück Kuchen gönnen? Hole ich mir auf dem Heimweg einen Burger? Und was gibt’s zum Abendessen? Jahrzehntelang kreisen die Gedanken von Michael Knaup (Name geändert) hauptsächlich um eins: ums Essen. Er ist ein stattlicher Mann, über 1,90 groß, breite Schultern – mit Bauch. 145 Kilo bringt er in Spitzenzeiten auf die Waage: „Zu wenig, um eine Magen-OP von der Kasse zu bekommen, aber genug, um Männerbrüste zu haben und sich im Freibad unwohl zu fühlen“, sagt der 41-Jährige aus dem Kreis Esslingen.
Ihm ist klar, er muss was tun: „Meine Mutter ist auch übergewichtig. Ich kenne die Folgen, von Bluthochdruck über Knorpelschäden bis Diabetes.“ Also versucht er sich an fast jeder Diät, nimmt an zig Ernährungsprogrammen teil, trainiert in Fitnessclubs: „Als Dicker in Bewegung zu kommen, ist eine Herausforderung.“ Auch seine Firma, in der er in leitender Funktion arbeitet, unterstützt ihn. Doch nichts hilft. Seit Januar ist er im Adipositaszentrum des Klinikums Stuttgart in Behandlung und spritzt sich jede Woche eine Dosis der Abnehmspritze Wegovy, die in Deutschland seit einem Jahr zugelassen ist: „Ich bin begeistert“, sagt Knaup.
Das Abnehmmittel Wegovy gibt es in unterschiedlichen Dosierungen. Foto: dpa/Steffen Trumpf
Elf Kilo hat er bereits abgenommen. Die beste Erfahrung für ihn: „Die Fressattacken sind endlich weg.“ Inzwischen schmiere er sich nur noch ein Brötchen zum Frühstück statt wie früher drei oder vier. Hunger? Kennt er nicht mehr. Und Nebenwirkungen? „Am Anfang zieht es ab und zu im Bauch“, erzählt Knaup. Und manchmal hatte er Sodbrennen.
Mit Wegovy kaum noch Hungergefühle
Alexandra Müller (Name geändert) war ebenfalls Patientin im Adipositaszentrum des Klinikums Stuttgarts und bleibt wie Knaup lieber anonym. Der Grund: Nicht durch eigene Disziplin abzunehmen, sondern mit Medikamenten nachzuhelfen, sei verpönt, ist sich die 33-Jährige sicher – obwohl es in den Medien und sozialen Netzwerken einen Hype um Spritzen wie Wegovy, Ozempic, Mounjaro und Co. gibt.
Übergewicht betrifft in ihrer Familie viele. Sie selbst kämpft seit der Kindheit dagegen. Sprüche wie „Iss eben weniger“ und „Mach mehr Sport“ kann sie nicht mehr hören. Zunächst bringt ihr Wegovy einen Wow-Effekt: „Zum ersten Mal nicht ans Essen zu denken war wunderschön, eine Erleichterung.“ Die Pfunde purzeln: „Mein Startgewicht war 103 Kilo bei einer Größe von 1,70 Metern. Nach drei, vier Wochen wog ich fünf Kilo weniger. Toll!“ Gleichzeitig beginnen die Probleme. „Mir war ständig übel. Ich hatte dauernd Sodbrennen, Bauchkrämpfe, Durchfall“, klagt die Stuttgarterin. Von den Ärzten heißt es, das lege sich. Doch es kommt keine Besserung. Die Folge: Sie fühlt sich hundeelend, ist schwer eingeschränkt, auch beruflich: „Ich bin nicht mehr raus gegangen, war nicht mehr gesellschaftsfähig.“
Wegovy-Therapie kostet bis zu 300 Euro im Monat
Alexandra Müller bricht die Behandlung ab: „Ich hatte zu viele Nebenwirkungen. Das war’s mir nicht wert.“ Zumal die Spritzen, je nach Dosis, bis zu 300 Euro pro Monat kosten. Bisher müssen Patienten in Deutschland die Therapie in den allermeisten Fällen selbst zahlen. Ob das so bleibt? In der Medizin und Politik mehren sich Stimmen, die für eine Erstattung plädieren. Doch die Krankenkassen fürchten eine Kostenexplosion. Adipositas gilt als Volkskrankheit: Etwa ein Viertel der Deutschen sind betroffen, Tendenz steigend. Tobias Meile, Leiter des Adipositaszentrums im Klinikum, geht allerdings davon aus, dass die Preise künftig sinken: „Es kommen weitere Wirkstoffe und Hersteller auf den Markt.“
Nach dem Absetzen des Medikaments, das mittlerweile auch im Verdacht steht, in sehr seltenen Fällen Augenkrankheiten auszulösen, kommt bei Alexandra Müller der Jo-Jo-Effekt: „Mein Gewicht schnellte hoch. Das war bitter.“ Tobias Meile kennt diese Problematik. Zwar hält er die Spritzen für „eine gute Hilfe“: „Sie erweitern das Spektrum an Therapien.“ Doch um Wundermittel handle es sich nicht. Die Krux laut Meile: „Adipositas ist eine vielschichtige chronische Erkrankung. Sie geht nie wieder weg.“
Führen zu verringerter Nahrungsaufnahme und Gewichtsverlust
Wegovy & Co. muss man lebenslang nehmen
Wegovy nur ein paar Monate spritzen? Zum Einstieg? So plant es Michael Knaup. Doch Alexandra Müllers Erfahrung zeigt: Bei den meisten funktioniert das nicht. „Man muss die Mittel lebenslang nehmen“, bestätigt der Chirurg und Ernährungsmediziner Meile. Ob Spritze oder andere Methoden: Die Rückfallquote sei hoch. Therapien müssten mit einer Änderung des Lebensstils einhergehen. Das koste Kraft und fordere Geduld, sagt Alexandra Müller.
Dem Medikament wiederum müsse man „teils nachrennen“: „Apotheken haben die Spritzen nicht immer vorrätig.“ Verantwortlich für den Engpass ist der weltweit gestiegene Bedarf am Wegovy-Wirkstoff Semaglutid. Ursprünglich war er für die Therapie von Diabetes gedacht und wird dort auch weiter eingesetzt, etwa unter dem Namen Ozempic.
Doch wie wirkt Semaglutid eigentlich? Vereinfacht gesagt trickst das Medikament den Körper aus. Es ahmt das Darmhormon GLP-1 nach und fördert die Insulinproduktion. „Dem Gehirn wird mitgeteilt, dass gegessen wurde und eine Sättigung einsetzen kann“, erklärt Meile – obwohl man keine oder wenig Nahrung zu sich genommen hat.
Semaglutid verlangsamt zudem den Transport von Nahrung durch Magen und Darm. Als Folge ist man schneller und länger satt, was aber zu Nebenwirkungen wie Völlegefühl führen kann. Deshalb beginnt man die Behandlung, die laut Meile stets ärztlich begleitet sein sollte, mit niedriger Dosis.
Bewusstes Essen und Bewegung sind essenziell
Auf lange Sicht geht Meile davon aus, dass die Mittel eher für Kombinationstherapien eingesetzt werden, also Spritze plus konservative Behandlungsformen. Man müsse zudem Langzeitergebnisse abwarten: „Wer weiß, wie der Körper nach fünf Jahren auf die Wirkstoffe reagiert. Vielleicht gar nicht mehr, weil er sich daran gewöhnt hat.“
Alexandra Müller versucht es nun wieder mit bewussterem Essen, „ohne Crash-Diät, aber auch ohne Verzicht“, dazu viel Sport. Das Ergebnis: sechs Kilo weniger. Letztlich komme es ohnehin „auf das Mindset“ an: „Man muss sein Verhalten ändern.“ Michael Knaup stimmt zu, bleibt aber vorerst bei Wegovy. Beide sehen sich auf unterschiedlichem, aber auf einem guten Weg.
Wegovy oder Mounjaro: Was wirkt besser?
Zulassung Wegovy, das den Appetit zügelt und das Sättigungsgefühl steigert, ist seit Mitte Juni 2023 in Deutschland zur Behandlung von Adipositas zugelassen. Die Kosten: 170 bis 300 Euro pro Monat – je nach Dosierung. Die Fertigpens sind verschreibungspflichtig, werden von den Kassen aber in aller Regel nicht erstattet.
Wirkstoff Der Wirkstoff Semaglutid, der als Ozempic in geringerer Dosierung für die Diabetes-Therapie im Einsatz ist, wird einmal die Woche unter die Haut gespritzt. Hergestellt werden Wegovy und Ozempic vom dänischen Unternehmen Novo Nordisk. Mittlerweile haben andere Pharmafirmen nachgezogen. Es werden weitere Mittel folgen, auch in Tablettenform.
Nebenwirkung Eines dieser Mittel ist Mounjaro mit dem Wirkstoff Tirzepatid. Laut einer Studie lässt sich damit mehr Gewicht verlieren als mit Semaglutid. Bei beiden Substanzen sei das Risiko für Nebenwirkungen wie Übelkeit, Völlegefühl und Durchfall in etwa vergleichbar.