Elisabeth Kolofon, die Inklusionsbeauftragte der Leonberger Lebenshilfe, und Vanessa Speidel haben im Dialog herausgefunden, was ihnen beiden im Leben wichtig ist.
Leonberg - „Ein mir fast schon heiliges Ritual ist das Überfliegen der Tageszeitung bei einer Tasse Kaffee am frühen Morgen, bevor mich der Alltag in Beschlag nimmt und fordert“, sagt Elisabeth Kolofon, die Inklusionsbeauftragte der Leonberger Lebenshilfe. Und weiter führt sie aus: „In den letzten Tagen hat mir die Serie „Was mir heilig ist“ besonders gut gefallen. Es interessiert mich, was den darin porträtierten Menschen wichtig in ihrem Leben ist und wofür sie brennen. Und es hat mich zum Nachdenken angeregt: Was liegt mir am Herzen?
Durch meine Arbeit bei der Lebenshilfe und weil ich Mutter zweier behinderter Kinder bin, dreht sich mein Leben praktisch mehr oder weniger ständig um das Thema Behinderung. Ich erlebe jeden Tag, dass Behinderung einschränken kann, aber auch, dass eine Behinderung nichts an dem ändert, was den Menschen ausmacht. Jeder, egal ob behindert oder nicht, hat Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse, findet etwas toll oder nicht so toll, findet manches ganz wichtig und hat kein Interesse an anderem. Und deshalb, so mein Gedanke, sollte bei der Reihe „Was mir heilig ist“ auch ein Mensch mit Behinderung sagen dürfen, was ihm wichtig ist.
Junge Frau mit Downsyndrom
Vanessa Speidel, eine junge Frau mit Downsyndrom, hat sich bereit erklärt, mir einige Fragen dazu zu beantworten. Mit der Frage „Was ist dir heilig?“ könnte Vanessa nichts anfangen. Durch ihre Chromosomenstörung ist sie das, was man im Allgemeinen „geistig behindert“ nennt. Es ist also wichtig, die Fragen so zu stellen, dass Vanessa auch versteht, was gemeint ist, und genauso wichtig ist es, ihre Antworten so zusammenzufassen, dass ihr dabei nichts in den Mund gelegt wird, was sie nicht ausdrücken wollte. Ich versuche mein Bestes!
Musizieren vor dem Gespräch
Und deshalb beschließen wir, dass wir zuerst einmal zusammen ein bisschen Musik machen, bevor wir mit dem Gespräch anfangen. Wir spielen miteinander Weihnachtslieder, nutzen alle Instrumente, die sie hat und haben viel Spaß dabei. Vanessa ist in ihrem Element. Beste Bedingungen also, um in lockerer Atmosphäre mit dem Gespräch zu beginnen, wobei es dieses Aufwärmen sicher nicht gebraucht hätte, da Vanessa ein überaus offener und freundlicher Mensch ist.
Auch diese Situation macht uns Spaß, ich sitze mit Block und Bleistift da, frage sie, wo sie arbeitet, was sie gerne macht, was sie nicht mag, was sie ganz toll findet. Alles, was ein neugieriger Mensch halt so fragt, und sie antwortet konzentriert und geduldig.
Vanessa erzählt, dass sie in Höfingen in der Werkstatt arbeitet, dass es ihr dort sehr gut gefällt. Sie geht gerne zur Arbeit, weil sie dort viele nette Menschen trifft und auch ihre zwei besten Freunde, Peter und Bettina dort arbeiten.
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Auf die Frage, was sie in ihrer Freizeit gerne macht, kommt wie aus der Pistole geschossen, „Musik machen natürlich und Musik hören! Und Tanzen und meine Freunde treffen und zum Sport gehen!“ Vanessa sprüht vor Begeisterung, sagt aber gleich traurig, „aber das geht ja nicht mehr wegen diesem blöden Corona“.
Ich frage nach und Vanessa erzählt, dass sie vieles wegen Corona nicht machen konnte, so zum Beispiel mit ihrer Werkstattgruppe auf eine Freizeit gehen, und darüber, dass die große Hochzeitsfeier ihrer Schwester ausfallen musste. Vanessa zählt vieles auf. Sie leidet darunter, dass sie nicht mehr so viele Menschen trifft, und auch darunter, dass keine Feste stattfinden. Sie geht gerne auf Feste und mag Familienfeiern. Corona nervt sie richtig! Um nicht bei diesem Thema zu verharren, frage ich sie, was denn in diesem Jahr besonders schön für sie war.
Hochzeit in kleinem Rahmen
Ihre Augen glänzen und sie erzählt von der Hochzeit ihrer großen Schwester. Die Hochzeit konnte nur in kleinem Rahmen gefeiert werden, aber sie war trotzdem sehr schön, und ihre Schwester hat wie eine Prinzessin ausgesehen, sagt Vanessa. Und dann grinst sie spitzbübisch und sagt „Und ich habe einen Glitzeranzug angehabt. Von oben bis und unten Glitzer!“. Sie zeigt mir ein Bild, und ich muss ihr beipflichten, es ist wirklich ein toller Glitzeranzug, und Vanessa sieht sehr hübsch aus.
Überhaupt spielt die Schwester eine wichtige Rolle in Vanessas Leben. Sie sagt das zwar nicht mit Worten, aber ich sehe an der Art, wie sie von ihr spricht, dass sie sie sehr mag und an ihr hängt. Auch von den Besuchen bei der Oma, die ganz in der Nähe wohnt, und von den Urlauben in Südtirol mit ihren Eltern erzählt Vanessa begeistert.
Einsamkeit und Streit machen traurig
Was magst du denn überhaupt nicht, frage ich Vanessa und bin wieder verblüfft, wie direkt sich ihre Gefühle in ihrem Gesicht widerspiegeln. „Alleine sein, und wenn andere sich streiten“, sagt sie und lässt den Kopf traurig hängen.
Nach unserem halbstündigen Gespräch machen wir noch einmal zusammen Musik. Dieses Hobby verbindet uns, und dann verabschiede ich mich von ihr. „Stopp, Abstand halten“ ruft sie laut, als ich ihr dabei ein bisschen zu nahe komme. Die Corona-Regeln sind auch ihr in Fleisch und Blut übergegangen – und so halten wir notgedrungen Abstand zueinander, obwohl ich sie gerne zum Dank umarmt hätte.
Wenn ich gefragt würde, was dieser jungen Frau in ihrem Leben wichtig ist, dann würde ich es so zusammenfassen: Familie, Freunde, Musik, Arbeit und dass sie nicht alleine ist. Ganz normal, oder nicht? Wenn Sie das auch so sehen, dann wissen Sie auch, welche Botschaft mir am Herzen liegt.“