Der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher geht jetzt beim Streamingdienst RTL + in Serie: In „Faking Hitler“ spielt Moritz Bleibtreu den Kunstfälscher Konrad Kujau, Lars Eidinger gibt den „Stern“-Reporter. Braucht es diese Verfilmung?

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Stuttgart - „Hey, hey, hey, ich bin der goldene Reiter“, säuselt Joachim Witt im Autoradio, das natürlich einen Drehknopf hat. Dann liest der Nachrichtensprecher eine Eilmeldung vor: „Die vom Magazin ,Stern‘ veröffentlichten Hitler-Tagebücher sind nach Angaben des Bundeskriminalamts gefälscht. Im Papier wurden optische Aufheller verwendet, die erst nach 1955 in der Papierproduktion eingesetzt wurden.“

 

Es ist der 6. Mai 1983: Der Reporter Gerd Heidemann gibt Gas. Schnitt, anderes Auto: Konrad Kujau hört mit seiner Frau und seiner Geliebten dieselbe Meldung und echauffiert sich, wie sehr er sich doch Mühe gegeben habe, in so kurzer Zeit so viel zu schreiben.

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Es ist ein starker Anfang, der gleich das Ende der Miniserie „Faking Hitler“ erzählt – das natürlich alle kennen. Die Älteren erinnern sich an den großen Medienskandal: Das Magazin „Stern“ veröffentlicht die Hitler-Tagebücher. Doch aus der Sensation wird die große Blamage, als sich herausstellt, dass die Tagebücher gefälscht sind. Dem Kunstfälscher Konrad Kujau ist der Coup gelungen, seine Hitler-Tagebücher für viele Millionen D-Mark an das Magazin zu verkaufen. Er erfand Sätze wie jene: „Gesundheitlich war ich im Monat September einige Male am Ende, finde immer noch keinen Schlaf und habe wenig Appetit. Mit E. musste ich wieder einige ernste Worte reden. Sie hat in ihren jungen Jahren keine Ahnung, was es für ein Kampf ist, Kanzler des Reiches zu sein. E. hält mir auch vor, ich würde zu wenig an mich denken, die anderen machten sich ein schönes Leben.“

Braucht es da nun wirklich eine Serie darüber?

Hach, diese Posse der Journalismusgeschichte ist guter Stoff. Helmut Dietl hat sie in„Schtonk“ (1992) verarbeitet – heraus kam eine Legende des deutschen Films. Dann gab es den Podcast „Faking Hitler“, der vor allem durch die Originaltelefonate zwischen Reporter Heidemann und Konrad Kujau bestach. Es ist völlig legitim zu fragen: Braucht es da nun wirklich eine Serie darüber?

Dass die Miniserie für den Streamingdienst RTL + dennoch gelungen ist, liegt vor allem an der herausragenden Besetzung: Die beiden Hauptdarsteller Lars Eidinger und Moritz Bleibtreu sind ein konträres, kongeniales Duo. Der Reporter Gerd Heidemann (Lars Eidinger, grandios wie so oft) ist geradezu besessen von Hitler, unterhält eine Beziehung zu Edda Göring (elegant: Jeannette Hain), besitzt die Göring-Jacht „Carin II“ und braucht unbedingt eine große, neue Geschichte, um seine Karriere zu retten. Denn: „Ein Reporter ist immer nur so gut wie seine letzte Geschichte.“ Was wären da Tagebücher von Adolf Hitler für eine Sensation! Hey, er wäre der goldene Reiter. Der Star! Wie die Geschichte ausging, wissen wir. Und dennoch ist die Miniserie sehenswert.

Fake und Verrat, Verführung und Sensationsgier

Es geht um Fake und Verrat, um Verführung und Sensationsgier sowie Verharmlosung des Nationalsozialismus, um Macht und Geschlechterrollen. Der Produzent und Showrunner Thommy Wosch beschränkt sich nicht auf die Hitler-Tagebücher, und genau das ist es, was hier funktioniert.

„Faking Hitler“ ist keine faktenzentrierte Dokumentation. Gerade wenn es um diese so bekannte Geschichte geht, darf es noch etwas Fiktion sein. So ist etwa der Erzählstrang um die junge, ehrgeizige Journalistin Elisabeth Stöckel (wunderbar überzeugend: Sinje Irslinger) und ihren Vater (Ulrich Tukur) frei erfunden. Sie entdeckt bei einer Recherche über die SS-Vergangenheit von Horst Tappert, dass ihr Vater, ein angesehener Jura-Professor, bei der SS war. Das tut dem Drehbuch, dessen Haupthandlungsstrang man ja eigentlich schon kennt, aber ganz gut. In einer Nebenrolle als jüdischer Nazijäger glänzt Daniel Donskoy.

Als Starreporter mit Nazifetisch ist Alleskönner Lars Eidinger perfekt besetzt

Die beiden Hauptdarsteller sind es, die „Faking Hitler“ tragen. Als Starreporter mit Nazifetisch ist Alleskönner Lars Eidinger perfekt besetzt. Und Moritz Bleibtreu gibt den bräsig-cleveren Konrad Kujau, der lieber in der Badewanne liegt, als die Garage aufzuräumen. Er weiß: „Fälschen ist Kunst, keine Fließbandarbeit.“ Echte Schwaben lächeln zwar etwas über dessen Schwäbisch, man muss aber bedenken, dass Kujau ja ursprünglich aus Sachsen stammte. Die Szenen von Kujau mit seiner Frau in Wohnung und Atelier in heimeliger Fachwerkhäuserromantik könnten wirklich in Bietigheim oder Häfnerhaslach oder sonst wo hier spielen, gedreht wurde in Nordrhein-Westfalen. So viel Fälschung muss sein.

Diese Reise zurück ist sehr liebevoll inszeniert und detailreich ausgestattet. Es ist ein wunderbarer, teils auch amüsanter Nostalgietrip mit Tastentelefonen in eine Pril-Blumen-BRD, die einem so verdammt weit weg vorkommt. Überall wird geraucht, und es gibt tiefliegende Männerwitze („die arbeitet doch im Ressort ,Fick und Strick‘“). Diese Miniserie ist unterhaltsam und kurzweilig, nicht nur für Nostalgiker, sondern auch für Menschen, die das damals überhaupt nicht live mitbekommen haben.

„Faking Hitler“

RTL +
  (zuvor TV Now) zeigt die Miniserie „Faking Hitler“ ab 30. November 2021. Der Sechsteiler „Faking Hitler“, produziert von der UFA Fiction, ist eine fiktionalisierte Verfilmung der Geschehnisse rund um die Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher.

Medienskandal
 Die gefälschten Hitler-Tagebücher wurden von Konrad Kujau an das Magazin „Stern“ verkauft. Für 62 Bände gefälschter Tagebücher erhielt Kujau 9,3 Millionen DM.