Wer immer dachte, Uli Hoeneß bereite nach seiner erneuten Wahl im November 2016 in Ruhe seinen Abschied vor, sah sich getäuscht. Die Abteilung Attacke schießt wieder scharf.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/München - Wer sich als Fußballinteressierter in den vergangenen Wochen durchs Netz und die Tageszeitungen kämpfte, kam an einem Mann nicht vorbei. In dicken Lettern stand sein Name in zahllosen Überschriften geschrieben. Der FC Bayern hat ihn auf dem Platz ohnehin immer, sein Präsident auf Medienebene offenbar auch – den Titel-Hunger.

 

Hoeneß versteht die Welt nicht mehr. Hoeneß redet sich in Rage. Hoeneß poltert. Hoeneß tobt. Hoeneß spricht ein Machtwort. Und so weiter.

Hoeneß hier, Hoeneß da, Hoeneß überall – nicht nur der Streifzug durch die Überschriften der vergangenen Tage zeigt: Die berühmte Abteilung Attacke des FC Bayern München ist vor dem Südderby beim VfB Stuttgart an diesem Samstag (18.30 Uhr) zurück – und sie schießt offenbar schärfer als jemals zuvor.

Hoeneß bleibt Hoeneß

Wer immer dachte, der Präsident bereite nach seiner erneuten Wahl im November 2016 in Ruhe seinen Abschied vor, nehme sich langsam, aber sich zurück aus dem Tagesgeschäft und äußere sich nicht mehr wie früher über fast alle relevanten Themen des Fußballs und darüber hinaus, der hätte genauso gut an einen Bayern-Abstieg aus der Ersten Bundesliga glauben können. Dieses Szenario gibt es nicht. Hoeneß ist Hoeneß und bleibt Hoeneß.

Auch nach seiner Zeit im Gefängnis, auch nach seiner Haftstrafe aufgrund der Steuerhinterziehung in Höhe 28,5 Millionen Euro.

Oder vielleicht sogar genau deshalb?

Wer nach Gründen dafür sucht, warum Hoeneß wieder den Hoeneß gibt, warum er wieder Attacke an Attacke reiht, landet schnell bei dieser Haftstrafe – beziehungsweise in der Zeit unmittelbar davor. Um seinem Antrieb auf den Grund zu gehen, braucht es den Rückblick auf den Mai 2014. Da stand die letzte Jahreshauptversammlung des FC Bayern vor dem Haftantritt an. Und der Präsident rief den Mitgliedern damals dies zu: „Ich werde für alles gerade stehen. Und dann, wenn ich zurück bin, werde ich mich nicht zur Ruhe setzen. Das war’s noch nicht!“ 938 Tage später war er wieder da und wurde erneut zum Präsidenten gewählt.

Das war’s noch nicht!

Hoeneß’ Lebenswerk beim FC Bayern ist nicht vollendet

Uli Hoeneß, der Pionier der Bundesliga-Manager, der Mann, der mit 27 Jahren im Jahr 1979 bei den Bayern das Manager-Amt übernahm und den Club zur Nummer eins in Deutschland und zu einem Weltclub machte, der Mann, dessen Lebenswerk sein FC Bayern ist, sieht genau das als noch nicht als vollendet an. Hoeneß ist ein Getriebener seiner selbst. Und ein Getriebener des FC Bayern.

Einer, der Hoeneß gut kennt aus gemeinsamen Münchner Zeiten, ist am Samstag sein Gegner. Michael Reschke, der Sportvorstand des VfB Stuttgart, kam im Sommer 2017 vom FC Bayern, das Büro des damaligen Kaderplaners lag in München direkt gegenüber dem des Präsidenten. Reschke sagt über Hoeneß, mit dem er einst jeden Morgen um halb acht zusammen frühstückte und mit dem er bis heute ein „ausgezeichnetes Verhältnis“ habe, dies: „Er hat eine unglaubliche Kraft – er ist geradezu kraftstrotzend.“

Hoeneß (66) kann seine Power gut gebrauchen – denn bei Bayern sind spannende Zeiten angebrochen. Ein neuer Trainer ist da, der Übergang von der Generation Robben und Ribéry zu ihren Nachfolgern steht bevor – und die internationale Konkurrenz setzt dank der Finanzspritzen von Scheichs und anderen finanzkräftigen Gestalten zum Überholen an. Nach dem Selbstverständnis des Uli Hoeneß kann diese Herausforderungen nur Uli Hoeneß meistern. Die Seele des FC Bayern, das Mia san Mia, muss in diesen Zeiten protegiert werden – und gleichzeitig will der Club auf internationalem Niveau weiter konkurrenzfähig sein. Diesen Spagat hat sich Hoeneß zur Aufgabe gemacht. Der FC Bayern bleibt für ihn nun mehr denn je Chefsache. „Uli“, sagt Michael Reschke dazu, „hat die sehr seltene Gabe, sich in hoher Taktzahl verschiedenen Themen anzunehmen und sie schnell abarbeiten zu können.“

Dazu gehört es auch, Tacheles zu sprechen, Themen selbst zu setzen und zu kommentieren und auch so die Münchner Vormachtstellung zu untermauern. Der FC Bayern München ist eben auch die Abteilung Attacke – und die Erfolge speisen sich zumindest nach dem Selbstverständnis des Uli Hoeneß auch genau daraus. Respekt verschaffen bei der Konkurrenz, Themen bewusst setzen, sie steuern. Gegner auch mal verunsichern oder sie aus der Reserve locken, das ist die Maxime. Nach wie vor.

Reschke: „Hoeneß ist ein Partriarch“

Das Machtbewusstsein des Uli Hoeneß ist und bleibt im deutschen Fußball wohl unerreicht. Und deshalb kam er auch nach seiner Haftentlassung wieder aus der Deckung. Die Vollendung seines Lebenswerks FC Bayern wurde unterbrochen – jetzt muss er es nach der eigenen Wahrnehmung offenbar zu Ende bringen. „Hoeneß ist ein Patriarch im klassischen Sinne“, sagt Michael Reschke, „er will die Dinge entscheiden, und er ist, wenn man so will, sehr überzeugt von seinen Überzeugungen.“

Es gibt dabei allerdings nicht wenige Kritiker des Bayern-Oberhaupts, die behaupten, dass der Hoeneß von heute in mancherlei Hinsicht nicht mehr mit dem von früher, vor der Haftzeit, zu vergleichen ist. Hoeneß bleibt Hoeneß – aber die Fußballwelt hat sich verändert. Weshalb es einige Experten gibt, die zumindest hinter vorgehaltener Hand sagen, dass Hoeneß ein wenig den Überblick über des Geschehen verloren habe und bisweilen arg übers Ziel hinausschieße. Unsinniges gab es dabei auch zu hören – wie zuletzt in der Debatte um Mesut Özil.

Poltern, meckern, kritisieren: Was geht in Hoeneß vor

Hoeneß äußerte sich da zu einem Fall, der gerade erst zur Ruhe zu kommen schien – und zu dem er vorher auch schon seine Meinung kundgetan hatte. Hoeneß sagte über den Ex-Nationalspieler nach dessen Rücktritt noch dies: „Er ist ein gut vermarktetes Produkt, das ihn viel besser darstellt, als er ist. Für mich der einzige große Vorwurf: Wäre Löw häufiger nach London zu Arsenal geflogen und hätte ihn sich vor Ort angeschaut, hätte er ihn wahrscheinlich aus sportlichen Gründen nicht mitgenommen. Dann hätten wir uns das ganze Theater erspart.“

Hoeneß lieferte damit keine neuen Erkenntnisse, seine neuerliche Kritik hatte keinen Stil, auch der Sinn erschloss sich nicht. Hoeneß wirkte da wie ein Meckerfritze, der ohne Not nachtritt. Wie einer, der, wenn ihm etwas nicht passt, sofort auf 180 ist, sich in Rage redet und übers Ziel hinausschießt. „Uli Hoeneß hat ein sehr konservatives Wertebild“, sagt Reschke, „wenn er das massiv verletzt sieht, sieht er sich gezwungen zu handeln.“

Ist dem Präsidenten das Gespür für die richtigen Themen abhanden gekommen, hat er ein bisschen den Überblick verloren? Poltert Uli Hoeneß gar ohne Sinn und Verstand? Oder hält er den roten Faden, der sein Lebenswerk zusammenhält, doch fest in der Hand?

Hoeneß selbst wird in den nächsten Monaten die Antworten darauf geben.