Migräne ist mehr als nur Kopfschmerz: Sie beeinträchtigt das Leben vieler Menschen erheblich. Neue Therapieansätze und Medikamente könnten Betroffenen helfen, die Krankheit besser zu bewältigen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Hämmernde, pulsierende Kopfschmerzen, Überempfindlichkeit gegen Licht, Geräusche und Gerüche, Übelkeit bis hin zum Erbrechen: Migräne kann sich bei verschiedenen Patienten auf ganz unterschiedliche Weise äußern. Ebenso vielfältig ist die Liste möglicher Auslöser. Das macht ihre Behandlung schwierig. In den letzten zehn Jahren sind jedoch neue Therapie-Optionen entstanden.

 

Stark beeinträchtigte Lebensqualität

Erich Kästner schrieb 1931 in „Pünktchen und Anton“: „Migräne sind Kopfschmerzen, auch wenn man gar keine hat.“ Tatsächlich wurde Migräne lange nicht als ernsthafte Krankheit anerkannt.

„Migräne ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen überhaupt, die auch zu deutlichen Einschränkungen in der Lebensqualität führen kann“, betont Christian Maihöfner, Sprecher der Kommission Schmerz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Eine schwere Migräne könne ähnliche gesundheitsökonomische Folgen haben wie ein Schlaganfall.

Migräne ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen überhaupt. Foto: Oliver Killig/dpa

In rund einem Viertel der Migräne-Fälle geht diese mit einer sogenannten Aura einher, die durch reversible neurologische Symptome gekennzeichnet ist. Betroffene leiden dann nicht nur unter Kopfschmerzen, sondern zusätzlich auch unter Wahrnehmungsstörungen beim Hören und Sehen. Sie sehen beispielsweise Lichtblitze, doppelt oder fühlen ein Kribbeln im Körper. Diese Symptome können sogar schon bis zu einer Stunde vor dem eigentlichen Schmerz eintreten.

Deutliche Zunahme von Migräne

Kopfschmerzen und Migräne haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, sowohl hinsichtlich ihrer Häufigkeit als auch hinsichtlich der Schwere und Intensität, erläutert der Schmerztherapeut und Neurologe Hartmut Göbel, Gründer und Chefarzt der Schmerzklinik Kiel. Moderne Lebensstile mit hoher Beanspruchung der Funktionen des Nervensystems könnten ein Grund für das häufigere Auftreten sein.

Kopfschmerzen sind laut einer Untersuchung des Robert Koch-Instituts (RKI) in Deutschland weit verbreitet, am häufigsten sind Migräne und Spannungskopfschmerzen:

  • Demnach sind 14,8 Prozent der Frauen und 6 Prozent der Männer betroffen.
  • Weitere 13,7 Prozent der Frauen und 12 Prozent der Männer hätten wahrscheinliche Migräne, so die Erhebung von 2020.
  • Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DKMG) schätzt, dass rund 32 Millionen Arbeitstage im Jahr allein durch Migräne verloren gehen.
Schmerzen haben eine wichtige Warn- und Signalfunktion: Sie machen aufmerksam auf vorübergehende Gesundheitsstörungen. Foto: Imago/Depositphotos

Gefahr von ungesicherten unkonventionellen Therapien

Die Notwendigkeit für Behandlungen steige. In Europa sei aber davon auszugehen, dass nur etwa 20 Prozent der Betroffenen ärztlich versorgt werden. Kopfschmerzen würden häufig mit „wissenschaftlich ungesicherten unkonventionellen Therapien“ behandelt, erklärt Schmerztherapeut Göbel.

Schmerzen haben eine wichtige Warn- und Signalfunktion: Sie machen aufmerksam auf vorübergehende Gesundheitsstörungen. Wenn akute Schmerzen immer wiederkehren und über längere Zeit andauern, handelt es sich um chronische Schmerzzustände.

Schmerzmittel: Medikamente mit Folgen

Viele Betroffene greifen zu klassischen Schmerzmitteln wie Ibuprofen, Paracetamol oder ASS, die auch in den Leitlinien von Fachgesellschaften empfohlen werden.

Ein Übergebrauch könne jedoch selbst wieder Kopfschmerzen auslösen, warnt Gudrun Goßrau, Generalsekretärin der Deutsche Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft (DMKG). „Als Faustregel gilt, dass man diese an nicht mehr als neun Tagen pro Monat nehmen sollte.“ Eine unbehandelte Migräne könne ferner chronisch werden, so Goßrau, die die Kopfschmerzambulanz am Uniklinikum Dresden leitet.

Spezielle Migränemedikamente

  • Triptane: Gerade bei schwerer Migräne versagen diese Schmerzmittel oft. In diesen Fällen könnten spezielle Migränemedikamente – Triptane – zum Einsatz kommen, erklärt Christian Maihöfner, der Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Fürth ist. Diese gebe es mittlerweile in verschiedenen Darreichungsformen. „Triptane können als Spritze, als Tablette oder mittlerweile sogar als Nasenspray verabreicht werden.“ Letzteres sei bei Migräne mit Übelkeit von Vorteil.
  • Ditane: Seit kurzem steht mit den Ditanen zudem eine neue Wirkstoffklasse zur Verfügun. Vor allem für jene, die aufgrund von Herzkreislauferkrankungen oder einem früheren Schlaganfall auf Triptane verzichten sollten, betont Maihöfner. In Deutschland ist bislang ein solches Medikament zugelassen. Ditane wirken ähnlich wie Triptane, indem sie Nerven daran hindern, Substanzen freizusetzen, die Migräne auslösen.
Gerade bei schwerer Migräne versagen diese Schmerzmittel oft. In diesen Fällen könnten spezielle Migränemedikamente – Foto: Imago/Depositphotos

Durchbruch für die Prophylaxe

  • Neuropetid: Zu eben jenen neurologischen Auslösern habe sich das Verständnis zuletzt deutlich verbessert, erläutert Maihöfner. „Heute gehen wir davon aus, dass entzündliche Vorgänge an der harten Hirnhaut eine Rolle spielen: Bestimmte Nervenfasern können eine Entzündung auslösen, wobei das sogenannte CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) besonders wichtig ist.“ CGRP sorge dafür, dass sich Gefäße an der harten Hirnhaut weiten, was wiederum die Schmerzverarbeitung wichtiger Nervenfasern reize. „Die Identifikation der Schlüsselrolle dieses Neuropeptids hat einen Durchbruch in der vorbeugenden Migränetherapie ermöglicht – nämlich die Entwicklung sogenannter CGRP-Antikörper“, so Maihöfner. Aktuell seien in Deutschland vier Mittel zugelassen, die entweder den CGRP-Rezeptor blockieren oder den Botenstoff selbst abfangen.
  • Betablocker, Antidepressiva, Epilepsie-Mittel: Darüber hinaus werden Betablocker, Antidepressiva und vereinzelt auch Epilepsie-Mittel vorbeugend eingesetzt. Letztere können allerdings fruchtschädigend wirken. Manche Betroffene berichten von positiven Erfahrungen mit Magnesium oder Vitamin B2. Bei chronischer Migräne, von der man bei mehr als 15 Tagen im Monat spricht, können darüber hinaus Botulinumtoxin-Injektionen verschrieben werden.

Entspannungsinseln, Bewegung, Achtsamkeit

  • Bevor Prophylaxe-Medikamente genommen würden, sollten allerdings nichtmedikamentöse Optionen versucht werden. „Hier spielen Entspannungsverfahren wie autogenes Training oder progressive Muskelentspannung eine wichtige Rolle, aber auch Meditation und Achtsamkeit“, zählt Maihöfner auf. Ebenso könne Ausdauersport in Form von Schwimmen, Joggen oder Nordic Walking helfen.
Bevor Prophylaxe-Medikamente genommen würden, sollten nichtmedikamentöse Optionen wie etwa autogenes Training versucht werden Foto: Imago/Zoonar
  • Goßrau unterstreicht die Wichtigkeit eines regelmäßigen Tagesablaufs. „Zur gleichen Zeit essen, zur gleichen Zeit und ausreichend schlafen, den Alltag nicht zu voll packen: Gerade bei wiederkehrender Migräne ist das wichtig.“
  • Die Neurologin betont auch die Bedeutung von Aufklärung. So kämen Triptane aus Angst vor Nebenwirkungen zu selten zum Einsatz. Männer seien unterbehandelt, nicht zuletzt, weil Migräne als Frauenkrankheit gelte und zudem werde das Auftreten in jungen Jahren vernachlässigt. Tatsächlich sind laut DMKG fast zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen.

Vergessene Volkskrankheit

Für die Zukunft erwartet Goßrau Entwicklungen im Bereich weiterer Antikörper sowie Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Migräne und Ernährung und hier vor allem dem Blutzuckerspiegel.

Schon bald könnten zudem auch in Deutschland Medikamente aus der Wirkstoffklasse der Gepante auf den Markt kommen, unterstreicht Maihöfner. Diese kleinen Moleküle werden oral verabreicht, blockieren den CRGP-Rezeptor und stellen eine weitere Option im immer individuelleren Arsenal der Migränetherapien dar.

Laut Goßrau würde es sich zudem lohnen, Unterschiede zwischen Migräne mit und ohne Aura genauer zu erforschen und auch die Epigenetik zu berücksichtigen. "Dazu sind aber wirklich große Untersuchungsgruppen und viel Geld nötig", resümiert die Neurologin. Im Bereich Migräne oder Kopfschmerz allgemein sei es allerdings schwierig, Forschungsgelder zu bekommen. Leider ist es so: Volkskrankheiten wie eben Migräne und Kopfschmerzen werden immer noch gern vergessen."